Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende. J. H. Praßl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: J. H. Praßl
Издательство: Bookwire
Серия: Chroniken von Chaos und Ordnung
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948695712
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erneut auf den Brigadier. „Die Lage hat sich geändert.“

      Ragna MacGythruns Gesicht blieb hart wie Granit. „Mag sein. Meine Entscheidung aber nicht.“ Genauso sah er auch aus – wild entschlossen. Gerade wollte Chara ihn daran erinnern, dass auf Meuterei die Todesstrafe stand, da kam ihr Siralen zuvor.

      „Ich werde nicht zulassen, dass wir einander bekämpfen wie gemeine Gegner auf dem Schlachtfeld. Wir sind des Friedens Willen hier. Frieden für jene, die in unserer Heimat dem Chaos entgegentreten müssen. Frieden für uns, die wir seit mehr als einem Jahr ums nackte Überleben kämpfen. Wir sind hier, um Frieden mit den Einwohnern dieses Landes zu schließen. Und es ist so gewiss wie der Wille des Weltgeistes, dass ich um des Friedens willen keinen Kampf in den eigenen Reihen toleriere.“ Sie trat unter dem Vordach ihres Zeltes hervor und blickte dem Brigadier gerade in die Augen. „Wenn es Euer und der Wunsch des Regiments ist, trete ich von meinem Posten als Kommandantin der Landstreitkräfte zurück.“

      „Dieses Pferd hast du verpasst, Siralen“, warf ihr Chara entgegen. „Die Meuterei, die du verhindern willst, ist bereits in vollem Gange.“

      „Haltet Euch da raus, Frau Flottenoberkommandantin!“, grollte der Brigadier.

      Chara öffnete ihren schwarzen Ledermantel und ein alarmiertes „Hoi!“ seitens Nok, Iti, Og und Ata durchbrach die Stille. „Das kann ich nicht. Ihr habt es zu meiner Angelegenheit gemacht.“

      Eine knappe Bewegung im Schatten neben der Kommandozentrale ließ Chara einen schnellen Blick riskieren. Lindawens Pfeilspitze war exakt auf Ragna MacGythruns Kopf gerichtet. Der Lichtjäger spielte dasselbe Spiel wie Kerrim. Es hieß: Niemand weiß, wo ich bin, was ich plane und wann ich zuschlage. Der Assassine und der Lichtjäger …

      Es war klar, was Lindawen ihr sagen wollte: Wenn der Brigadier den Befehl zum Angriff gab, würde es nicht nur Tote geben, es würde auch verdammt gefährlich für sie, Siralen und die Piraten werden. Und im Falle eines Sieges hätte der Brigadier alle Karten in der Hand, um das Expeditionskommando endgültig Geschichte sein zu lassen.

      Langsam schüttelte Chara den Kopf und Lindawens Pfeilspitze senkte sich Richtung Erde – wenn auch sehr zögerlich.

      „Ich werde jetzt von Fünf abwärts zählen“, rief ihr der Brigadier zu. „Wenn Eure Leute dann die Waffen nicht weggesteckt haben, gebe ich den Befehl zum Angriff.“

      Chara nickte nur. Wenn ihr schon mal jemand so offen die Stirn bot, dann würde sie ihm ebenso offen entgegentreten. Hatschmaschin hin oder her. Und bei genauerer Betrachtung, sie war ja gar keine Assassinin mehr.

      „Fünf!“, dröhnte Ragna MacGythruns Stimme über die blitzenden Helme seiner Soldaten hinweg.

      Das Problem war, dass sie ihre Zweililie nicht dabei hatte.

      „Vier!“

      Genaugenommen hatte sie gar keine brauchbare Waffe mitgenommen.

      „Drei!“

      Die Dad Siki Na gingen in Kampfposition, und Chara maß die Distanz zwischen ihr und dem Brigadier. Etwa zehn Schritte. Das war weit.

      „Zwei!“

      Binnen eines Herzschlags hatte Chara sich ihres langen Mantels entledigt …

      „Eins!“

      … und sprang.

      Siralen sah nur, wie Charas schwarzer Mantel fiel. Danach sah sie erst mal gar nichts. Aber als sich Charas Leibwächter in Bewegung setzten, wurde ihr klar, dass Chara den Brigadier gerade angegriffen hatte – mit einem gezielten Sprung. Einem Sprung, der sie zehn Schritt weit durch die Luft wirbeln hatte lassen. Siralen biss sich auf die Lippen. Und das Ganze meinetwegen.

      Sie zog das Schwert aus der Lederscheide, aber an Angriff war nicht zu denken. Wen sollte sie angreifen? Chara oder MacGythrun? Wer machte hier gerade einen Fehler? Machte überhaupt irgendjemand einen Fehler, abgesehen von ihr, Siralen, der ungeeignetsten Befehlshaberin weit und breit.

      Chara hatte Ragna MacGythrun einen Tritt gegen die Schulter versetzt. Der Brigadier geriet aus dem Gleichgewicht und taumelte zurück, sodass die Assassinin vor ihm auf dem Boden landete. Unvermittelt holte sie mit der Faust aus und schlug zu. Entsetzt verfolgte Siralen das eigentlich Unmögliche. Charas Schlag war so massiv, dass ihre behandschuhte Rechte durch Ragnas Brustpanzer krachte. Durch den Brustpanzer und …

      Als sich Ragnas Augen vor Schmerz weiteten, wusste Siralen, dass Chara nicht nur das Metall der Rüstung durchschlagen hatte. Ragna spuckte Blut, sein Blick war starr auf seine Angreiferin gerichtet. Als diese ihre Faust zurückzog, klappte der Brigadier zusammen, als hätte er einen Schlag in den Magen bekommen. Leider war es viel schlimmer als das.

      Der blutverschmierte Lederhandschuh an Charas Hand legte Zeugnis davon ab, dass die Flottenoberkommandantin buchstäblich ins Schwarze getroffen hatte. Jetzt stand sie da und blickte auf ihr Opfer hinab. Ragna MacGythrun griff zitternd nach seiner Brust. Seine Rippen waren zweifelsohne gebrochen. In der Lunge dahinter klaffte ein schwarzes Loch.

      Es wurde still auf dem Platz. Die Truppen starrten auf ihren röchelnden Kommandanten, dann auf Chara. Niemand wagte es, zu handeln oder sich auch nur zu bewegen. Ohnmächtig verfolgte Siralen, wie Chara neben ihrem Gegner in die Hocke ging. Sie murmelte etwas, das Siralen nicht verstehen konnte. Ein Beben schüttelte MacGythruns starken Körper. Seine Augen flatterten. Dann schlossen sie sich.

      Eine Weile bewegte sich Chara nicht. Dann stand sie auf und wandte sich zu den Soldaten um. Schockierte und verunsicherte Blicke streiften sie. Schließlich gellte ein neuer Befehl über den Platz. Diesmal stammte er vom Brigadiersanwärter Agawen O’Hara: „Bereit zum Angriff!“

      Jetzt hoben sämtliche Soldaten des zweiten Bataillons ihre Waffen zum Kampf und fokussierten die Seemänner, die ihrerseits in Kampfposition übergingen. Doch nichts geschah. Wieder schien die Zeit stillzustehen. Siralen flehte, dass die Vallander ihren Patriotismus über ihren militärischen Gehorsam stellten. Im Augenblick sah es tatsächlich so aus. Die Luft zwischen den beiden Allianzfraktionen schien wie aufgeladen. Die Krieger befanden sich in einem ausgewachsenen Dilemma – ein militärischer Aufstand oder ein Kampf gegen die eigenen Landsleute? Was war wohl das schwerwiegendere Verbrechen?

      „Euer Brigadier ist tot!“, rief Chara. „Beendet diese Rebellion und wählt einen neuen!“ Sie sah Agawen O’Hara an und wartete darauf, dass er ein Machtwort sprach. Doch nicht O’Haras Stimme, sondern die eines anderen Würdenträgers erhob sich über das Knirschen der Rüstungen des zweiten Bataillons. Die Stimme hatte einen warmen, freundlichen Unterton. Zugleich war sie kühn und entschlossen.

      „Agramon will, dass ihr eure Feinde hämmert, nicht eure Freunde!“

      Telos Malakin betrat den sandigen Boden des Platzes und steuerte im Geleit von fünf Ordenskriegern auf Chara zu, die sich mittlerweile erneut im Ring ihrer Leibwachen befand. Seine weiße Toga blähte sich im Wind, seine Rechte ruhte auf dem Kopf des Kriegshammers in seinem Waffengürtel, seine grauen Augen auf seiner alten Kampfgefährtin. „Im Namen der Priesterschaften beschwöre ich euch, diesen Kampf nicht auszufechten“, wandte er sich schließlich an O’Hara. „Wir befinden uns auf feindlichem Boden und könnten jederzeit von unseren Gegnern angegriffen werden, die uns noch dazu überlegen sind. Dies ist der falsche Zeitpunkt für eine Rebellion!“

      Chara zog sich die blutverschmierten Handschuhe aus und warf sie zu Boden. Eine eindeutige Geste.

      Nun gut. Siralen fasste sich ein Herz und trat zur Gänze aus dem Schatten ihres Sonnensegels. „Ihr habt Oberhohepriester Telos Malakin gehört. Ich schließe mich ihm an. Wir müssen uns auf einen Feind vorbereiten und sollten unseren Freunden nicht in den Rücken fallen.“ Entschlossen hielt sie auf Chara zu und positionierte sich an ihrer Seite. „Ich gebe euch mein Wort, dass ich mit eurem neuen Brigadier gemeinsam entscheide, ob ich das Kommando behalte oder dieses abgebe. Ich respektiere eure wie auch die Meinung Ragna MacGythruns. Wenn euer neuer Brigadier derselben Meinung ist und diese in eurem Namen vorbringt, werde ich sie hören und mich ihr beugen.“

      Das war ein Angebot, das dem Brigadiersanwärter eigentlich