Zusammengeflickt aus Ernst Bertram, ErnstBertrams „Nornenbuch“, 1925
Von Werner Helmich, WernerHelmich, 7. November 2011 Nr. 70
Lieber Dichter,
ja, Sie sind hier ganz Lyriker und kein Spruchdichter; mir war, auch ohne Ihre frühere hebräische Dichtung zu kennen, immer klar, dass Sie mehrere Saiten auf Ihrem Bogen haben. Der Ton gefällt mir, auch als Diptychon (auch wegen der weitgehend parallelen Metrik). Ist der metrische Bruch in „die Mágièr bescháemt. Hórchen múss er“ an der Satzgrenze (keine Senkung) gewollt? Ich könnte mir’s vorstellen. Mir fiel er nur wegen der ansonsten durchgehenden Blankversstruktur besonders auf. War ich Kritiker genug?
An Werner Helmich, WernerHelmich, 7. November 2011 Nr. 71
Lieber, abenteuerlicher, geneigter und entzückender Kritiker,
Sie haben sich kühn auf ein Abenteuer eingelassen, das schwere Folgen haben könnte (müsste), theoretische und moralische. Ich habe Sie gelegentlich schon heranzuziehen versucht, mit geringen, aber offenen Karten. Die heutigen Karten lagen Ihnen nicht offen vor, ein Eröffnen folgt auf Wunsch, dann teile ich Ihnen eine Seite dazu aus meinem Tagebuch mit, doch muss ichs erst Helmich, WernerHelmich-würdig gestalten, wiewohl nicht entstammeln, denn mitunter zittert meine Hand dabei.
An Werner Helmich, WernerHelmich, 8. November 2011 Nr. 72
AUF BIEGEN ODER BRECHEN
ODER
FEINDE AUS ERZ
Mit dem Zitieren beginnt das Gegenwerk
Kosal Vanít
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Wieder auf dem Wüstenpfade
reitet der Jahrtausendgeist
Wenn sich der Pfad vor deinem Fliehen engt,
wenn sich der Pass vor deinen Augen schließt,
welch ein Weg beginnt vor deinen Füßen!
Gen Abend liegt das Totenreich im Meer,
dort hausen Tote ganz im Schein des Lebens.
Abgründlich droben tut sich sternlos auf
nordlichterhelltes Nichts.
Wer durfte wandeln Dich zur Aschensaat?
Ernst Bertram, ErnstBertram,
„Das Nornenbuch“. 1925
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„Nie wusstest du was hinten und was vorne,
Rülpsen des Augenblicks schien dir Raun und Norne.
Warst lang bereit fürs braune Miss-Geschick,
uns kennend, zischtest du vom ›Rattenblick‹.
Schriest von der ›Großzeit‹, aller Zeiten Ernte,
die Zeit wars, wo man Juden gelb besternte,
wo man, gewiss, den Erdball zu erbeuten,
die Bücherreihn bezog mit Judenhäuten …
O, auch dein Quantum Auschwitzasche
bekamst du, dass man schwärzere Kirschen nasche,
mit Düngerfolg den Führer überrasche.“
Karl Wolfskehl, KarlWolfskehl, An E[rnst] Bertram, ErnstB[ertram]
(unveröffentlicht)
Schwarze Segel wachsen auf der Welle
Wer sagts dir an, was du gesehn? Kein König
kann seine Träume deuten, wie sie auch
ihn siebennächtlich quälen. Er muss doch
den jungen Seher rufen, der allein
die Magier beschämt. Horchen muss er
der grausen Deutung und den Deuter töten,
auf dass sie sich erfüllt. Wer herrscht, erblindet.
wer schaut, verfällt dem Schwert.
Falsche Versöhnung streitet wider Gott.
Das ist eine Fälschung, ein nicht zu überbietender Frevel. Ernst Bertram, ErnstBertram, der Bonner „Bücherverbrenner“, Verleugner seiner Freunde – gegen den Karl Wolfskehl, KarlWolfskehl eine Empörung schrieb in Versen, die in wenigen Zeilen großmächtig sind (darum sage ich eine Empörung, nicht eine Dichtung).
Bertram, ErnstBertram war ein sich auch poetisch germanisierender Deutscher. Menschlich kann ich ihn nicht beurteilen, ich kenne ihn zu wenig, kenne seinen Mythos-Nietzsche, FriedrichNietzsche, seinen Briefwechsel mit Thomas Mann, ThomasMann, kleinere Studien über Kleist, Heinrich vonKleist, Stifter, AdalbertStifter, nicht als Dichter. In meiner Jugend, als ich Deutsch zu lesen begann, mit dem Verstehen aber nicht weit war, habe ich „Das Nornenbuch“ bei Nissim in Tel-Aviv gekauft. Die Ausgabe gefiel mir, der Einband, das Papier – Insel-Verlag 1925, stockfleckig. Der Titel nornig, raunig, mir unverständlich. Ich führte es heim, wie ein Geheimnis fürs Leben. Nun habe ichs zur Hand genommen, aufgeschlagen – bin auf die Abschrift eines frühen Gedichts von mir gestoßen, auf Firmenpapier des Rabbi Kook Instituts getippt, demnach war das Buch 1959 bereits in meinem Besitz, ich werde auch versucht haben, aus ihm Inspiration zu schöpfen. Davon findet sich bei mir (nun auch in der Erinnerung) keine Spur. Es sind mehr Gedichte von Bertram, ErnstBertram als Gedichte. Sie wiegen nicht schwer, wiegen nichts auf, sie sind gewichtig. Gebärde, Grimasse: „Er stirbt und sinnt noch immer: / Solch eine Rune steht ihr im Gesicht.“ (Hebbel, FriedrichHebbel, Die Nibelungen: Der gehörnte Siegfried)
Mehr Orakles denn Siegfried. Weizenhaar des Kindes, Blauaug des Mannes, eisiger Norden, männlich, mannmännlich
Er schwingt die Keule
Gegen die nordhoch
Fliehende Frau
Für Wolfskehl, KarlWolfskehl warʼs ein Rülpsen, er wird gewusst haben, was er sagt, er hatte das blinde Aug des Sehers. Dieses Wissen gilt jenseits der Gerechtigkeit. Es gibt eine strafende und sträfliche, eine sündhafte und sühnende, eine triumphierende und eine zerknirschte Dichtung, aber keine gerechte.
Das „Nornenbuch“ ist auch im poetischen Sinn nicht Bertram, ErnstBertrams wichtigstes Buch, viel bedeutender scheinen seine aphoristischen Dichtungen zu sein (ich kenne sie nur aus Spicker, FriedemannSpickers Wälzer*) und sein Nietzsche, FriedrichNietzsche**. Er hatte etwas zu sagen, immer auf einer Leiter stehend, hochgreifend, während seine Seele sümpfelte. Er war von Rang und hatte kein Niveau – so wie viele Nazigelehrte aus Kaiserzeiten. Er wusste, wo der Dichter wohnt (sagen wir, Stefan George, StefanGeorge), entschied sich aber für die Norne. Sein Auge streifte den Süden, die Stifter, AdalbertStifter-Forschung weist einige Bertram, ErnstBertram-Streifen auf.
Mit seiner Dichtung ist nicht viel zu wollen, manches hat in sich einen künstlichen, gestelzten Zauber, doch im Germanischen und Germanisierenden gab es eben Größere. Nichts zu wollen, aber – auf Wolfskehl, KarlWolfskehl hin – vielleicht doch etwas zu machen?
Das Nornenbuch lesend, die Olivenbäume im Hintergrund, kam mir der Gedanke, aus dem Nornenbuch eine „Antwort“ auf Wolfskehl, KarlWolfskehl, auf Vertreibung und Mord der Juden vorwegzugeben. Unter dem mich lange beschäftigenden Motto: „Mit dem Zitieren beginnt das Gegenwerk“.
Es gehört dazu die Frage, ob man in der Poesie Gott spielen – seine Worte in Bileams Mund legen dürfe, dem zum Fluchen Bestellten Segenssprüche auf die Zunge schmieren. Zitieren wir Bileam oder Gott? Ja, was zitieren wir überhaupt, wenn wir zitieren? Nicht alles, was uns entgegenkommt, steht uns zur Verfügung. Auch umgekehrt. Wir haben die Wahl, solange wir nicht gewählt haben.