Was Sie von Schaeffer, AlbrechtSchaeffer sagen, zeigt mir, dass auch er zerrissen war. Ob er mit seinem späteren Brief sein öffentliches Zeugnis, seine Einsichten widerrufen wollte? Ob das ohne weiteres möglich wäre?
Es sind Fragen, denen wir uns stellen müssen. Wie bedrückend sie sein können, habe ich erfahren, als der Briefwechsel Kolb, AnnetteKolb/Schickele, RenéSchickele*** erschienen ist. Sie können es jetzt, wenn Sie mögen, in meinem Beitrag zum Katalog der eben in München eröffneten Kolb, AnnetteKolb-Ausstellung nachlesen (verlegt bei Eugen Diederichs)****.
* Richard Beer-Hofmann: Der Tod Georgs. Roman. Berlin: S. Fischer 1900
** 1898 heiratete er Pauline Anna Lissy.
*** Annette Kolb, AnnetteKolb, René Schickele, RenéSchickele: Briefe im Exil 1933–1940. Hg. von Hans Bender, HansBender. Mainz: v . Hase und Koehler 1987
**** Ich habe etwas zu sagen. Annette Kolb, AnnetteKolb 1870–1967. Ausstellung der Münchener Stadtbibliothek anlässlich ihres 150-jährigen Bestehens. Hg. von Sigrid Bauschinger. München 1993
An Annemarie Moser, AnnemarieMoser, 15. Juni 1995 Nr. 34
Da ich Ihre anderen Werke noch nicht kenne, kann ich nicht sagen, dass Sie mit den „Türmen“* die beste Wahl getroffen haben, doch nun, da ich das Buch gelesen habe, bin ich in der Lage, Ihre Wahl zu verstehen und bin Ihnen umso dankbarer für dieses Geschenk, das für Sie nicht nur spricht, sondern Sie auch enthält. Es freut mich, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, denn ganz anders als Ihr Buch können Sie unmöglich sein. Und dieses ist ohne Falsch; der Versuchungen der Poetisierung an keinem Punkt erliegend. Wer diesen Grad an Gradheit erfahren will, der muss nach Wr. Neustadt fahren. Also war Wr. Neustadt auch aus diesem Grund der Reise wert. Was den Roman als solchen anlangt: Er bringt alles, was er verspricht, zur Deckung. Das Bedeutsame meidend, ist das Entsprechende sein Erfolg. Merkwürdig, dass der Waschzettler Hans Weigel, HansWeigel** sagen lässt, was Sie selbst mit gleichen Worten, aber viel besser, weil „turmhoch“, auf S. 188 sagen: „Und ich sah einen Turm, einen silbern schimmernden Turm aus Worten, und dachte: ‚Das wird das Protokoll meiner Heilung.‘“ – Zu dieser gehört am Ende, so unverhofft wie unvermeidlich, die alte Frage: „Wie war das möglich?“ und das „nun begriff ich“, wofür zehn Jahre eines falschen Bekenntnisses der Preis gewesen ist: ein hoher Preis, doch auch dieser wiederum nicht ohne Lohn: eben dieses Buch geschrieben zu haben. Mir haben Sie damit noch viel anderes geschenkt, z.B. eine Sinngebung des mir lange belanglos scheinenden Faktums, dass ich just in Wr. Neustadt zur Welt gekommen bin. Sie mussten in die Stadt zurück, mit der Sie aus den Trümmern stiegen. Durch Sie habe ich etwas davon nacherleben und „mitbekommen“ können. Noch will ich Ihnen sagen, dass das Unbeirrbare Ihres Sprachvermögens wohltuend wirkt.
* Türme. Roman. Graz: Styria 1981
** Vgl. Anm. zu Brief Nr. 77
An Angelika Hübscher, AngelikaHübscher, 4. Juli 1996 Nr. 35
Es freut mich, dass eine Arthur Hübscher, ArthurHübscher-Ausstellung* stattfindet, und natürlich soll Hugo Bergmann, HugoBergmann** in ihr nicht fehlen. Das Material in der Mappe*** ist allerdings gering, für mich aber von großer Rührung. Ich werde im kommenden Jahr 60, als mich Hugo Bergmann, HugoBergmann Arthur empfohlen hatte, war ich 27 Jahre alt, und was sonst? Für Hugo Bergmann, HugoBergmann immerhin „ein junger hebräischer Dichter von Rang“. Er hatte mir immer freudig zu meinen Gedichten geschrieben, und einmal legte er ein Gedicht von mir seiner Neujahrspredigt zugrunde. Einmal im Jahr, eben am Rosch-Haschanah, pflegte er in seiner Synagoge zu predigen. Er hielt mich auch für den besten Kenner der deutschen Literatur und hat meine Wissbegier unermüdlich unterstützt; also dachte er, dass ich geeignet wäre, eine Brücke nach Deutschland zu bauen. Er schrieb mir oft liebevolle, mitunter zarte Briefe, aber er ging mit mir auch hart ins Gericht: über meine Aphorismen, die ihm zu geistreich erschienen; über mein deutsches Schreiben, das er für zu schnell erlernt und zu gut gemeistert hielt. Er war ja ein Frühzionist und hatte dieser Welt der „Geistreichen“ den Rücken gekehrt. Er hatte mich gewarnt, aus tiefer Liebe, die immer missverständlich ist, aber nur selten irrt. Also irrte sich Bergmann, HugoBergmann nicht: Ich hörte auf, ein „junger hebräischer Dichter“ zu sein, und bin ein deutscher Aphoristiker „von Rang“ geworden. Ein Visitenkärtchen, wenige Worte der Empfehlung – und diese ganze Geschichte dahinter, die allerdings noch besser, länger und trauriger hätte erzählt werden können.
Und doch war es mir andererseits eine Freude, mich einen Augenblick lang in Arthurs Augen zu sehen, wie er da am 16. November 1964 Hugo Bergmann, HugoBergmann berichtet: „Mit Elazar Benyoëtz stehe ich übrigens in dauernder brieflicher Verbindung – ein äußerst begabter, interessanter und menschlich liebenswerter junger Mann.“ Wie sehr mich das beruhigte, liebe Angelika. Mein Weg bleibt mir selbst unergründbar, er war nicht gerade, keinem erwünscht, aber auch nicht verfehlt: „Nirgends zu Hause, allerwegs in Gottes Hand.“
Ende November findet in der Österreichischen Akademie der Wissenschaften der 2. Wiener Kulturkongress zum Thema: „Auf der Suche nach dem verlorenen Gott – Zukunft von Religion und Glaube in einer säkularisierten Welt“ statt. Ich wurde um einen Beitrag gebeten, dieser wird lauten: „Die Sprache des Glaubens, Oder: Alle Siege werden davongetragen“****. Im Januar werden wahrscheinlich einige Lesungen in Österreich stattfinden; im Februar erscheint mein Buch über den Glauben: „Variationen über ein verlorenes Thema“ (bei Carl Hanser in München) – das besagt: Ich komme wahrscheinlich nach Deutschland, und selbstverständlich will ich gern meiner Freundschaft für Arthur, für Euch Ausdruck geben. Aber ein Termin lässt sich noch nicht ausmachen (Du hast selbst ja auch keinen), auch nicht, ob die Erinnerungsworte bei der Eröffnung der Ausstellung effektivste Form des Nachrühmens wären. Ich würde z.B. eine Lesung zu seinem Andenken, in die ich Erinnerungen, Zitate und Briefstellen einflechten könnte, für wirkungsvoller halten. Zwar wird es Mühe kosten, aber sich dann auch gelohnt haben. Die Lektüre meiner Briefe an Arthur kann nicht so einfach vor sich gehen, allein die Begegnung mit meiner frühen, so unbeholfenen deutschen Handschrift; mit meinem Deutsch von anno dazumal; mit meiner so kühnen Naivität.
* Ausstellung in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main 30. Oktober – 27. November 1997; vgl. Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 49; zu ArthurHübscher, Arthur Hübscher vgl. Aberwenndig, S. 396
** Hugo Bergmann, HugoBergmann (1883–1975), Freund Kafka, FranzKafkas, erster Leiter der Universitätsbibliothek Jerusalem; Die Rede geht im Schweigen vor Anker, S. 37, 40; vgl. Aberwenndig, S. 279
*** Briefwechsel Hugo Bergmann, HugoBergmann – Arthur Hübscher, ArthurHübscher, an EB ausgeliehen
**** Endgültiger Titel: „In Zweifel gezogen, dehnt sich der Glaube aus“
An Michael Wirth, MichaelWirth, 25. Februar 1997 Nr. 36
Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, an Max Rychner, MaxRychner zu erinnern, den ich von Herzen liebte.
Ich habe Rychner, MaxRychner nie aus meinen Augen und meinen Ohren verloren; Wachheit, Lache, Regung und Anregung, die ich in seinem Angesicht wahr- und aufgenommen habe, bleiben aufbewahrt. Nie habe ich versäumt, seinen Namen zu nennen und jedes darauf folgende Echo bereitwillig und breit aufzunehmen.