1.4 Schöpfungsplan und Naturordnung
Der erste Schöpfungstag impliziert als Tag 1 der Woche, dass davor Sabbat war, ein Ur-Weltensabbat. Man nahm daher später an, dass die Weltgeschichte nach 6 Zeiteinheiten (vor allem 6 Millennien) wieder auf einen Weltensabbat hinausläuft. Die Sabbatzyklen sind also nicht jenem Zeitlauf unterworfen, der mit der Erschaffung der Himmelskörper am 4. Schöpfungstag einsetzt, sie sind vorzeitlich und strukturieren die geschichtliche Zeit auf eine übergeschichtliche Weise, bringen Ewigkeit in die Zeit. Und da die Kultdienstordnung, der Wechsel der Dienstabteilungen, an die Sabbatzyklen gebunden war, gilt auch sie als ewige Ordnung. Symbolik und Festlichkeit der Sabbatfeier erhielten von daher ihre besondere Note (s. Reader, Nr. 2). Auch die Erwähnung der Sabbatheiligung im Schöpfungsverlauf wurde als Hinweis darauf verstanden, dass die Sinai-Torah an sich vor- und überzeitlich ist, denn die Sabbatheiligung gilt als ja eines der Torahgebote vom Sinai und nur für Israel allein verbindlich.
Folglich sprach man von der Torah als Schöpfungsplan, gottverfügter Naturordnung (s. Reader, Nr. 1 und 3), und das Bild von der Torah als Bauplan der Schöpfung war im hellenistischen Judentum wie in der rabbinischen Tradition bekannt. Dies bestimmte auch das Verständnis des ersten Wortes der Bibel (br′ šjt) in Gen 1,1 als »mit Anfang« und nicht als »am Anfang (hat Gott geschaffen)«. Und dieser Anfang ist die Schöpferweisheit, die Torah, der schon in Prov 8,22.30 vorweltliche Existenz zugesprochen wird und in Prov 8,22 r′ šjt drkw, »Anfang Seines Weges« heißt. Folgerichtig hat man angenommen, dass die Torah als Gottes ewige Weisheit und unveränderlicher Wille auch auf Erden nicht aufgehoben oder geändert werden kann.
Drei Motive haben sich von dieser schöpfungstheologischen Voraussetzung her mit dem Begriff Torah verbunden. Das erste ist das Licht, wobei dem Licht des 2. Schöpfungstages – vor der Erschaffung der Himmelskörper am 4. Tag – besondere Bedeutung zukommt.11 Das zweite Motiv ist das Leben, und dazu gehört als drittes das Wasser im Sinne von »Wasser des Lebens/Lebenswasser.« Und selbstverständlich markieren die Gegensätze Finsternis, Tod und Torheit bzw. Unwissenheit, ein Leben ohne oder gar gegen die Torah. Damit war ein relativer dualistischer Ansatz vorgegeben, der jedoch wegen der schöpfungstheologischen Verankerung der Torah zu keinem absoluten Dualismus führen konnte. Die Torah wurde folglich als Lebensordnung und als Leben spendende Kraft begriffen, als Weg zum Leben, im Gegensatz zum Weg, der zum Tode führt. Im Mittelalter hat diese Torah- und Schöpfungstheologie in der Kabbalah ihre intensivste spekulative Ausprägung erfahren.12
Das theologische Konzept einer Torah im Sinne des offenbarten verbindlichen Gotteswillens ist offensichtlich älter ist als die inhaltliche Festschreibung. Schon in Dt 29,38 ist »Offenbares« das jeweils verbindliche, anwendbare Gottesrecht, das »Verborgene« der noch nicht offenbarte, aber vorhandene Gotteswille. Die Annahme, beides zusammen sei der Gotteswille schlechthin, die vollkommene Torah von Ps 19,8 (vgl. Josephus, Contra Apionem 2,184–189) und die Weltordnung, lag schon aufgrund der Kulttheologie mit ihrer Vorstellung von der kosmologischen Relevanz der kultischen Ordnung nahe. Dies alles verlieh der Torah eine universale und schöpfungstheologische Bedeutung, während erwählungstheologisch die Verpflichtung zur Torahverwirklichung auf Israel allein beschränkt blieb.
Weder die Orientierung am Mondlauf noch die Orientierung am Sonnenlauf ergibt eine volle Übereinstimmung mit den astronomischen Umlaufzeiten. Es kam daher zur Entwicklung unterschiedlicher Kalendersysteme, die einander aber nicht unbedingt ausschlossen, denn die Wahl eines Kalenders hing in erster Linie vom Zweck seiner Anwendung ab. Bis in die letzten vorchristlichen Jahrhunderte gab es in Israel auch einen Jahresbeginn im Frühjahr, vor allem in Verbindung mit einem vorrangig sonnenlauforientierten Kultkalender mit 364 Tagen, eingeteilt in 12 Monate zu je 30 Tagen (= 360) + 4 Quartals-Zusatztagen, wobei die Sabbat-bzw. Siebenerzyklen als vorgeschöpfliche Einheiten eine grundlegende Bedeutung für die Zeitrechnung hatten. Und in die Sabbatzyklen waren auch die Priesterdienstzyklen integriert.13
Seit dem 2. Jh. v. Chr. hat sich aber ein lunisolarer Kalender mit Jahresbeginn im Herbst durchgesetzt.14 Die Jahreslänge des durchgesetzten lunisolaren Kalenders richtet sich nach dem Sonnenjahr, der Monat wird nach dem Mondlauf bestimmt (Neumondfest) und zählt teils 29, teils 30 Tage. Die Monate heißen, nach den 4 Quartalen (teqûfôt) angeordnet:
I | 1. Tišrî (Sept/Okt) | 2. ešwan (Okt/Nov) | 3. Kislew (Nov/Dez) |
II | 4. Ţebet (Dez/Jan) | 5. Šebaţ (Jan/Febr) | 6. ′Adar (Febr/März) |
III | 7. Nisan (März/Apr.) | 8. `Ijjar (Apr/Mai) | 9. Sîwan (Mai/Juni) |
IV | 10. Tammûz (Juni/Juli) | 11. ′Ab (Juli/Aug) | 12. ′Elûl (Aug/Sept) |
Zum Ausgleich bedarf es eines Schaltmonats (Adar II) in jedem 7. Jahr. Der große Nachteil gegenüber dem alten 364-Tagekalender besteht darin, dass er kein feststehender Kalender war und die Neumondbestimmung bis in die späte Antike nur durch Beobachtung und anhand von Augenzeugen möglich war.
Die Wochentage werden nach ihrer Position zum folgenden Sabbat als dem »siebenten Tag«, mit Tag eins (Sonntag) sechs (Freitag) bezeichnet. Als liturgisch-halakisch maßgeblicher Tagesbeginn gilt der Vorabend, von alters her nach dem Erscheinen von mindestens drei Sternen; heute wird der Beginn im Voraus errechnet und publiziert. Die heilige Zeit des Sabbat oder eines Feiertags wird von der profanen zu Beginn mit dem Qiddûš (»Heiligung«) und zum Ausklang mit der Habdalah (»Trennung«) getrennt und in den betreffenden Benediktionen auf die Schöpfung und die Trennung zwischen Licht und Finsternis sowie zwischen Israel und den Völkern Bezug genommen.
Auf der Basis der 7-Tage-Woche (6 Wochentage + 1 Sabbat) wurden größere Siebenereinheiten konstruiert: Die Jahrwoche (sieben Jahre). Das siebente Jahr gilt teils als Brachjahr (keine Bestellung der Felder), teils als Erlassjahr. Die Jobelperiode zählt 7 Jahrwochen = 49 Jahre. Im 50. Jahr sollen die alten Familienbesitzverhältnisse wiederhergestellt werden und eine Sklavenfreilassung stattfinden, was eine symbolische Bedeutung als Vorwegnahme der endgeschichtlichen Befreiung bewirkt hat. Der Zeitabschnitt von 10 Jobelperioden (490 Jahre), also 70 Jahrwochen, diente in alter Zeit mit der Jobelperiode selbst als Mittel chronographischer Darstellungen.
Die traditionelle Zählung der Jahre ab der Schöpfung der Welt wurde durch die Vorstellungen von Weltzeitaltern