Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948695712
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deutlich gemacht hatte, äußerst menschliche Züge angenommen hatte. Eine Elfe wollten die menschlichen Soldaten nicht als Befehlshaber. Menschliche Krieger waren anders als elfische. Sie waren ungezähmt und wollten kriegerische Anführer, die sie bewundern und denen sie voll Zuversicht aufs Schlachtfeld folgen konnten. In aller unschönen Klarheit: Menschliche Krieger waren schwach. Darum brauchten sie eine starke Führung. Und wie Brigadier Ragna MacGythrun – er mochte im Alleinen aufgehen – sehr anschaulich demonstriert hatte, war sie seiner Meinung nach nicht stark genug. Sie war keine Kriegerin, wie es die Menschen von ihrem Anführer erwarteten. Aber wer weiß, vielleicht konnte sie ja eine werden.

      Eine Vorkehrung hatten sie und der neue Brigadier auf jeden Fall getroffen. Der längst in Auftrag gegebene Adjutant für sie sollte bei ihrer Rückkehr auf der Meerjungfrau bereitstehen. Blieb zu hoffen, dass es sich dabei nicht um einen weiteren Attentäter wie im Falle Hulda Moirens handelte. Blieb zu hoffen, dass er kein Elfenfeind war.

      Siralen hatte sich an die Spitze der Kolonne begeben und blickte in den klaren Nachthimmel. Noch herrschten kühle Temperaturen, und der Marsch durch den Wüstensand war nicht allzu beschwerlich, abgesehen von dem unsteten Sandboden, der bei jedem Schritt seine Oberfläche änderte. Der Morgen und damit die unbarmherzige Wüstensonne waren aber nicht mehr weit, und ihr graute davor, was Letztere mit ihnen machen würde.

      Ein Seitenblick erinnerte sie daran, dass Darcean ein wahrer Herzensfreund war. Er hatte sich nicht davon abbringen lassen, sie auf diesen Einsatz zu begleiten, obgleich es wohl keinen Elfen gab, der sich gerne der Hitze der Wüste aussetzte. Es war schön, ihn bei sich zu wissen. Sie vermisste Tauron, der selbstverständlich bei der Flotte hatte bleiben müssen.

      Darceans gestraffte Schultern verrieten Siralen, dass er so angespannt war wie sie. Und dann war da noch der Barde zu ihrer Linken, der den angespanntesten Eindruck von ihnen allen machte.

      „Was ist das?“, fragte Siralen und schielte auf das seltsame Holzgestell in Irwin MacOsborns Hand.

      „Ein Sonnenschirm“, jammerte er. „Aber er funktioniert nicht richtig. Ich kann ihn nicht aufspannen. Wenn die Sonne aufgeht, wird sie mir die Haut verbrennen. Und das wird in spätestens zwei Glas so weit sein.“

      Siralen war schwer versucht, ihn nach hinten zu schicken, nur um sein weinerliches Gesicht nicht sehen zu müssen. Der Tod des Brigadiers Ragna MacGythrun hatte den Barden sehr mitgenommen, was sie natürlich verstehen konnte. Es hieß, die beiden hatte so etwas wie Freundschaft verbunden. Andererseits schien Irwin MacOsborn von allem mitgenommen, und sei es auch noch so unbedeutend.

      „Ihr werdet es überleben.“

      „Meint Ihr? Ich weiß nicht …“ Er hob das traurige Gestell hoch und schob die Unterlippe vor. „Niemand wollte mir einen bauen, nicht einmal einer dieser KEZS-Zwerge. Dabei sind die doch für unsere Ausrüstung zuständig, oder nicht? Die Zwerge … Ich musste glatt selbst zu Schnitzmesser, Stoff, Nadel und Faden …“

      „Ich bedauere Euren Kummer aufgrund des Hinscheidens Ragna MacGythruns, aber verschont mich mit Euren anderen Leiden, Irwin. Und im Übrigen seht Ihr das falsch. Die KEZS sind Pioniere und keine Handwerker. Sie sind keinesfalls dazu da, uns auszustatten.“

      Das beleidigte Gesicht des Barden sah sie nicht mehr. Der beunruhigte Ruf eines Kentauren-Spähers drang von einer der Dünen: „Unbekannte Lebensform einen VALM westlich!“

      Ein „Kommandant“ am Ende des Satzes blieb erwartungsgemäß aus. Siralen hatte noch keinen Kentauren erlebt, der sich unterordnete, egal wie angesehen ein möglicher Vorgesetzter auch war. Kentauren waren nur dann eine Hilfe, wenn sie aus eigenem Antrieb handelten. Dann war ihre Hilfe allerdings eine unermessliche Bereicherung. So wie jetzt. Ein Kentaur war auf seinen vier Hufen wesentlich schneller als ein Mensch oder Elf auf zwei Beinen.

      Siralen drehte sich zu O’Hara um. „Gebt den Befehl zum Halten, Brigadier!“

      „Haaaaalt!“, wandte sich der Brigadier an seine Truppen und blieb stehen. Sobald das zweite Bataillon stillstand, erreichte sie auch der Späher und trabte an Siralens Seite. Er hieß Kyllaros und war einer der jüngsten Kentauren, die sie auf die Expedition begleitet hatten. Siralen fand, er sah stattlich aus. Und hätte er keinen derart animalischen Unterbau, hätte sie sogar Gefallen an ihm finden können.

      „Die gesichtete Lebensform hat das Aussehen eines Wurmkäfers auf tausenden Beinchen“, berichtete er. „Die Kreatur ist an die zwölf Schritt lang. Eine Art … Insekt, nehme ich an.“

      „Hat es Euch angegriffen?“

      Kyllaros zog fragend die Stirn in Falten. „Nein. Ich war aber auch nicht in der Stimmung, mich ihm zu nähern“, erklärte er trocken.

      Siralen nickte. „Danke. Lasst uns weitergehen“, wandte sie sich an den Brigadier, der umgehend Marschbefehl gab.

      Chara stieß dazu, und der Kentaur setzte sich ab. Schwer zu sagen, ob es da einen kausalen Zusammenhang gab.

      Die Assassinin hatte sich bis jetzt in der personenfreien Zone zwischen Soldaten und Spähern in düstere Schweigsamkeit gehüllt. In letzter Zeit lag auf ihrem Gesicht ein permanenter Schatten.

      Nachdenklich blickte Siralen über die Schulter und suchte den Lichtjäger. Er war nirgendwo zu sehen. Vermutlich bildete er das Schlusslicht. Wie Chara darum bemüht, einen gemessenen Abstand zum Rest der Expeditionstruppe zu halten … sich ebenso wie Chara in Schweigsamkeit hüllend und die Einsamkeit suchend. Und vermutlich war Kerrim irgendwo in seiner Nähe. Der Lichtjäger und der Assassine waren scheint’s beste Freunde geworden. Man sah selten den Einen ohne den Anderen. Die vier Schwarzen Assassinen, die den Trupp begleiteten und die Siralen, gelinde gesagt, unheimlich waren, hielten sich wie ihre „weißen“ Kollegen gewöhnlich in Kerrims Nähe auf.

      „Machst du dir Sorgen, Siralen?“

      Siralen blickte zu Chara. „Natürlich. Du etwa nicht?“

      „Ich schätze, niemand hat mir je beigebracht, dass es lohnt, sich Sorgen zu machen.“

      „Ich nehme an, das ist ein nicht von der Hand zu weisender Vorteil, wenn man Entscheidungen zu treffen hat. Keinerlei Sorgen, wie die Konsequenzen aussehen könnten …“

      „Da hast du wahrscheinlich recht.“ Sie beschleunigte ihren Schritt, als wollte sie sich samt ihren Leibwachen wieder nach vorne absetzen. Siralen blieb an ihr dran und ließ Irwin und Darcean zurückfallen.

      „Denkst du, dass es sich bei den Angreifern auf den Stützpunkt um jene Wesen handelt, von welchen eines einst in Amalea auftauchte und sich Al’Jebals Leuten anschloss?“

      „Eines wie Schangra?“ Ein Schulterzucken, dann wechselte Chara das Thema. „Wir sollten spätestens ein Glas vor Mittag lagern und frühestens drei Glas später weitermarschieren.“

      Das war der Rat, den Siralen als Befehlshaberin der Expedition leider mehr als nötig hatte. Chara war einigermaßen vertraut mit den Bedingungen in der Wüste. Es hieß, bevor sie in Al’Jebals Dienste getreten war, hatte sie mit Telos Malakin und zwei weiteren mittlerweile verstorbenen Begleitern die aschranische Wüste durchquert – vom Valianischen Imperium über Icarian bis nach Billus, oder zumindest fast. Man erzählte sich, dass sie kurz vor Billus von Al’Jebals Orks und Assassinen aufgegriffen und in den Kerker geworfen worden war, zusammen mit ihren drei Begleitern. Erst danach schworen sie und Telos Al’Jebal die Treue. Und Chara wurde eine von seinen Hatschmaschin, obgleich man dem Alten vom Berg nachsagte, er würde niemals einen von anderer Hand ausgebildeten Assassinen in seinen Reihen tolerieren. Wie dem auch sei, Chara kannte die Tücken eines Marsches durch die Wüste. Darum gaben auch sie und Kerrim die nötigen Instruktionen an die Landstreitkräfte weiter, mit anderen Worten an sie, Siralen, und Brigadier O’Hara.

      Gerade schob die Sonne ihren leuchtenden Kugelleib über den Horizont. Der Morgen brach an. Und so erhaben und schön das Bild auch sein mochte, es kündete von gleißendem Licht und sengender Hitze. Beides würde ihren Marsch durch die Wüste zum grauenvollen Gewaltmarsch werden lassen. Spätestens in zwei Glas stand die Sonne an einem Punkt des blassblauen Himmelszeltes, an dem sie ihre Strahlen wie glühende Pfeile