Das Reisebuch Europa. Jochen Müssig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Müssig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783734321962
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ist seit der sanften Revolution in die Höhe geschnellt. Wer einfache Prager Bürger in ihrer alltäglichen Umgebung oder auch in ursprünglichen Pivnices treffen will, muss schon in die Vororte fahren.

      Generell aber gilt: Frühmorgens oder am Abend, wenn die Karlsbrücke und das goldene Dach des Nationaltheaters im nebligen Dunst verschwimmen oder im warmen Licht der letzten Sonnenstrahlen glänzen, verzaubert sich die sonst so bunte Stadt in eine »Verführerin mit tausend Schleiern«, wie der Prager Miloš Forman (1932–2018), Regisseur des märchenhaften Mozartfilms Amadeus, seine Stadt genannt hat. In solchen Momenten gehört sie für kurze Zeit dem fantasiebegabten Besucher ganz allein.

       TOP image ERLEBNIS

      image KUNSTOASE KAMPA

      Die grüne Oase der Kampa-Insel, die von der Moldau und der Čertovka, dem Teufelsbach, umflossen wird und beste Blicke auf die Kleinseite und die Altstadt ermöglicht, gehört zu den Lieblingsplätzen vieler Prag-Kenner. Sie wird dominiert vom Palais Liechtenstein, einem Barockbau, der Staatsempfängen und anderen offiziellen Anlässen dient, und von einem idyllischen Ensemble alter Häuser, Klein-Venedig genannt, eingerahmt. Es gibt einen lauschigen Platz mit Cafés und Banken und das sehr sehenswerte Museum Kampa, das erst 2001 in eine restaurierte Wassermühle eingezogen ist. Es zeigt Werke aus der Sammlung des Ehepaars Meda und Jan Mládek, zum Beispiel abstrakte Gemälde von František Kupka und kubistische Skulpturen von Otto Gutfreund, ergänzt durch temporäre Ausstellungen. Zur romantischen Lage am Moldau-Ufer gleich hinter dem Kampa-Museum passt ein Besuch im rustikalen Fischrestaurant Rybářský club, das in einer alten Fischerhütte mit eigener Terrasse zu Hause ist.

       WEITERE INFORMATIONEN

       www.prague.eu

       www.prag.de

       www.myczechrepublic.com/de/prag

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       Moldaublick von der Kampa-Insel.

      image NIEDERE TATRA – ARCHAISCHE LANDSCHAFT

       Wanderfreuden mit besten Perspektiven

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       In der Niederen Tatra hat man die Hohe Tatra ganz für sich allein: Die Ausblicke auf die etwas höhere Gebirgsschwester sind gewaltig. Aber während dort fast alle 10 000 Gästebetten der Region stehen, haben Wanderer auf den historischen Kammwegen der Niederen Tatra Seltenheitswert. Auf den Pfaden begegnet man der heroischen slowakischen Vergangenheit – und ganz modernen Helden.

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       Oase der Erholung: der Gebirgssee Vrbické pleso.

      Seit einer Stunde stapft Pavel Beránek durch die Nebelschwaden. Keine Berge sind zu sehen, keine Sonne, kein Weg. Aber er weiß genau, wohin es geht: nach Durková Chata auf 1700 Meter Höhe. Pavel Beránek ist Sherpa. Er schleppt Kisten, Körbe und Säcke, fast 65 Kilogramm schwer: Schnaps, Wasserflaschen, Holzscheite, Zigaretten, Knödel, Kekse, Schokolade, Reis, beinahe alles, was der erschöpfte Hüttengast nach einer mehrstündigen Bergwanderung so braucht. Vysokohorsky nosici heißen die Lastträger der Tatra. Aber jeder sagt einfach »Sherpa« zu ihnen.

      Nach 1000 Höhenmetern mit besagten 65 Kilo auf dem Rücken reißt der Nebel auf. Der 25-Jährige hat es fast geschafft: Auf einer Wiese unterhalb des Grats ist Durková Chata zu sehen, eine kleine Hütte mit spitzem Giebel und einem schiefen Ofenrohr. Für das Liefern der Ware erhält er 13 Euro. Das macht 20 Cent pro Kilogramm. Ein Zubrot zum Studium, was aber noch wichtiger ist: Pavel liebt die Tatra, an deren Ausläufern er geboren wurde. »Beim Gehen in den Bergen fühlt man etwas Großartiges«, sagt er. »Und außerdem hasse ich Fitnessstudios.«

       Tierische Begegnungen auf dem Heldenweg

      Das lindgrüne, von Dörfern gesprenkelte Waagtal trennt die Niedere von der Hohen Tatra. 200 000 Hektar misst der Nationalpark der Niederen Tatra. Mit 2043 Metern als höchstem Punkt ist sie etwas kleiner geraten als das Schwestergebirge, und ihre kahlen Gipfel sind vielleicht nicht ganz so spektakulär. Aber der Rummel der Hohen Tatra, der fehlt eben auch: Hier gibt es keine Parkplätze und keine Zahnradbahn. An sieben Monaten im Jahr liegt Schnee. Zahlreiche Täler und Berge sind von November bis Anfang Juni gesperrt. Im Juli und August erreichen die Temperaturen im Tal durchschnittlich 21 Grad Celsius – und nur vier Grad am Berg.

      Dafür gilt der Boden als geschichtsträchtig: Im slowakischen Nationalaufstand gegen Hitler diente die Niedere Tatra den Partisanen als Rückzugsgebiet. Heldenweg heißt deshalb der 80 Kilometer lange Kamm-Trail. Mit ein wenig sportlichem Ehrgeiz könnte man in drei Tagen bis ans Ende der Niederen Tatra durchmarschieren, aber es geht doch auch langsamer – und damit schöner … Der Eindruck totaler Abgeschiedenheit wächst mit jedem Schritt: Abgesehen von Murmeltieren, einem einsamen Meteorologen, viel Enzian und Edelweiß sowie – in sicherer Entfernung – dem einen oder anderen Braunbären begegnet man niemandem. Aber immer ist der Ausblick auf die Türme, Hörner und Rücken der Hohen Tatra, die hinter der Waag wie steingewordene Palisaden in den Himmel ragen, umwerfend. In der Niederen Tatra hat man die Hohe Tatra ganz für sich allein …

       Urige Hüttenatmosphäre

      Durková Chata ist ein locker geführter Einmannbetrieb. Er besteht aus einem Matratzenlager, einer kleinen Stube und einer rußgeschwärzten Küche. Auf den vier Holztischen stehen Petroleumlampen, und über dem Ofen dampfen die nassen Socken von Wanderern. Immer wenn die Musik aussetzt, haut Juraj Sikula, der Hüttenvater, mit der Faust aufs Radio. Und knisternd kehrt die Melodie zurück. Die meisten Besucher der Tatra sind Slowaken, Tschechen und Polen. Insgesamt kommen rund 3,5 Millionen Touristen jährlich in die Tatra, die wenigsten davon besuchen den niederen Teil.

      Seit 1985 veranstalten die Sherpas der Tatra jeden Herbst eine Sherpa-Rallye: 60 Kilogramm Lastentragen über eine Distanz von 800 Höhenmetern, lautet die Aufgabe. Die Sieger der schweißtreibenden Knochenarbeit erhalten als Preis einen Tee. Pavel Beránek war nicht mit von der Partie: 13 Euro sollten es schon sein.

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       Wanderparadies mit toller Aussicht: die Niedere Tatra.

       TOP image ERLEBNISSE

      image UND NOCH EINE

      Fünf Stunden dauert der Marsch von der Durková Chata bis zur Kamenná Chata auf 1985 Metern: ein Weg entlang einer Abbruchkante, hinter der felsige Schluchten liegen, Gletscherseen und bewaldete Becken, in denen früher nach Gold geschürft wurde. In der Hütte gibt’s Rauchfleisch und eine Webcam.

      Berghütte Kamenná Chata mit Übernachtungmöglichkeit: www.kamennachata.sk

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