Die von der Schöpfungsvorstellung her motivierte Buchstaben- und Zahlensymbolik und die Bemühungen um die Erstellung einer kalendarischen Ordnung, einer Zeitrechnung und einer Metrologie im Einklang mit den kosmischen Gegebenheiten sind Merkmale der jüdischen Religion geblieben. Was immer man dafür auch aus der Umwelt übernommen hat, es wurde der Torah untergeordnet, auch die Astrologie und die moderne Naturwissenschaft, denn nicht die Schöpfung bzw. die Natur selbst liegt im Brennpunkt des Interesses, sondern die Torah als dahinter stehende Schöpfungs- und Naturordnung.16
Israels Gott wurde zwar vom babylonischen Exil an als einziger Gott überhaupt proklamiert, aber die biblischen Gottesnamen und Gottesattribute haben immer für Spekulationen und Diskussionen gesorgt (s. Reader, Nr. 7.1–2). Zu geläufigen Umschreibungen wurden auch »der Ort« und »der Himmel« und sehr häufig wurde Gott durch sein Wort oder durch seine Gegenwart (šekînah) und dergleichen ersetzt. Das erweckte gelegentlich den Eindruck, dass zwei oder gar mehr göttliche Mächte oder neben Gott noch Engelwesen am Werk waren und sind, eine jenseitige Gottheit und eine Schöpfermacht, ein verborgener und ein sich (Israel) offenbarender Gott.17
Der erste, priesterliche Schöpfungsbericht verwendet die Gottesbezeichnung ′älohîm. Das ist ein Plural (von ′ älôah), der auch »Götter« heißen kann, zumeist aber wie ′ el für den Begriff Gott allgemein steht. Im Lauf der Zeit wurde ′ älohîm ganz bewusst mit Gottes Schöpferrolle und Richterrolle verbunden, während der Name JHWH (das »Tetragramm«) dem gnädigen Gott gilt, der sich Mose bzw. Israel offenbart hat. Die beiden Bezeichnungen sind aber nur zwei von vielen. Manche antiken Quellen setzen für JHWH die Aussprache mit den Vokalen a – e voraus, was eine Verbalform im Kausativ (jahwäh: ruft ins Dasein, verursacht Seiendes) ergibt. Besser bezeugt ist die Lautfolge a – u (Jahû), die durch alte griechische Übersetzungen sowie durch theophore Namensformen wie Netanjahu/Jehonatan etc. gestützt wird. Schon in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten ersetzte man die Aussprache von JHWH durch jene von ′ aDoNaJ »Herr« (Murmelvokal – o – a), griechisch kyrios (artikellos wie ein Eigenname), später auch durch »der Name« oder »der Ewige«. Im Mittelalter wurde JHWH mit den Vokalzeichen von `adonaj (»Herr«) punktiert, was von Christen missverstanden wurde und den Namen Jehovah verursacht hat.
In Ex 3,14 beantwortet Gott die Frage des Mose nach dem Namen mit ′ähjäh ′ ašär ,ähjäh, wörtlich übersetzt, etwa: »Ich werde sein, der ich sein werde«. Man hat den Nahmen JHWH von diesem Verb hjh (werden, sein) her zu erklären versucht. Und weil es in Ex 3,14 danach heißt: »′ähjäh hat mich zu euch geschickt«, wurde auch ,ähjäh für sich als Gottesname verstanden. In der Kabbalah bezeichnete man damit die erste Sefirah, die erste Wirkungsweise bzw. Seinsstufe, die aus der verborgenen Gottheit emaniert, und aus der wieder alle weiteren neun Sefirot und alles darunter emanieren, während JHWH für die zentrale sechste Sefirah verwendet wurde, ′ el für die vierte Sefirah (absolute Güte) und ′ älohîm für die fünfte h(absolute Strenge), ′ ädonaj (Herr) für die zehnte.
1.7 Die Erschaffung des Menschen, die Gottebenbildlichkeit und die Natur des Menschengeschlechts
Der priesterliche Schöpfungsbericht setzt die Erschaffung des Menschen auf den letzten Tag der Schöpfungswoche an, den Freitag. Gen 1,26 spricht dem Menschen eine stellvertretende Herrschaftsfunktion über die Schöpfung zu, daher fungiert als Abbild bzw. Repräsentation des Herrschers. Und zwar Mann und Frau zusammen, als »männlich und weiblich«, ohne erkennbare Abstufung (Gen 1,26 f) und als Abschluss der mit »sehr gut« bewerteten Schöpfung (Gen 1,31).18 Diese schöpfungsmäßige Gleichheit begründete aber keine sozialrechtliche Gleichstellung, denn in der kultischen Tradition wurde die Position der Frau gegenüber jener des Mannes merklich herabgestuft. In der älteren und noch recht mythisch gestalteten Schöpfungserzählung (Gen 2,4b–25) erscheint Eva von vornherein als ein dem Adam beigeordnetes Geschöpf. Rolle und Status der Frau konnten im Judentum daher schöpfungstheologisch nicht einheitlich begründet werden.
Der Sündenfall im Paradies führt zum Verlust der Ebenbildlichkeit, die im Gehorsam gegenüber Gottes Willen begründet ist, und darum wird vorausgesetzt, dass die Torah-Offenbarung am Sinai die Ebenbildlichkeit für Israel(iten) potentiell wiederbringt (s. Reader, Nr. 3).
Der Begriff Ebenbild Gottes setzt aber nicht nur die Gottähnlichkeit des Menschen, sondern auch die Menschenähnlichkeit Gottes voraus, und das verursachte heftige Auseinandersetzungen. Ihre Verfechter wussten sich v. a. durch die prophetischen Visionsberichte in Jes 6 und in Ez 1–3 bestätigt, in denen Gott bzw. die Erscheinung seiner Gegenwart (kabôd, später: šekînah) im Heiligtum als überdimensionale Königsgestalt thront. Doch gab es schon früh Tendenzen, Gottes Übermenschlichkeit und Überweltlichkeit deutlicher hervorzuheben, und biblische Passagen, in denen Gott körperliche und psychische Eigenschaften und Verhaltensweisen (Anthropomorphismen und Anthropopathismen) zugeschrieben werden, als bildliche Rede zu verstehen. Für die Volksfrömmigkeit verbürgte eine solche Redeweise zusammen mit der Vorstellung eines persönlichen Gottes die Gottesnähe. Wann immer aber unter Juden philosophische Bildung zum Zug kam, wurde der Widerspruch zur Vorstellung einer transzendenten Gottheit bewusst und entsprechend thematisiert. Im 13./14.Jh. n.Chr. entbrannten darüber so heftige Kontroversen, dass es fast zu einem Schisma kam. Der Kabbalah des Mittelalters gelang es, diesen Konflikt aufzulösen, indem sie an der absoluten Transzendenz der Gottheit selbst festhielt und die anstößigen biblischen Aussagen auf die aus der transzendenten Gottheit emanierenden zehn Sefirot (Wirkungskräfte der Gottheit) bezog. Damit konnte der Wortsinn der betroffenen Bibeltexte unbeschadet der anderen (drei) Schriftsinne beibehalten werden.
Der »sehr gute« Urzustand, versinnbildlicht durch den Garten von Eden, wird durch die Übertretung des göttlichen Gebots beendet.19 In der Folge muss sich der Mensch durch Arbeit ernähren, mit unsicherem Erfolg, weil der Acker verflucht ist, und wegen der eingetretenen Sterblichkeit muss er sich – mit besonderen Risiken für die Frau – fortpflanzen. Das aber wird nicht nur auf das erste Menschenpaar zurückgeführt, denn da war noch die Schlange, im späteren Verständnis der Satan, eine Macht, die den Menschen versucht und verleitet.20 Die neuen Zwänge des Daseins, das Wissen um Gut und Böse, somit die Notwendigkeit moralischer Entscheidungen und die Unentrinnbarkeit der Verantwortung bestimmen die menschliche Existenz nach dem missglückten Versuch, »wie Gott« zu werden. Kennzeichnend für diesen neuen Normalzustand ist der Brudermord Kains an Abel und die Rückführung zivilisatorischer »Errungenschaften« auf die Kainiter. Der stufenweise Niedergang der Menschheit wird überdies auch mit abnehmenden