Es war nicht besonders angenehm für sie, Gisbert an diesem Morgen zu begegnen und dabei gewohnt freundlich und höflich zu sein. Am liebsten hätte sie ihn mit kühler Nichtachtung behandelt, aber er war zahlender Gast im Jagdschlösschen, und sie arbeitete für ihn.
Kathi betrachtete ihr Gesicht im Spiegel und band mit energischen Bewegungen ihre Haare zusammen. Sie warf sich selbst einen ermunternden Blick zu und sagte laut: »Du bist Profi und wirst selbstverständlich die Bewirtung dieser Gäste bis zum Wochenende schaffen!«
Nach einem letzten Schluck Kaffee in der gemütlichen Bauernküche verabschiedete sie sich von ihrem Vater und wollte los. Burgl werkelte in der Geschirrkammer herum und konnte sich einen Kommentar nicht verkneifen. Sie wies auf das alte Buffet, auf dem Kathis Geburtstagstisch aufgebaut war. »Und denk dran, was ich dir über den Wendelin gesagt hab. Du weißt, was diese großen Bücher kosten. Überleg dir mal, was er wohl dafür von dir haben will.«
»Ach, Burgl, halt endlich deinen Mund. Du hast ja keine Ahnung«, rief Kathi gereizt. Sie war nervös, sonst hätte sie nicht so barsch mit der alten Frau gesprochen, das war nicht ihre Art. Ihr Vater warf ihr über den Rand vom Bergmoosbacher Tagblatt einen erstaunten Blick zu. Kathi zuckte ungeduldig mit den Schultern. »Ist doch wahr, Papa. Kaum macht Burgl den Mund auf, sagt sie etwas Negatives. Ich kann das nicht mehr hören.« Sie verließ ohne ein weiteres Wort die Küche und fuhr vom Hof.
Burgl kniff die Augen zusammen und sah missgünstiger denn je aus. »Das Madl hat Stress, da braut sich was zusammen«, sagte sie zu Anton. »Denk an meine Worte.«
Beim Jagdschlösschen begegnete sie als erstes Wendelin und Streuner, die gerade aus ihrem Jeep stiegen.
»Grüß Gott, Kathi. Hattest du gestern noch einen schönen Abend?«, begrüßte Wendelin sie freundlich.
»Wie man’s nimmt«, antwortete sie kurz und ging ohne eine weitere Erklärung zum Haus hinüber.
Wendelin stand leicht verdutzt da, Kathi war sonst nicht so kurz angebunden. Er wechselte einen Blick mit Streuner. »Der Kathi sollten wir heut wohl lieber aus dem Weg gehen, gell?«, fragte er leise. Streuner stupste zustimmend mit der Nase gegen seine Hand. Wendelin seufzte. »Na gut, kümmern wir uns halt um unseren Kram. Die Pumpe beim Brunnen funktioniert immer noch nicht einwandfrei und um das Gehörn des jungen Rehbocks, den sie heute Nacht geschossen haben, muss ich mich auch noch kümmern. Komm mit, mein Bester.«
Der Mann und sein treuer Gefährte gingen zum Schuppen hinüber, in dem das Werkzeug aufbewahrt wurde. Wendelin suchte nach einer ganz bestimmten Wasserrohrzange. Sie hing im hinteren Teil des Schuppens an einem rostigen Haken, der sich löste, als Wendelin nach der Zange griff. Sie fiel seltsam leise in den Spalt zwischen einer großen, alten Kommode und der angrenzenden Bretterwand. Wendelin räumte den Stapel Bauholz zur Seite, der den Spalt verdeckte, und wollte nach der Zange greifen, als er rauhen Stoff zu fassen bekam. Zwei alte Säcke waren in die Lücke gestopft worden, und darunter verbarg sich ein Rucksack, der Wendelin vage bekannt vorkam. Er war verhältnismäßig schwer, und sein Inhalt klapperte. Als er ihn öffnete, schnappte er nach Luft: der Rucksack enthielt vier Fangeisen!
Streuner winselte, als er die Spuren an dem einen Eisen roch und sah. Es war das, in dem sich das Wildschwein verfangen hatte. Wendelin dachte an den Morgen, als sein Hund sich so auffällig für genau diese Ecke des Schuppens interessiert hatte. »Das also hattest du gerochen. Du bist mein Allerbester«, sagte er anerkennend und kraulte Streuner kräftig das Fell.
Der Mann überlegte, was er als nächstes tun sollte. Die Polizei rufen? Der Rucksack allein war kein Beweis für Gisberts Schuld. Auf jeden Fall würde er gleich mit dem Förster sprechen, aber vorher wollte er mit Kathi reden. Sie traute Gisbert und sollte von dem Fund wissen. Um jetzt keinen Verdacht zu erregen, verschloss Wendelin wieder den Rucksack und verbarg ihn unter den alten Säcken. Dann ging er zum Haus hinüber.
Er kam zur selben Zeit, als mehrere der Gäste aus ihren Zimmern zum Frühstück herunter kamen. Sie wunderten sich, Kathi hier zu sehen.
»Nanu, du bist schon hier?«
»Wie unhöflich von Gisbert, dich zur Arbeit zu schicken, und er genießt noch das breite Bett im Hotelzimmer.«
»Ich lasse mich von niemandem schicken, aber ich erledige zuverlässig meine Arbeit«, antwortete Kathi kühl. »Hier ist euer Frühstück.«
»Und wo hast du Gisbert gelassen?«
»Keine Ahnung, wo er ist. Zuletzt habe ich ihn gestern Abend auf der Terrasse vom Steg-Haus gesehen«, erwiderte Kathi, während sie den Kaffee ausschenkte. »Vielleicht ist er noch oben in seinem Zimmer?«
»Ha! Du hast ihm einen Korb gegeben!«, johlte Bernhard und die anderen Männer stimmten lärmend ein. »Hab ich’s nicht gesagt? Er sollte nicht so sicher sein.«
Angewiderte wandte Kathi sich um. Seine Kumpel hatten also von seinen Plänen gewusst? Was für eine dämliche Bande! Sie musste sich Mühe geben, jetzt weiter höflich und zuvorkommend zu sein.
Wendelin hatte die Szene beobachtet und knirschte innerlich mit den Zähnen. Das musste ja ein unschönes Ende ihres Geburtstags gewesen sein. Er hoffte, dass die Entdeckung der Fallen in Gisberts Rucksack eine Genugtuung für sie war. Wendelin ging zu ihr hinüber und erzählte leise von seinem Fund.
Während er redete, arbeitete Kathi mit heftigen Handbewegungen weiter. Sie hörte nur mit halbem Ohr zu und antwortete scharf: »Lass mich endlich mit deinen wilden Geschichten in Ruhe, Wendelin! Dass du hier die Fallen gefunden hast, beweist noch gar nichts. Ich habe ganz andere Sachen im Kopf und will mit deinen Verdächtigungen nichts zu tun haben.« Energisch griff sie nach einem Stapel frischer Handtücher und lief die Stiege hinauf. Sie wollte oben die Betten machen und neue Handtücher neben die Waschschüsseln legen.
Wendelin war von ihrer heftigen Reaktion wie vor den Kopf geschlagen und konnte sie sich nicht erklären. Was mochte zwischen ihr und Gisbert vorgefallen sein, das sie so wütend gemacht hatte?
Eine Antwort darauf bekam Wendelin, als jetzt Gisberts Wagen in den Hof fuhr. Der Mann wurde von seinen Freunden mit Hohn und Spott empfangen, weil er sich einer heißen Nacht mit Kathi so sicher gewesen war. Gisbert parierte die Schadenfreude seiner Kumpel mit Schlagfertigkeit. Er ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihn die Abfuhr gekränkt hatte und wie sehr er sich über die Spötteleien der Männer ärgerte.
Erst als er oben in seiner Schlafkammer auf Kathi traf, ließ er die Maske der Überlegenheit fallen. »Für ein gutes Essen und teuren Champagner bist du dir also nicht zu schade gewesen«, sagte er und musterte die junge Frau aus schmalen Augen.
»Wenn du deine Einladung bereust, ist das deine Sache«, antwortete Kathi kühl und wollte das Zimmer verlassen. Die Dachkammer war sehr eng, und sie musste dicht an Gisbert vorbeigehen.
Er hatte zu viel Whisky getrunken und war immer noch nicht ganz nüchtern, anders ließ sich seine Reaktion nicht erklären.
Seine Hände schossen vor, umklammerten ihre Oberarme und rissen die junge Frau zu sich herum. »Spiel jetzt nicht die Unschuld vom Lande«, sagte er. »Was glaubst denn du, was nach Schampus und dem Festessen kommt? Ich habe eine Menge Geld für dich ausgegeben, da solltest du dich schon erkenntlich zeigen.«
In der ersten Sekunde war Kathi vor Schreck wie erstarrt, aber dann überrollte sie eine Welle tiefroter Wut. Mit aller Macht wehrte sie sich gegen seinen Klammergriff und zischte: »Bist du verrückt geworden? Lass mich sofort los!« Sie wand sich wie eine zornige Katze unter seinem eisernen Griff. Das hielt der Stoff ihrer leichten Sommerbluse nicht aus, und sie riss ein. Dadurch bekam Kathi etwas mehr Bewegungsfreiheit, und sie konnte seine Hände abschütteln. Von der Kammertür bis zur Stiege war es nur ein schneller Schritt. Kathis Fuß berührte schon die erste schmale Stufe, als Gisbert ein zweites Mal versuchte, sie zu fassen. »Verdammt, bleib stehen!«, brüllte er und wollte wieder ihren Arm packen. Aber aus dem Griff wurde ein Stoß, Kathi verlor den Halt und polterte Hals über Kopf die steile Stiege hinunter. Mit einem