Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980528
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der Wendelin anruft, dann grüß ihn von mir«, murmelte sie schläfrig.

      »Ich glaub kaum, dass er sich das trauen wird«, grummelte Anton, aber das hörte Kathi schon nicht mehr. Sie war eingeschlafen. Ihr Vater wusste sie in guten Händen und fuhr halbwegs beruhigt nach Bergmoosbach zurück. Wenn seine Tochter wieder zu Hause und in Sicherheit war, dann würde sie sicherlich erzählen können, was im Jagdschlösschen mit ihr und Wendelin passiert war.

      Leider wartete Burgl nicht ab, was Kathi zu sagen hatte, sondern sie erzählte mit wohligem Schaudern im Dorf die Geschichte so, wie sie sie sah. Aus dem Riss in der Bluse wurde zerfetzte Kleidung; anstelle übersät mit blauen Flecken, sei Kathi blutüberströmt gewesen, und panische Angst habe ihr die Sprache verschlagen. Wie tapfer sei das Madl gewesen, dass es den Unhold gezwungen habe, von ihr abzulassen und sie heimzufahren mit dem gebrochenen Bein.

      »Das ist ja eine unglaubliche Geschichte! Müsste sich darum nicht gleich der Gregor Leutner kümmern? Das ist doch ein Fall für die Polizei«, entsetzte sich Therese Kornhuber, die Burgl beim Einkaufen getroffen hatte.

      »Die arme Kathi!«, fiel Elvira Draxler sofort ein. »Wo sie doch grad erst so nett mit diesem noblen Herrn aus München im Steg-Haus ihren Geburtstag gefeiert hat. Das hat der Wendelin wohl gar nicht gut leiden können, dieser finstere Kerl.«

      Dorfpolizist Gregor kam das Gerede natürlich rasch zu Ohren. Er wusste, wie schnell ein falscher Eindruck entstehen konnte. Für ihn war die Sache längst nicht so klar wie manchen anderen Leuten. Trotzdem war es ein ernster Vorwurf, und er wollte auf jeden Fall mit Wendelin reden, aber weder tagsüber noch am Feierabend erreichte er ihn am Telefon. Weil es auf seinem Heimweg lag, schaute Gregor abends bei Wendelins Hütte am Sägewerk vorbei, aber dort war alles wie ausgestorben. Von Wendelin und Streuner keine Spur.

      »Dann wird er wohl sehr mit den Gästen vom Jagdschlösschen beschäftigt sein«, murmelte Gregor, »wahrscheinlich ist er mit denen auf der Jagd. Lorenz hat ja gesagt, dass Wendelin dort viel zu tun hat. Ich warte jetzt erst einmal ab, ob sich die Kathi bei mir meldet und Anzeige erstattet, und mit dem Wendelin spreche ich morgen, wenn er wieder aufgetaucht ist.«

      Aber selbst diese Kleinigkeit, dass der Polizist Wendelin telefonisch nicht erreichen konnte, machte sofort die Runde. Schnell unterstellte man ihm ein schlechtes Gewissen, und das rundete das Bild perfekt ab: Wendelin stellte Kathi nach, war eifersüchtig auf den spendablen Münchner und trat der jungen Frau zu nahe. Es kam zur Auseinandersetzung, bei der Kathi verletzte wurde. Nun lag das arme Madl im Krankenhaus, und Wendelin hatte das Weite gesucht.

      Als Sebastian abends noch rasch einige Lebensmittel in Fannys Geschäft einkaufte und diese Variante hörte, platzte ihm der Kragen. Es war noch nie vorgekommen, dass der Landdoktor laut wurde, und es machte ziemlichen Eindruck auf die Umstehenden. Er sprach Burgl direkt und sehr energisch an. »Frau Krämser, hören Sie auf, Geschichten zu erzählen, die Sie sich zusammengereimt haben«, sagte er sichtlich erbost. »Die ärztliche Schweigepflicht verbietet mir leider, mit diesem Sumpf aufzuräumen, aber so viel kann ich sagen: es hat sich alles ganz anders zugetragen! Sie schulden Wendelin Deggendorf eine große Entschuldigung.«

      So schnell ließ sich Burgl nicht den Wind aus den Segeln nehmen, noch nicht einmal vom geschätzten Landdoktor. »Wenn er nichts damit zu tun hat, wo steckt er denn jetzt, der Wendelin? Niemand weiß, wo er ist«, sagte sie triumphierend.

      »Das weiß ich nicht«, erwiderte Sebastian und schaute sie ernst an. »Vielleicht mag er einfach das Gerede über sich nicht mehr hören?«

      »Ach ja, er ist schon ein arg Gebeutelter, unser armer Wendelin«, sagte sein ehemaliger Schulkamerad Bernhard ätzend. Und hatte nicht die geringste Ahnung, wie wahr die spöttische Bemerkung in diesen dramatischen Stunden geworden war.

      *

      Wendelin war nach wie vor im Holzschuppen eingesperrt und konnte nichts anderes tun als fieberhaft warten. Man hatte ihm durch die Luke Wasser, etwas zu essen und für die Nacht eine Wolldecke gegeben. Er hatte sich wie im Gefängnis gefühlt, was ja tatsächlich der traurigen Wirklichkeit entsprach. Seine Versuche, mit Gisbert vernünftig zu reden, hatten zu nichts geführt. Der andere Mann war wie vernagelt und dachte nur an das aufregende Abenteuer Bärenjagd.

      Was Wendelin nahezu verrückt machte, war sein Handy, das draußen auf dem Tisch lag. Durch die vordere Luke konnte er es sehen, aber natürlich nicht erreichen. Er hörte es klingeln, und die Männer machten sich einen Spaß daraus, ihm zuzurufen, wer angerufen hatte. So wusste er, dass Gregor Leutner und der Landdoktor versucht hatten, ihn anzurufen. Wendelin ahnte, dass diese Anrufe etwas mit Kathi zu tun hatten, und fuhr fast aus der Haut. Er musste sich zur Ruhe zwingen, um den Gesprächen draußen zu lauschen, denn er wollte genau wissen, was die Jagdgesellschaft plante.

      Man hatte die Jagd bestens vorbereitet. Weil Wendelin nicht dafür in Frage kam, sich um den erlegten Bären zu kümmern, sollte das der Fahrer des Transporters übernehmen. Allmählich wurde den Abenteurern der Boden unter den Füßen zu heiß, und sie wollten sofort nach der Jagd abreisen. Deshalb wurde an diesem Abend kaum gezecht, sondern alle waren bald im Haus mit dem Zusammenkramen und Einpacken ihrer Sachen beschäftigt. Sie beluden ihre Autos mit dem Gepäck und gingen dann ins Bett. Nach und nach legte sich tiefe Ruhe über Haus und Hof, und aus den Wäldern war nur noch ab und zu der Ruf eines Käuzchens zu hören.

      Wendelin hockte auf dem Fußboden des Holzschuppens und versuchte, nicht den Mut zu verlieren. Er musste immer an Kathi denken und hoffte, dass sie inzwischen gut versorgt und möglichst schmerzfrei war. Weiter wagte er nicht zu denken, denn die Szene bei ihrer Familie zu Hause steckte ihm tief in den Knochen. Dass sogar Kathis Vater annahm, er habe seine Tochter so verletzt, machte ihn unendlich traurig und nahm ihm jeden Elan, sich gegen dieses Missverständnis zu wehren. Auch seine Sorge wegen der verrückten Bärenjagd wuchs. Ihm war immer noch nichts eingefallen, wie er auf die drohende Gefahr aufmerksam machen konnte.

      Plötzlich wurde er durch ein leises Geräusch aus seinen Gedanken gerissen. Die eine Lüftungsluke war vom Haus ab- und dem Wald zugewandt und genau dort hörte er ein Kratzen, Scharren und aufgeregtes Schnuppern. Wendelin ging hinüber und versuchte hinauszusehen. Was er sah, ließ sein Herz einen Satz machen: Streuner stand hoch aufgereckt auf den Hinterläufen und scharrte mit den vorderen aufgeregt an der Holzwand. Seine Rute wedelte wie verrückt und er winselte, zum Glück nur ganz leise.

      »Streuner! Mein Bester, wo kommst du denn her?«, flüsterte Wendelin außer sich vor Freude. »Komm her, mein Lieber, komm her.« Mit einem Arm konnte er den Hund erreichen, und die beiden feierten ein herzzerreißendes Wiedersehen. Das kluge Tier schien zu wissen, dass es ganz leise sein musste und bellte oder knurrte nicht. Streuner bohrte nur wie verrückt seinen Kopf in Wendelins Hand, fiepte vor Glück und leckte jeden Zentimeter Haut, den er erwischen konnte.

      Wendelin begriff, dass dieses seine einzige, hauchdünne Chance war. Er wusste, dass sein Handy immer noch draußen auf dem Tisch lag, und er dachte an die Tricks, die er mit Streuner geübt hatte. Würde das kluge Tier es unter diesen Umständen schaffen, ihm sein Handy zu bringen?

      »Du bist zwar nicht Lassie, aber vielleicht kannst du noch viel mehr«, murmelte er liebevoll. Nachdem er seinen Hund noch einmal feste gekrault hatte, lockte er ihn zu der gegenüberliegenden Luke, die sich zu Haus und Hof öffnete. Streuner rannte sofort um den Schuppen herum und nahm unter der anderen Öffnung Aufstellung. Wendelin wusste, dass es gefährlich war. Wenn jetzt zufällig jemand aus dem Fenster schaute, würde er Streuner wahrscheinlich sehen können, aber das musste Wendelin riskieren. Er musste seinem Hund die Richtung zeigen, in der er suchen sollte.

      »Streuner, sieh mich an!«, befahl er leise und eindringlich. Der Hund kannte die Stimmlage und schaute seinen Herrn intensiv an. »Wo ist mein Handy? Lauf und such mein Handy! Such!« Wendelin deutete mit seiner Hand in Richtung des Tisches. »Such!«

      Streuner sprang sofort in die angegebene Richtung und begann wie wild zu schnüffeln. Mit klopfendem Herzen verfolgte Wendelin die Suche. Nie hätte er sich träumen lassen, dass einmal einer seiner albernen Tricks so wichtig sein würde.

      Es dauerte keine zwei Minuten, da hatte Streuner das Handy auf dem Tisch entdeckt, sprang auf