Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik. Christoph Winkler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Winkler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846352861
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Stanford-Revisionen hatten vor allem deshalb Erfolge, weil sie doch sorgfältig konstruiert und geeicht, aber auch praktisch problemlos durchzuführen waren. Eine deutsche Bearbeitung von H. R. Lückert (1957) lehnt sich an die Stanford-Revision von Terman und Merrill aus dem Jahre 1937 an.

      In Deutschland beschäftigte sich bereits 1910 bis 1914 O. Bobertag mit der Übertragung des Binet-Tests auf deutsche Verhältnisse.

      Irmgard Norden gab 1953 das Binetarium – eine Zusammenstellung des Testmaterials – heraus. Damit war der Test so bearbeitet, dass er in Deutschland Verwendung finden konnte. 1954 wurde das Binetarium nochmals überarbeitet.

      In Deutschland wurden Eichversuche des Binet-Tests unternommen von Elisabeth Höhn, Gerhild von Staabs und Alf Kleiner.

      In der Schweiz sorgten Hans Biäsch, Josefine Kramer und Ernst Probst für die Ausbreitung und Überarbeitungen des Binet-Testsystems.

      J. Kramer war mehrere Jahre lang in Heimen tätig, in denen Kinder von 8 bis 16 Jahren betreut wurden. Zugleich war sie Leiterin einer Erziehungs- und Schulberatungsstelle. Kramer überarbeitete den Binet-Test besonders für Schulversager und weniger begabte Kinder (Groffmann 1971; Kramer 1972, 72–78).

      Wie bereits dargelegt, sollte nach Binet die Differenz zwischen IA und LA, d. h. die Abweichung von der altersmäßigen Intelligenznorm, als Richtmaß gelten. Es ergeben sich jedoch Probleme, wenn man die Intelligenzhöhe eines Menschen mit den Begriffen „Intelligenzvorsprung“ bzw. „Intelligenzrückstand“ in Form von Monaten und Jahren zum Ausdruck bringen will. An einem praktischen Beispiel soll veranschaulicht werden, dass die Bezeichnungen „Intelligenzvorsprung“ oder „Intelligenzrückstand“ die objektiven Tatbestände verfälschen können. So besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen einem 14-Jährigen mit einem Intelligenzrückstand von zwei Jahren (er befindet sich also auf der Intelligenzstufe eines 12-Jährigen) und einem vierjährigen Kind mit einem Intelligenzrückstand von ebenfalls zwei Jahren (es befindet sich auf der Intelligenzstufe eines zweijährigen Kindes). Es ist offensichtlich, dass ein Intelligenzrückstand von zwei Jahren bei einem vierjährigen Kind viel gravierender ist als bei einem 14-jährigen Jugendlichen, denn die Intelligenzentwicklung vollzieht sich beim Kleinkind viel rascher.

      Aufgrund dieser Probleme musste ein Maßstab gefunden werden, der die Gegebenheiten in objektiver Form darstellen konnte. Einen wichtigen Beitrag hierzu leistete William Stern (1871–1938) im Jahre 1912 mit der Einführung des Intelligenzquotienten (IQ). Stern schlug vor, den Quotienten aus Intelligenzalter und Lebensalter zu errechnen und damit ein „Entwicklungsmaß der Intelligenz“ zu bilden.

      Die Formel hierzu lautet:

      Später multiplizierte man mit 100. Dies ergab dann eine ganzzahlige „Quotientenskala“, so dass die Formel lautete:

      Es ist zu erkennen, dass dasjenige Kind den IQ 1 (100) aufweist, dessen Intelligenzalter genau dem Lebensalter entspricht. Bei überdurchschnittlich intelligenten Kindern müsste demnach der IQ größer als eins (unechter Bruch), bei unterdurchschnittlich intelligenten Kindern kleiner als eins (echter Bruch) sein. Hierzu einige praktische Beispiele:

IA:8 J.9 J.12 J.9;2 J. = 110 Monate
LA:8 J.12 J.10 J.10;4 J. = 124 Monate
IQ:1,00,751,200,89
(100)(75,00)(120,00)(89)

      Diese Darstellungen dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bereits W. Stern klar war, dass die Intelligenzentwicklung im Gegensatz zum Lebensalter nicht gleichmäßig fortschreitet, sondern in der frühen Kindheit rasch und später langsamer verläuft, bis sie schließlich, was angenommen wurde, zum Stillstand kommt, dass also keine lineare Beziehung zwischen IA und LA besteht. Das war der Grund für den Vorschlag des IQ, aber auch die Wurzel der Erkenntnis, dass selbst der IQ kein unbedingt konstanter Ausdruck von Vorsprüngen und Rückständen sein muss. Man weiß z. B. bei den Bearbeitungen von Norden (1953), Kramer (1972) oder Lückert (1957) nicht, „ob Kinder verschiedener Altersstufen bei gleichem IQ wirklich gleich, intelligent‘ oder bei demselben Kind der gleiche IQ in verschiedenen Lebensaltern dasselbe bedeutet“ (Groffmann 1971, 173).

      Binet-Tests wurden bis 1985 relativ häufig verwendet. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass der aufgrund der Binet-Tests bestimmte IQ kein Standardwert ist, „sondern ein Quotient aus einem Maß für intellektuelle Entwicklung, dem Intelligenzalter und dem Lebensalter“ ist. Der IQ von 1.00 bzw. 100 stellt nicht notwendigerweise den Mittelwert der IQ-Verteilung dar. Damit zeigen sich gewisse unsichere Implikationen, die mit der Verwendung der genannten Tests verbunden sind.

      Wichtige Richtungen der weiteren Entwicklung von Tests:

      1. Weiterentwicklung bisheriger Verfahren, Neuentwicklungen unter Einbezug des Säuglings bis zum Schulkind: Zu nennen sind in diesem Zusammenhang z. B. Namen wie Arnold Gesell (Beobachtung der Entwicklung des Säuglings und des Kleinkindes hinsichtlich Motorik, Reizanpassung, Lallen, ersten sprachlichen Äußerungen und sozialem Kontakt seit 1925), Charlotte Bühler sowie Hildegard Hetzer (Erfassung der kindlichen Entwicklungsstufen aus den wesentlichen Merkmalen der Körperbewegung, der sinnlichen Rezeption, Sozialität, Materialbeherrschung und Denkleistung seit 1928), Lotte Schenk- Danzinger (Entwicklungstests für Kinder vom 5. bis 11. Lebensjahr), Inge Flehmig u. a. (Denver-Entwicklungsskalen), Ernst J. Kiphard (Sensomotorisches Entwicklungsgitter für die Entwicklungsbereiche optische Wahrnehmung, Handgeschicklichkeit, Körperkontrolle, Sprache, akustische Wahrnehmung für das Alter von 6 bis 48 Monaten), Reimer Kornmann (Testbatterie für entwicklungsrückständige Schulanfänger).

      Dorsch (1963, 55) nennt noch die Entwicklung von „Spieltests“, die jedoch auch als projektive Verfahren Verwendung finden, wie z. B. von Gerhild v. Staabs den „Scenotest“, von Margaret Lowenfeld das „Weltspiel“ und von Charlotte Bühler den „Welttest“.

      2. Entwicklung sprachunabhängiger Tests (nonverbale Verfahren): Diese Verfahren reichen zurück bis zu den Formbrettern (Einlegebrettern), die bereits 1866 von einem französischen Arzt zum Training von „Schwachsinnigen“ benützt wurden (Dorsch 1963, 55).

      Als in der heutigen Zeit Verwendung findende nonverbale Verfahren kann man beispielsweise nennen den „Progressiven Matrizentest“ von Raven (1947, 1975), Tests zur Erfassung der Grundintelligenz von Weiss und Cattell (1997), evtl. auch Teile aus dem Intelligenztest von Kramer (1972) und den „Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder“ von Wechsler (Hawik-Revision 1985, WISC-IV 2011).

      3. Entwicklung analytischer Intelligenztests: Der Intelligenzquotient geht bei diesen Tests nicht etwa auf das Intelligenzalter zurück, vielmehr auf bestimmte Intelligenzfunktionen, die hinsichtlich ihrer Verteilung auf statistischem Wege mit Leistungsmittelwerten verglichen werden. Hierzu gehören die von Meili (1971) und Thurstone und Thurstone (1953) herausgegebenen Testserien sowie die von Wechsler 1939 entwickelte und erprobte Intelligenz-Skala für Erwachsene und der Intelligenzstrukturtest (IST) von Amthauer (1955).

      4. Die Entwicklung von Gruppentestverfahren: Aus der praktischen Notwendigkeit heraus, möglichst schnell qualifizierte Personen für bestimmte Aufgaben der amerikanischen Armee auszulesen, wurden Gruppentests entwickelt (Army-Alpha-Test; er setzt englische Sprachkenntnisse und Lesefähigkeit voraus. Army-Beta-Test als sprachfreier Test).

      Gruppentests wurden wohl erstmals von W. Stern entwickelt. Gruppentests sind z. B. der bereits genannte Intelligenz-Struktur-Test (IST) von Amthauer (1955), das Begabungs-Test-System (BTS) von Horn (1972), der Grundintelligenztest von Weiß und Cattell (1997), die speziell zur Überprüfung von schulleistungsschwachen Schülern entwikkelte „Schulleistungsbatterie für Lernbehinderte und für schulleistungsschwache Grundschüler“ (SBL 1 und SBL 2) von Kautter und Storz (2000, SBL 2 2002).

      Es gibt zahlreiche Gruppenverfahren, die auch für den sonderpädagogischen Bereich Bedeutung haben, wenn es beispielsweise um Intelligenz-, Schul-, Wahrnehmungsleistungen