Judentum. Johann Maier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Maier
Издательство: Bookwire
Серия: Studium Religionen
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846340721
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größer, denn es handelt sich um den Anspruch einer Minorität für seinen Gott als den Gott überhaupt, und auf Grund der Torahtheologie wird auch noch ein Anspruch auf Vorrang und die Forderung nach Gottesherrschaft (Theokratie) verbunden. Die Konkurrenz zwischen Torahgeltung und einer fremden Rechtsordnung war stets gefahrenträchtig, das Konzept einer allgemein akzeptablen Rechtsordnung konnte das Risiko begrenzen. So setzt ausgerechnet das Judentum, das sich selbst durch die Torah heteronom bestimmt und gebunden weiß, mit dem Konzept der noachidischen Gebote für Nichtjuden die Verpflichtung bzw. die Chance einer so gut wie autonomen Rechtssetzung voraus. Allerdings wurde betont, dass die Rechtsaufsicht bei Israel liegen soll. Auch die beiden ersten Gebote des Dekalogs, die Götzendienst und Gotteslästerung verbieten, setzen eigentlich eine monotheistische Universalreligion voraus, doch man verstand darunter eher eine Aufforderung zur Anerkennung des Gottes Israels als des einzigen Gottes. Die Konsequenz war, dass man Nichtjuden, welche die noachidischen Gebote auf sich nehmen, Anteil am endgültigen Heilszustand zuerkennt. Nichtjuden müssen und sollen nicht zum Judentum übertreten und die ganze Torah auf sich nehmen. Hingegen wird für die Endperiode der Geschichte, für die Zeit der messianischen Herrschaft, sehr wohl erwartet, dass alle Menschen ihre angestammten Religionen aufgeben und die sieben noachidischen Gebote auf sich nehmen, so die Autorität der Torah grundsätzlich und den Gott Israels praktisch als den einzigen Gott anerkennen. Da Muslime beschnitten werden und die rituelle Schlachtmethode des Schächtens befolgen, stand ihre Anerkennung als Noachiden außer Frage. Christen wurden hingegen lange als götzendienstverdächtig eingeschätzt und erst in der Neuzeit, aber wegen der Trinitätslehre und Christologie mit Vorbehalt, allgemein als Monotheisten anerkannt.

      Die Spannung zwischen schöpfungs- und erwählungstheologischer Sicht wird auch an der Wertung des individuellen menschlichen Lebens deutlich. Das Problem begegnet in einer unterschiedlichen Textüberlieferung des berühmten Satzes: »Wer ein Menschenleben (aus Israel) rettet/vernichtet, der rettet/vernichtet eine ganze Welt«. Die Passage ist mehrfach überliefert, teils mit, teils ohne »aus Israel«, und wird dementsprechend gegensätzlich verwendet (s. Reader, Nr. 4d). Das Verbot des Blutvergießens ist als noachidisches Gesetz allgemeinverbindlich, aber das betrifft ebenso wie das Dekalogverbot des Tötens nur die ungesetzliche Tötung, schließt also die Exekution von Todesstrafen und das Töten im Krieg nicht aus. Wer einem Israeliten an Leib und Leben Schaden zufügt, begeht allerdings ein gewichtigeres Verbrechen, und im jüdischen Recht wird darum auch häufig in diesem Sinne differenziert. In Bezug auf einen Israeliten gilt daher das spezielle Gebot der Lebensbewahrung (piqqûa

näfäš) und das Verbot der Unterlassung von Hilfeleistung bzw. der Verletzung der Beistandspflicht (Lev 19,16). Die Lebensbewahrung hat sogar Vorrang vor Gebotserfüllungen, Lebensgefahr verdrängt z. B. das Gebot der Arbeitsruhe am Sabbat. Der Lebensbewahrung dient auch das Konzept der Notwehr (nach Ex 22,1), und von daher wurde auch die Berechtigung einer präventiven Verteidigung zum Schutz des Volkes und des Landes Israel abgeleitet.

      Laut Gen 12 befahl Gott dem Abraham, ins Land Kanaan zu ziehen. Die Konstruktion der Genealogie auf Abraham hin und danach von Abraham aus über Isaak, Jakob und die Jakobssöhne begründet »Israel« vorweg, eine Größe, die historisch erst viel später zustande kam.

      Zeichen dieses Bundes zwischen Abraham und Gott (Gen 15 und 17) ist die Beschneidung der männlichen Israeliten, der erste wichtige Ritus im Lebenszyklus (s. Teil IV 6.1). Inhalt dieses Bundes ist die Verheißung einer Nachkommenschaft über Isaak/Jakob (s. Reader, Nr. 5) und der Besitz des Landes. Das Land Israel und darin wieder Jerusalem/Zion, die »Stadt des Heiligtums«, bilden mit der Torah, deren eigentlicher Geltungsbereich das Land Israel darstellt, den zentralen Bezugspunkt für alle traditionsbewussten Juden (s. Reader, Nr. 11).

      Gebot und Praxis der Beschneidung implizieren eine vorrangige Stellung des Mannes. Und dem entspricht auch seine erbrechtliche Stellung, insbesondere die Sonderstellung des erstgeborenen Sohnes. Nur der Mann ist auf die volle Torahpraxis verpflichtet, er gilt mit dem 13. Lebensjahr als bar miçwah (Gebotspflichtiger), was die zweite wichtige Station im Lebenszyklus (s. Teil IV 6.4) bedeutet. Im Reformjudentum wurde für die Töchter eine entsprechende Feier eingeführt und man spricht von einer bat miçwah. Traditionell ist der Mann – insbesondere in seiner Rolle als Familienoberhaupt – für die Erfüllung der religiösen Pflichten der Seinen verantwortlich. Und das, obwohl bereits in der Antike als Jude nur anerkannt wurde, wer von einer jüdischen Mutter abstammt. Die schöpfungstheologische Begründung des Verhältnisses von Mann und Frau (Gen 1,27) wird also durch eine erwählungstheologische ergänzt und differenziert. Die Kultgründung am Sinai (s. u.) bringt eine weitere, kultisch-rituelle Differenzierung von großer sozialer Reichweite mit sich.