Beziehungsweisen. Elazar Benyoëtz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elazar Benyoëtz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772001093
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Tagebuchs, in dem ich ihr meine hebräische Gedankenwelt erschloss, denn ich lebte, nach meiner Rückkehr aus Deutschland, 1968, wieder ganz im Hebräischen. Meine Briefe an Clara von Bodman, Clara vonBodman bildeten auf Jahre hinaus die Quelle meiner Aphorismen. Mein Wort war ein gerichtetes, und der Mensch, an den es gerichtet war, war der richtige. In diesem Wort sind Glück und Dank ausgesprochen. Nach dem Tod Clara von Bodman, Clara vonBodmans habe ich mich vier Jahre mit der Sichtung unseres Briefwechsels beschäftigt. Diese Beschäftigung, die viele nur verwunderte, war meine späte – und viel später erfolgreiche Schule der Prosa. Prosa ist eine Poesie für sich. Das Schreiben Satz für Satz erfordert eine höhere Schule als das Schreiben Wort für Wort oder Zeile um Zeile. Ich ging ungern zur Schule, nun musste ich bei mir und sogar von mir lernen. Es war alles schon da, schon lange da, es fehlte nur das eine „es werde!“.

      * Vgl. Anm. zu den Briefen Nr. 1, 27

      An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 8. Dezember 2005 Nr. 52

      Es ist nur folgerichtig, dass ich Ihrem Lieblingskind* etwas Grundlage und Nährstoff zuführen möchte, beginnend mit meinem Briefwechsel mit Hans Margolius, HansMargolius**, der vielleicht kein großer Aphoristiker war, aber sich große Verdienste um diese Gattung nach 1945 erworben hat. Er war im Kleinen Ihr Vorgänger, seine Sammlungen werden ihren Wert behalten, weil sie nach dem Kahlschlag da waren. Mir diente er zur Klärung meiner frühen Positionen – ohne Zuspitzung. Ich wusste bald Bescheid und blieb ihm trotzdem dankbar und persönlich geneigt. Er war sicher ein guter Mensch und ein bescheidener Denker. Er versuchte auch, mir bei der Verlagssuche zu helfen, vergeblich. Alles, was dazu gehört oder gehören mochte, will ich „Hattingen“ überlassen, also wird noch manches hinzukommen, den Grundstock bilden eben die Briefe Margolius, HansMargolius’ und meine Antworten bzw. Entwürfe, die manchmal schwer leserlich sind, wahrscheinlich auch ab und zu von der endgültigen Antwort abweichen. Wo sein Nachlass ist, weiß ich nicht. Die heutige Sendung enthält wahrscheinlich auch nicht alle Briefe, doch diese waren in einem Bündel, die anderen müssen sich erst finden, sie kämen dann hinzu. Ferner möchte ich dem Aphorismus-Archiv eine Reihe von Typoskripten überlassen, die entweder von der endlichen Ausgabe abweichen oder nie zum Abdruck gelangt sind. Auch möchte ich den Hanser-Verlag bitten, meine Bücher, sofern sie vorrätig sind, wie auch Herrn Walther Wölpert, WaltherWölpert***, die Herrlinger Drucke an das Aphorismus-Archiv zu schicken. Ferner gedenke ich, eine Reihe Personen zu bitten, meine Briefe an sie dem Archiv zur Verfügung zu stellen, sei es im Original, sei es in einer Kopie, so dass sich im Archiv nach und nach eine kleine Benyoëtz-Ecke ausbildete.

      * Deutsches Aphorismus-Archiv Hattingen, gegründet 2004

      ** Vgl. Briefe Nr. 42, 48

      *** Siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen)

      An Friedemann Spicker, FriedemannSpicker, 11. Januar 2006 Nr. 53

      Man kennt mich nicht, weil man mich nicht sieht. Die wenigen Lesungen machen kein Ansehen aus. Nun war ich Arnold, Heinz LudwigArnold* in Darmstadt begegnet – und lustig: Ich stand vor dem Aufzug, er kam auf mich zu – er dachte an den Aufzug –, glaubte einen alten Freund zu sehen, fiel mir um den Hals und – ja, ich zwang mich da auch zu einer Vorstellung, meinetwegen, dachte ich – und sagte halbfragend: Harald? „Heutzutage“ verändert sich der Mensch doch so leicht, und Harald Weinrich, HaraldWeinrich** habe ich sicher zwei Jahre nicht gesehen, wer weiß? Wir sahen unsern Irrtum ein und versuchten, das Beste daraus zu machen, wir sprachen eine Stunde über Ernst Jünger, ErnstJünger, dessen Sekretär er war. Ich ließ ihn erzählen, das allein war schon ein Geschenk, wer erzählt nicht gern eine ganze Stunde von sich oder von sich und Ernst Jünger, ErnstJünger? Und dann unser Briefwechsel. So gehtʼs, lieber Herr Spicker, FriedemannSpicker, in der Literatur zu. Lässt man reden, gewinnt man Sympathie. Nicht dass Ihre wiederholte Mühe umsonst war, nur – wer ist, wer war denn schon Benyoëtz? Und Benyoëtz – unter uns – wäre vielleicht auch jetzt nicht der Rede wert, Benyoëtz und Jünger, ErnstJünger aber! Das ist etwas ganz anderes, dann ist er vielleicht unsereins! Also darf Spicker, FriedemannSpicker im EKG oder KGB über diesen Hebräer schreiben.***

      * Heinz Ludwig Arnold (1940–2011), Publizist, bedeutender Vermittler der Gegenwartsliteratur (z.B. in Gesprächen), Herausgeber u.a. des Kritischen Lexikons der Gegenwartsliteratur, 1961 bis 1964 Privatsekretär bei Ernst Jünger, ErnstJünger

      ** Siehe Verzeichnis der Briefpartner(innen)

      *** Friedemann Spicker, FriedemannSpicker: Elazar Benyoëtz. In: Kritisches Lexikon der Gegenwartsliteratur. Hg. von Heinz Ludwig Arnold, Heinz LudwigArnold. München: text und kritik. S. 1–10, A-F. 85. Nachlieferung März 2007

      An Hans-Martin Gauger, Hans-MartinGauger, 19. September 2006 Nr. 54

      Ich habe Deinen Erfahrungsbericht* gelesen, er ist ein geglückter, klassischer „Gauger, Hans-MartinGauger“, zu dem ich Dir einmal schreiben müsste, alle „Schlüssel“ dazu liegen in diesem Prosa-Text „offen zu Tage“, man könnte ihn fast als künstlerisch raffiniert betrachten – und das wäre ja die Frage: Ist es Literatur, ist es Unterhaltung? Es ist sicher nicht Unterhaltungsliteratur, so unterhaltsam es auch ist und so heiter es sich gibt. Die ernsthaftesten Probleme – der Wissenschaft und der Zeit – werden allen Ernstes nicht nur gestreift, sondern eben auf Gaugersch bezeugt, wozu für mich alle Namen, ohne Ausnahmen, gehören. Das für mich Schöne ist, dass ich Dich mittendrin sehe: Du nennst die Probleme, Dein Standort steht fest, Du verschluckst Dich nicht beim Aussprechen des „Symbolworts“ Auschwitz, aber du stehst nicht mit der Kreide vor der Schwarzen Tafel des Weltgerichts und zählst ausdrücklich zu Deinen Lehrern und Freunden Menschen, die „Dreck am Stecken“ hatten. Du weißt, was Du weißt, und lässt keine Missverständnisse aufkommen, im Übrigen aber stehst Du im Licht wie im Zwielicht, weil es sich menschlich so gehört. „Ich bin nicht die Posaune deines jüngsten Tags“, heißt es bei mir. Der Prophet Elija (Prophet)Elija aber sagte „Ich bin nicht besser als meine Väter“.

      Ich denke da an Hugo Friedrich, HugoFriedrich**, der mir lange in vielem maßgeblich war, ich denke vor allem an Kurt Wais, KurtWais, dessen dicker, schwerer „Mallarmé, StephaneMallarmé“*** mich seit vierzig Jahren begleitet (erschienen übrigens in Deinem Verlagshaus). In meiner einfältigen Spätjugend hielt ichs gar für mutig, dass er in der „Literatur“ zum Buch den Juden Karl Wolfskehl, KarlWolfskehl erwähnte. Kannst Dir denken, wie sehr mich Deine Erinnerungen an ihn interessierten? Vom „unbehausten Menschen“ wusste ich recht früh, von Holthusen, Hans EgonHolthusen**** nicht wenig aus Rychner, MaxRychner, MaxRychners Munde zuerst, der ihm mit einem anerkennenden Zeitungsartikel den Weg bahnte, später – und sehr kritisch – aus Auden, Wystan HughAudens Mund, schließlich aber aus dem seiner Schwester, die mich hier besuchte, mit der ich einen ganzen unvergessenen Tag verbrachte und die sich wenig später das Leben nahm.

      Ist es eine „Hauptsache“? Man könnte glauben, müsste aber nicht denken: Du kommst gegen Ende darauf zu sprechen. Das finde ich großartig, wie wenn Du sagen würdest: Das muss nicht gesagt, darf aber nicht verschwiegen werden – so kommst Du auch wieder auf die 68er zu sprechen. Wie gesagt, ich finde Deine Ausschweifung – das wollte ich als „Gattung“ für mich in Anspruch nehmen, sehe mich genötigt, sie mit Dir zu teilen – als eine Dir gemäße, an sich geglückte Form, Haartracht und Glatze unter einen Hut zu bringen. Und ich denke im Ernst, Du solltest aus Deiner Not eine große Tugend machen, will sagen – ein Buch. Ich sehe auch die Nachteile, die Kritiker monieren würden, halte Deinen Weg in der Literatur dennoch für gerechtfertigt und gut. Es sieht so aus, als würdest Du Dich gehen lassen, ich meine: Das gerade sollst Du, denn es ist gerade.

      * Hans-Martin Gauger, Hans-MartinGauger: Was wir sagen, wenn wir reden. München: Hanser 2004

      ** HugoFriedrich, Hugo Friedrich (1904–1978), Romanist an der Universität Freiburg; Die Struktur der modernen Lyrik. Hamburg: Rowohlt 1956

      *** Kurt Wais, KurtWais (1907–1995), Romanist an der Universität Tübingen; Mallarmé, StephaneMallarmé. Ein Dichter des Jahrhundert-Endes. München: Beck 1938, 2. erweiterte Auflage 1952

      **** Hans Egon Holthusen, Hans EgonHolthusen (1913–1997), Literaturwissenschaftler, Essayist und Kritiker; Der unbehauste Mensch. Motive und Probleme der modernen Literatur. Essays.