»Ich habe noch keine Schuhe, die zu dem Dirndl passen, das ich zum Trachtenumzug anziehen möchte. Obwohl, die brauche ich gar nicht mehr. Es sieht doch so aus, dass mich niemand mehr in Bergmoosbach sehen will.«
»Nicht alle sind gegen dich eingenommen.«
»Aber Jonas ist es, und das tut so weh.«
»Wer weiß, vielleicht klärt sich die Sache ja noch bis zum Wochenende auf.«
»Und wenn nicht, dann verabschiede ich mich mit einem großen Auftritt?«
»Auf jeden Fall«, antwortete Anna lächelnd. Sebastian hatte sie am Abend zuvor nach seinem Treffen mit Jonas angerufen und ihr erzählt, dass er seinen Verdacht gegen Eleonore ihm gegenüber geäußert hatte. Aber noch wollte sie Mona in dieser Hinsicht keine Hoffnung machen. Noch hatte Eleonore ihre Tat nicht zugegeben.
»Also gut, ich ziehe mich an«, sagte Mona und verschwand mit einem langen weißen Leinenrock und einer dunkelblauen Bluse mit niedlichen Puffärmeln im Bad.
Als sie wenig später zusammen mit Anna das Appartement verließ, wollte sie ihr Handy einstecken, aber sie hatte vergessen, es aufzuladen. Da der Akku leer war, ließ sie es zu Hause liegen.
*
»Elo, würdest du dir bitte endlich ein paar Minuten Zeit nehmen.« Jonas wurde allmählich ungeduldig. Als er am Abend zuvor nach Hause gekommen war, schlief sie schon, und nun hatte er das Gefühl, das sie ihm aus dem Weg ging.
Zuerst musste sie dringend in den Kräutergarten, dann in den Stall, danach auf die Weide und schließlich war sie ins Dorf gefahren, um einige Besorgungen zu erledigen. Als sie mit dem Fahrrad aus dem Dorf zurückkam, sprang er von seinem Traktor herunter, mit dem er gerade zu seinen Feldern fahren wollte, und baute sich vor ihr auf.
»Was willst du von mir?«, fragte Eleonore und vermied es, ihn direkt anzusehen.
»Du weißt, wie gefährlich dieser Riesenbärenklau ist?«
»Allerdings«, antwortete sie und zog den Strohhut tiefer ins Gesicht.
»Warum hast du ihn dann unter die Kräuter gemischt, die für Mona bestimmt waren?« Jonas hatte sich dafür entschieden, ohne Umschweife auszusprechen, wovon auch er inzwischen überzeugt war. Sebastian hatte recht. Eleonore war schon immer eifersüchtig auf seine Freudinnen gewesen. Es hatte ihn bisher nur nie gestört, deshalb hatte er es nicht ernst genommen.
»Was unterstellst du mir denn da?«, entrüstete sich Eleonore und schaute zu Boden.
»Hör auf mit der Komödie.«
»Komödie? Das ist doch wohl eher ein Drama, dass du diese Frau hier angeschleppt hast. Hast du nicht bemerkt, wie schnell sie alles eingenommen hat? Kaum war sie hier, spielt sie sich als Geburtshelferin im Stall auf, erobert meine Küche und läuft über den Hof, als sei sie bereits hier zu Hause.« Eleonore packte die beiden Einkaufstaschen, die an der Lenkstange ihres Fahrrades hingen, und wollte an Jonas vorbei ins Haus.
»Du hast es getan, um Mona loszuwerden, gib es zu, Elo.« Er hielt sie am Arm fest und sah sie mit blitzenden Augen an.
»Beweis es«, erwiderte sie, schüttelte seine Hand ab und marschierte ins Haus.
Wie konnte ich nur auf diesen Unsinn hereinfallen?, dachte Jonas. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und wollte Mona anrufen. Aber sie meldete sich nicht, weder auf ihrem Handy noch auf dem Festnetz. Nachdem er es einige Male versucht hatte, fuhr er zu ihr, aber da sie ihm nicht öffnete, ging er davon aus, dass sie nicht da war. Er wollte am Abend erneut zu ihr fahren, sollte er sie telefonisch nicht erreichen.
*
Mona stand noch eine Weile vor dem Appartementhaus, nachdem Anna sie abgesetzt hatte, und schaute auf das Dorf hinunter, in dem sie so gern heimisch geworden wäre. Wehmütig dachte sie an den schönen Nachmittag, den sie mit Anna in der Kreisstadt verbracht hatte. Sie waren durch die Fußgängerzone geschlendert, hatten Schaufenster betrachtet und ein paar Kleinigkeiten eingekauft. Auch ein Paar Schuhe passend zu ihrem Dirndl hatten sie entdeckt und schließlich auch gekauft. Anna hatte alles getan, um sie für eine Weile von ihrem Kummer abzulenken, und das war ihr auch gelungen. Aber als sie den Blick in Richtung Kastnerhof wandte, fragte sie sich, ob sie wirklich den Mut aufbringen würde, sich während des Trachtenumzugs noch einmal im Dorf sehen zu lassen. Das Verhältnis zwischen ihr und Jonas war doch gar nicht mehr zu kitten. Sie misstrauten einander, das war der Dolchstoß für jede Liebe. Nein, da war nichts mehr zu machen, sie musste sich damit abfinden, dass sie nicht hier bleiben konnte. Sie musste Abschied von Bergmoosbach nehmen, und sie musste ihren Großeltern erklären, dass sie wieder in die Stadt zurückging, weil sie in dieser Gegend keine Arbeit mehr finden würden.
»Geh nach München oder in eine andere Großstadt, da kannst du ganz von vorn anfangen. Hier hast du ohnehin keine Chance mehr.« Das hatte Eleonore zu ihr gesagt. Wie es aussah, hatte sie damit recht.
Sie wollte schon die Haustür aufschließen, als sie plötzlich an den Abend mit Jonas auf der Obstwiese denken musste, diesen ersten zärtlichen Kuss, der so viel versprach. In zwei Stunden wurde es dunkel, mit dem Fahrrad war es etwa eine halbe Stunde bis zur Wiese. Genug Zeit, um von diesem Ort, an dem sie so glücklich war, Abschied zu nehmen. Sie nahm ihr Fahrrad aus dem Fahrradständer vor dem Haus, löste das Schloss und machte sich auf den Weg.
*
Gleich nachdem Jonas an diesem Abend den Melkwagen auf der Weide geschlossen hatte, eilte er nach Hause, stellte sich unter die Dusche und zog danach seine helle Jeans und den hellgrünen Pullover an, der so gut zu seinen Augen passte.
»Wohin willst du?«, fragte Eleonore, die in der Küche am gedeckten Abendbrottisch saß und davon ausging, dass Jonas sich inzwischen beruhigt hatte.
»Denk darüber nach, ob du mir nicht doch die Wahrheit sagen willst«, sagte Jonas und ließ die Haustür hinter sich zufallen.
»Dieses Weibsstück hat ihm offensichtlich völlig den Verstand verdreht«, murmelte Eleonore und starrte auf den leeren Platz auf der Eckbank, wo sonst jeden Abend Jonas saß.
»Wo bist du?«, flüsterte Jonas, als er wenig später wieder vergeblich an Monas Tür läutete.
Den ganzen Tag hatte er versucht, sie anzurufen. Da sie sich nicht meldete, hatte er gehofft, sie wenigstens jetzt zu Hause anzutreffen. Um herauszufinden, was mit ihr los war, rief er Anna an. Sie erzählte ihm von ihrem Ausflug mit Mona in die Kreisstadt.
»Vielleicht macht sie noch einen Spaziergang«, sagte sie.
»Ja, vielleicht, danke, Anna.« Vielleicht wollte Mona ihm aber auch einfach nicht aufmachen, weil sie längst mit ihm abgeschlossen hatte, was nach seinem Verhalten ihr gegenüber auch kein Wunder wäre.
Statt sie in den Arm zu nehmen und sie zu trösten, als sie ihn brauchte, hatte er sie noch mehr verletzt. Wie sollte sie ihm das verzeihen?
»Mona, ich habe dich wohl nicht verdient«, flüsterte er und stieg wieder in sein Auto. Er wollte zu dem Ort fahren, an dem ihm bereits klar war, dass sie die Richtige für ihn war. Er hätte dieses Glück einfach nur festhalten müssen.
Mona lief durch die Reihen der Apfelbäume, wie sie es mit Jonas zusammen getan hatte. Die Äpfel dufteten verführerisch, und sie konnte kaum widerstehen, einen davon zu pflücken. Aber es waren nicht ihre Bäume, und sie war nur gekommen, um sich an einen wundervollen Moment in ihrem Leben zu erinnern. Sie lief wieder ein Stück die Wiese hinauf, wandte sich um und blinzelte gegen die tiefstehende Sonne, als sie über Bergmoosbach hinweg auf die vereisten Gipfel der Alpen schaute. Sie wünschte sich, dort oben in der Einsamkeit sein zu können, wenigstens für eine Weile, um in der eisigen Natur ihren Kummer zu vergessen.
»Vielleicht wäre es das Paradies für mich«, flüsterte sie.
»Hätte ich in diesem Paradies einen Platz?«, hörte sie plötzlich eine vertraute Stimme fragen.
»Jonas.« Sie fuhr herum und sah ihn erstaunt