Judentum. Johann Maier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Maier
Издательство: Bookwire
Серия: Studium Religionen
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846340721
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des Tempels konsequent auf das Leben aller Israeliten ausgedehnt worden, mit sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen, in der Umwelt stets ein Anlass zu Misstrauen und Anfeindung. Durch die Befolgung der Torahvorschriften wird Israel geheiligt. Dingliche Heiligkeit und personale Erwählungsheiligkeit sind von diesem kultischen Weltbild aus nicht zu trennen, erst das Reformjudentum hat die kultische Sichtweise aufgegeben und die personale, ethische Heiligung verabsolutiert. Dingliche und personale Heiligkeit wurden dabei wie in der christlichen Polemik gern gegeneinander ausgespielt, doch das kultische System setzt trotz aller betriebsartigen Merkmale durchaus eine angemessene Intention der Kultteilnehmer voraus, und das gilt für die Torahfrömmigkeit insgesamt: Die Forderung nach der rechten kawwanah (inneren Ausrichtung) spielt darum in der Erbauungsliteratur eine prominente Rolle.55 Von geringer Bedeutung ist demgegenüber die Rolle von Einzelpersonen als typenhafter Verkörperung von Heiligkeit,56 denn die Erfüllung der Erwählungsaufgabe ist eben Sache des Kollektivs als einem heiligen Volk und einer jeden Gemeinde für sich als einer heiligen Gemeinde Israels.

      Aus den Erzählungen über die 40 Jahre der Wüstenwanderung (Lev-Num), deren Vergegenwärtigung am Sukkot-Fest bzw. Laubhüttenfest im Herbst liturgisch begangen wird, haben zwei Episoden eine nachhaltige Bedeutung erlangt.

      Der Tod des Priesters Aaron und die Einsetzung seines Sohnes Eleazar als Nachfolger (Num 20,22–29) setzt zwar die Erbfolge schon voraus, aber diese wird noch einmal durch den Zelotismus des Priesters und Heerführers Pinchas (Num 25) genauer definiert, und dabei ist von einem Priesterbund die Rede. Pinchas wird neben dem Propheten Elias zum Vorbild für zelotisches Handeln im Fall eines Rechtsnotstandes. Demgegenüber erfolgt – teilweise konkurrierend – die Einsetzung des nicht aus dem Stamm Levi stammenden Josua als Nachfolger des Mose in dessen politisch-militärische Funktion (Num 26,12–23). Diese herrscherliche Gewalt ist delegierte Gewalt, Josua wird (Num 27,19) durch den Priester Eleazar eingesetzt. Die Spannung zwischen priesterlichem Vorranganspruch und königlich-staatlicher Gewalt kennzeichnet die jüdische Geschichte bis zur Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n.Chr. Danach tritt an die Stelle des priesterlichen Anspruchs und der priesterlichen Torah-Kompetenz der Anspruch der rabbinischen Torahgelehrsamkeit. So blieb diese Spannung eigentlich weiter erhalten, und im modernen Staat Israel kommt sie auch wieder institutionell verankert zur Wirkung.

      Im Blick auf nichtjüdische Staaten hingegen verlangt das oben erwähnte Konzept der Noachidischen Gebote eher ein religiös neutrales Staatswesen bzw. eine staatliche Ordnung, die der jüdischen Torahpraxis möglichst keine Schranken setzt.

      Der Zug durch die Wüste hin an die Grenzen des verheißenen Landes hat für jüdisches Geschichtsbewusstsein den Charakter einer Periode der Erprobung und Läuterung, als Vorbereitung auf die Erfüllung der Verheißungen erhalten. Auch die Heimkehr aus dem babylonischen Exil 538 v.Chr. und die Übergangszeit zum endgeschichtlichen Heilszustand, der messianischen Herrschaft bzw. Gottesherrschaft, wurden darum später als Wüstenzug umschrieben.

      Die Landverheißungen setzen voraus, dass Gott über das Land verfügt und er es Israel zur Verfügung stellt. Die dort ansässigen sieben Völker hatten daher die Wahl, sich zu unterwerfen und das Land für die Israeliten freiwillig zu räumen, oder dem Bann zu verfallen, der kriegerischen Unterwerfung mit Ausrottung aller männlichen Bewohner.

      Die jüdische Rechtstradition hat mit der Landnahme drei Vorschriften verbunden: »Drei Gebote sind Israel zur Zeit des Eintritts ins Land befohlen worden: (1) Sich einen König zu ernennen, denn es heißt (Dt 17,15): sollst du über dich setzen einen König (vgl. Mose b. Maimon, Sefär ha-Miçwôt, Gebot 173). (2) Die Nachkommenschaft Amaleks auszurotten, denn es heißt (Dt 25,19): Du sollst austilgen das Andenken Amaleks (a.a.O. Gebot 188); (3) Das Haus der Erwählung (den Tempel) zu bauen, denn es heißt (EX 24,8): Und sie sollen mir ein Heiligtum machen (MT, Hilkôt melakîm I, 1).«

      Die Bücher Josua, Richter, 1–2 Samuel und 1–2 Könige, die »Frühen Propheten«, werden in der atl. Wissenschaft als deuteronomistisches Geschichtswerk bezeichnet. Kennzeichnend ist eine schematisierte Geschichtsauffassung, auf Grund deren Personen und Ereignisse danach positiv oder negativ bewertet werden, ob sie den Forderungen der Torah entsprechen oder nicht. Israels Geschick hängt also von seiner Torahpraxis ab, und weil Israel als einziges Volk auf die Torah verpflichtet ist, kommt ihm eine Art Stellvertreterrolle zu: für den Lauf der Heilsgeschichte ist allein Israels Verhalten relevant, die Völker ringsum sind nur soweit von Bedeutung, als sie Israel behindern oder gewähren lassen und eventuell sogar fördern. Diese Überzeugung kennzeichnet das jüdische Geschichtsbewusstsein insgesamt.

      Die Periode der Richter hat vergleichsweise wenig Eindruck hinterlassen. Es gilt vielmehr, dass die nach dem Tod Josuas amtierenden »Ältesten« ihren Aufgaben nur unzureichend gerecht geworden sind. Gott musste Israel daher von Zeit zu Zeit durch eine charismatische Retterfigur vor dem Schlimmsten bewahren. Der Höhepunkt der Fehlentwicklung wurde unter dem Priester Eli am Heiligtum der Bundeslade zu Schilo erreicht, doch mit der Berufung des Samuel und danach mit der Herrschaft Davids und Salomos setzt wieder eine positivere Entwicklung ein. Das Feindbild, das die Schilderung dieser Periode bestimmt, stellen die (unbeschnittenen!) Philister dar, die aus dem Heiligtum von Schilo die Bundeslade als Beute mit sich genommen hatten und Israel lange Zeit zu unterwerfen suchten.