Das Reisebuch Europa. Jochen Müssig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jochen Müssig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783734321962
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sich flirrendes Leben entfaltet, in hippen Bars, Multikulti-Restaurants und Boutiquen. Und nicht weit entfernt liegt das idyllische Altstadt-Gewirr, Lieblingsrevier der Touristen, das sie gern aus dem Fiaker heraus fotografieren. Weiter im Norden befanden sich die einstigen jüdischen Wohnviertel, dort waren auch das Getto und der »Umschlagplatz«, von dem die Transporte in die Vernichtungslager abgingen; er hat seinen schrecklichen deutschen Namen behalten. Ein paar Schritte entfernt steht das neue gläserne Museum der polnischen Juden.

       Königsroute und historischer Kniefall

      Kontraste: Hier die Karmeliterkirche am Trakt Królewski, der Königsroute, ein Gotteshaus, das wie aus Italien versetzt wirkt und tatsächlich nach Bildern von Canaletto wieder aufgebaut wurde, weil es keine Bauzeichnungen mehr gab. Dort der »Constitutionsplatz«: Häuser aus kommunistischer Zeit, die an das alte Ostberlin erinnern. Zwei Trambahn-Stationen weiter südlich hängt Jung-Warschau in Kneipen mit alternativem Flair ab. Und, schier unglaublich, die Ferrari-Vertretung hat sich im ehemaligen Büro der kommunistischen Arbeiterpartei breitgemacht.

      Warschau, mit 1,7 Millionen Einwohnern halb so groß wie Berlin, nimmt nicht einen der ersten Ränge im europäischen Städtetourismus ein. Die Vergangenheit ist bitter, und an vielen Orten sind die Narben und die Mahnungen gegenwärtig. Aber die Lebensfreude von heute und das Kulturleben können es mit jeder anderen Metropole in Mitteleuropa aufnehmen: die Jazzszene, die Theater, die Filmfestivals und Chopin-Wettbewerbe ziehen hochkarätige Künstler an. Ein wichtiger Ortstermin steht noch aus: Hinter dem Jüdischen Museum versteckt sich ein kleines Relief, das den damaligen deutschen Bundeskanzler Willy Brandt (1913–1992) bei seinem Kniefall im Dezember 1970 am Mahnmal für die Opfer des Gettos zeigt. Eine sehr alte Dame sitzt auf einer Bank davor. Sie lächelt: »Viele Leute kommen nicht hierher. Es ist eine neue Zeit, es geht uns gut. So möge es bleiben für immer!«

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       Die Sigismundsäule auf dem Schlossplatz erinnert an den König, der Warschau 1596 zur Hauptstadt erklärte.

       TOP image ERLEBNIS

      image DAS ANDERE WARSCHAU – PRAGA

      Eigentlich ist Praga ein »Schmuddelkind«, das Lieblingsquartier der alternativen Szene, aber längst auch von Besuchern aus aller Welt entdeckt und frequentiert. Im Stadtteil auf dem rechten Weichselufer vermuteten noch vor nicht allzu langer Zeit manche Hauptstädter »den fernen Osten«. Der Name geht auf das slawische Wort für Brandrodung zurück. Ausgangspunkt eines Kiezbummels kann der »Rozycki-Basar« sein, nahe der Metrostation Wilenski. Direkt nebenan hat 2014/2015 das Museum von Praga eröffnet, eine Art Außenstelle des Historischen Museums Warschau. Es zeigt in drei Gebäuden, ergänzt durch einen Beton-Neubau, die Entwicklung der östlichen Stadtviertel, gewissermaßen den Hinterhof der Metropole. Alte Werkstätten, eine ehemalige Synagoge und ein gemütliches Café komplettieren das Ensemble. Zu Praga gehören, neben Musikkneipen und Off-Theatern auch die Florians-Kathedrale mit ihren beiden hohen Türmen und der Zoo.

       WEITERE INFORMATIONEN

       www.polen.travel/de

       www.warschau.info/praga

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       Bronzetafel zum Kniefall des Bundeskanzlers von 1970, einer Geste zur Versöhnung mit Polen.

      TRAUMSTRASSEN

      image DAS NÖRDLICHE POLEN

       Mit dem Wohnmobil nach Podlachien

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       Polen gehört zu den beliebtesten Auslandsreisezielen der Deutschen und klettert in der Rangliste weiter nach oben in Richtung Top Five. Eine attraktive Wohnmobilreise führt durch das nördliche Polen von Kujawien-Pommern über Masuren bis nach Podlachien im Nordosten.

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       Nest an der polnischen Storchenroute.

      Die große polnische Gastfreundschaft macht das Land auch für individuelle Reiserouten interessant, denn nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Land begegnet man Reisenden aus anderen Ländern mit Offenherzigkeit, freundlicher Neugier und ausgesprochener Hilfsbereitschaft.

       Gänsemarsch durch Kujawien-Pommern

      Polen ist berühmt für seine Gänse, und das Zentrum der Gänsemast liegt in der reizvollen Region Kujawsko-Pomorskie. Dort liegt auch die Stadt Toruń an der Weichsel mit ihrem mittelalterlichen Stadtkern, der seit 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Den berühmten Gänsen begegnet man nur an Markttagen, dafür sorgt aber das Thorner Pfefferkuchen-Museum für ein wohliges Gefühl in der Magengegend. Natürlich kommt auch keiner an dem imposanten Denkmal des Nikolaus Kopernikus vorbei, denn der berühmte Astronom wurde 1473 in Toruń geboren und ging hier zur Schule. Weiter geht es in die hübsche Jugendstilstadt Bydgoszcz, in der man die königlichen Brauhäuser, Speicher und Salzlagerstätten bewundern kann.

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       Der Branicki Palast und seine Gärten in Bialystok gelten als das polnische Versailles.

       Ferienzentrum Masuren

      Die Masurische Seenplatte ist das größte zusammenhängende Feuchtgebiet Europas, Rückzugsgebiet vieler bedrohter Vogelarten und bestens geeignet für Wanderer und Wassersportler. In Gałkowo sollte man im schönen Salon der Marion Gräfin Dönhoff Station machen, denn dort erfährt man alles über die Geschichte Masurens und den aus Russland stammenden Phillipponen, die früher in den hiesigen Dörfern lebten. Auf der Wanderung zum Krutyna-Fluss kann man die sanfte Landschaft hautnah erleben und eine Kanutour auf dem zahmen Krutinnen-Flüsschen unternehmen. Auch Łuknajno und das UNESCO-Biosphärenreservat Jezorio mit dem Lucknainer See sind sehenswerte Haltepunkte, bevor man den Spirdingsee besucht, den größten polnischen See. Dann geht es weiter nach Nikolaiken, einem der wichtigsten Ferienzentren der Region. Hier findet man alles, was das Urlauberherz begehrt.

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       In Toruń wurde 1473 der Astronom, Arzt und Domherr Nikolaus Kopernikus geboren.

       Podlachien – einsames Land im Osten

      In Podlachien finden Naturliebhaber, Wanderer und Wohnmobilreisende ein kleines Paradies. In den letzten Urwäldern Europas und verträumten Ortschaften scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Podlachien liegt im äußersten Nordosten des Landes und gilt mit insgesamt vier Nationalparks als eines der Naturparadiese Polens. Die Hauptstadt Białystok zählt rund 290 000 Einwohner, sonst ist die Region nur dünn besiedelt. Im Südosten der Woiwodschaft liegt eine der urwüchsigsten Landschaften Europas. Der Białowieski-Nationalpark ist das älteste Naturschutzgebiet Polens und Heimat der größten freilebenden Wisent-Herde