* EB: Paul Engelmann, PaulEngelmann, Der Andere. Ein Teppich, aus Namen geknüpft, zu seinem Gedenken aufgerollt. In: Wittgenstein-Jahrbuch 2001/2002, S. 369–427; Variationen, S. 9f.; Allerwegsdahin, S. 52–57, 91; vgl. Das Mehr gespalten, S. 193f.; vgl. Vielzeitig, S. 278f. et pass.; vgl. Aberwenndig, S. 55f, 239–248; vgl. Ilse Somavilla: „Die Leiden des Geistes.“ Ludwig Wittgenstein und Elazar Benyoëtz. In: Korrespondenzen, S. 176–192
** Zur Schweizer Aphoristik und zu Ludwig Hohl, LudwigHohl vgl. Friedemann Spicker, FriedemannSpicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert, S. 559–616
*** Markus M. Ronner, Markus M.Ronner, Anthologist, Benteli-Verlag
**** Die Weltwoche, Zürich
***** Max Rychner, MaxRychner: Bei mir laufen Fäden zusammen. Literarische Aufsätze, Kritiken, Briefe. Hg. von Roman Bucheli. Göttingen: Wallstein 1998 (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 74); vgl. Allerwegsdahin, S. 96f.; vgl. Vielzeitig, S. 279; vgl. Aberwenndig, S. 97
****** Gabriel Laub, GabrielLaub (1928–1998), tschechisch-deutscher Schriftsteller. Floh nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 nach Hamburg. Dort erschienen seine Aphorismensammlungen in deutscher Sprache; vgl. Friedemann Spicker, FriedemannSpicker: Der deutsche Aphorismus im 20. Jahrhundert, S. 667–670
An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 20. Januar 2005 Nr. 47
Als Sie mir schrieben, Sie wollten sich mit seiner [Lec, Stanislaw JerzyLecʼ] Rezeption befassen, stellte ich fest, dass ich kein Buch von ihm habe – und bestellte mir die „Sämtlichen …“ bei Hanser.* Gestern trafen sie ein, und nachts habe ich darin gelesen, nicht brütend, aber mit Bleistift, und habe den ersten Teil (54 Seiten) auch hinter mir. Die erneute Lektüre – nach dreißig Jahren – war so verblüffend wie ernüchternd. Darüber würde ich gern mit Ihnen sprechen. Da ich noch viel zu lesen habe, will ich jetzt nichts „Abschließendes“ sagen, obschon der Eindruck notwendig derselbe bleiben müsste, denn schon der erste zeigte mir „die Einheit des Geistes“: Lec, Stanislaw JerzyLec bleibt Lec, nur ist er weniger geworden. Er hat genug Geist und Witz, den Ost-West-Konflikt zu überleben, nur wird die Überlebensqualität geringer, jedenfalls im Deutschen. In Polen ist er Klassiker, in Deutschland Erfolgsautor. Den kleinen Unterschied macht das Ganze der Sprache aus. Also spreche ich nur vom „deutschen“ Lec, Stanislaw JerzyLec. Das Billige überwiegt, es macht das Werk aber nicht minderwertig. Über diesen Punkt will ich nachdenken, und vielleicht mit Ihnen. Ohne mich hinzuzurechnen, frage ich mich, wieso Lec, Stanislaw JerzyLec und Canetti, EliasCanetti gleichzeitig wirken konnten, auch wenn sie scheinbar aus der gleichen Schule (nennen wir sie vorsichtig „Wien“) kommen. Aphoristik in den sechziger-siebziger Jahren, das waren in der Hauptsache doch Lec, Stanislaw JerzyLec und Canetti, EliasCanetti, (die „Suhrkamp-Aphoristik“ von Ost und West ist eine Kategorie für sich), wobei der erste der populärere war. Canetti, EliasCanetti war mit dem Ost-West-Konflikt nur massenmächtig beschäftigt, nicht humanhumoristisch.
* Siehe Anmerkung zu Brief Nr. 44
An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 1. Februar 2005 Nr. 48
Eben finde ich – in Abschrift – den Auszug aus einem Margolius, HansMargolius-Brief* – die Antwort auf meine direkte Frage:
„Ich bin nicht von der Literatur, sondern von der Philosophie zum Aphorismus gekommen. Vielleicht liegt es daran, dass ich eigentlich (wie ich zu meiner Schande gestehen muss) keine klare und feste Definition des Aphorismus habe. Eigentlich akzeptiere ich jede kurze Darstellung einer Einsicht, einer Ansicht, einer Überzeugung, eines Ausblicks als Aphorismus. Von den „Klassikern“ des Aphorismus stehen mir wohl Joseph Joubert, JosephJoubert und Marie von Ebner-Eschenbach, Marie vonEbner-Eschenbach am nächsten. Natürlich hätte ich in meiner Auswahl aus Ihren Aphorismen wenigstens eine Reihe von Sätzen, die charakteristisch für Sie persönlich sind.“ (Miami, Florida, 5.4.1977)
* Vgl. Brief Nr. 42 mit Anmerkung
An Harald Fricke, HaraldFricke, 10. Februar 2005 Nr. 49
Ein Abschiedsdank an Annette Kolb, AnnetteKolb*
„Ja, wie am Straßburger Münster, sie sind so blind.“ (Annette Kolb, AnnetteKolb an René Schickele, RenéSchickele)
Sie steht – die Straßburger ‚Synagoga‘ – zwischen ihr und Schickele, dem Elsässer. Ist ‚Synagoga‘ aber nicht überall und immer die Blinde? Musste sie örtlich bestimmt werden? Ja, sie musste, denn freilich ist die Straßburger ‚Synagoga‘ so blind wie jede andere, doch im Gegensatz zu anderen ist sie von innerer Klarheit und äußerer Anmut; Hoheit und Ergebung ausstrahlend. Sie ist die in Niedergeschlagenheit Thronende. Sie hat alles in sich und an sich, nur keine Macht in Händen.
Die andere, die Rivalin, Ecclesia, hat alle Macht in Händen; sie, Synagoga – allen Zauber an sich.
Darüber, dass sie die Macht entbehren kann, gibt die Augenbinde Aufschluss. Während Ecclesiaʼs Macht und Herrlichkeit nicht zu übersehen sind, zieht Synagoga alle Aufmerksamkeit auf sich; kein Augenblick, der gern bei der Machtvollen verweilte. So steht sie vor uns: gebrochenen Zepters, doch nicht gebrochenen Mutes; nichts habend, nur gewinnend.
* Siehe Anm. zu Brief Nr. 20, 27
An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 7. Mai 2005 Nr. 50
Im Anschluss finden Sie einige Seiten, sie mögen Sie erfreuen
Karl Kraus, KarlKraus in Tel Aviv
Paul Engelmann war zu sechzig Prozent Kraus, KarlKraus-geprägt, davon hatte er hundert Prozent auf mich übertragen. Ich war Kraus, KarlKraus-geweiht, noch ehe ich ein Wort von ihm kannte, ja noch ehe ich des Deutschen kundig genug war, um einen Aphorismus von ihm verstehen zu können. Überzeugt, Engelmann, PaulEngelmann sei die Stimme Karl Kraus, KarlKraus’, hatte ich es auch nicht für nötig gehalten. Ich hatte Kraus, KarlKraus lautlich vor Augen, aus all seinen Mundwinkeln und Gesichtszügen traten die Worte hervor, und er – mir zugewandt – presste aus ihnen das Öl, einzig für mich, der ich ohne Verdienste war und doch, wie ich glaubte, gesalbt werden sollte. Dreißig Jahre lang war Paul Engelmann, PaulEngelmann Karl Kraus, KarlKraus in Tel Aviv gewesen, „nun werde ich es sein“, mochte ich bei mir gedacht haben. Aber ich war nicht zu sechzig Prozent Kraus-geprägt, mein Denken war hundertprozentig hebräisch, und ich kannte keinen anderen Wunsch, als hebräische Gedichte zu schreiben. Wo immer der Anfang meines Gedankens war, er fand im Vers sein Ende.
Paul Engelmann, PaulEngelmann, er selbst, geistvoll und leibhaftig, war meine Poetik. Und das schon bald nach unserer Bekanntschaft, als ich Mut zur Prosa fasste. Das war begründet in einer Begegnung mit der geringfügigen, unscheinbaren Prosa von Jakob van Hoddis, Jakob vanHoddis – und in der Lustwandelschaft meiner Freundin Nahida. Ihre Erotik erwachte durch meine Schrift, nicht unter dem Apfelbaum.
Sie war eine Schriftbewegte mit dem absoluten Gehör und einem Herz für Engelmann, PaulEngelmann, der ihr gern bis tief in die Nacht hinein vorgetragen und -gesungen hat. Ihr habe ich versprochen, jeden Tag, wenn sie mich besucht, eine handvolle, handgeschriebene Prosageschichte vorzulegen.
In acht Tagen waren es sieben geworden. Die erste erschien in Hapoel Hazair vom 9. 1. 62 und war Paul Engelmann, PaulEngelmann gewidmet.* Engelmanns Übersetzungen aus dem Hebräischen waren gleichsam der Anfang meiner deutschen Aphoristik.
* Es folgen Auszüge aus dem Briefwechsel mit Engelmann, PaulEngelmann aus den 60er Jahren; vgl. Anmerkung zu Brief Nr. 46
An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 7. Mai 2005 Nr. 51
Clara von Bodman, Clara vonBodman* war die wichtigste Freundschaft meines Lebens. Ich habe sie 1966 in ihrem Haus in Gottlieben kennengelernt und blieb mit ihr bis zu ihrem Tod im Jahre 1982 verbunden.
Für sie habe ich mein Deutsch aufrechterhalten, zehn Jahre einzig für sie auf Deutsch gedacht und geschrieben. „Du bist ich“, sagte