Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980528
Скачать книгу
der helle Wahnsinn.«

      »Komm, Wendelin, nun sei kein Spielverderber.« Jetzt gab sich Gisbert kumpelhaft. »Wäre das nicht auch für dich eine irre Sache, auf eine Bärenjagd zu gehen? Du bist selbstverständlich eingeladen.«

      »Ja, irre ist genau das richtige Wort«, erwiderte Wendelin aufgebracht. »Du hast ja keine Ahnung, worauf du dich einlässt. Wie stellt ihr euch das überhaupt vor? Der Bär kommt hier aus dem Transporter, ihr lasst ihm einen gewissen Vorsprung, und dann kreist ihr Supermänner ihn ein und ballert los?«

      »Ich würde es anders ausdrücken, aber genauso ist der Plan«, antwortete Gisbert prahlerisch.

      Wendelin versuchte es mit Vernunft. »Denk doch mal vernünftig nach«, sagte er so ruhig wie möglich. »Du unterschätzt die Gefährdung, die von einem gereizten Bären ausgeht. Nicht nur ihr begebt euch in große Gefahr, sondern jeder, der sich in den Wäldern aufhält. Davon einmal abgesehen, begehst du eine Straftat. Du hast schon eine Menge Ärger wegen der Sache mit Kathi am Hals, willst du noch diesen Wahnsinn mit der Bärenjagd daran hängen?«

      »Mensch, Wendelin, das muss doch niemand erfahren«, sagte Gisbert und klopfte Wendelin kumpelhaft auf die Schulter. »Für dich springt auch noch eine Extra-Prämie dabei heraus. Wir sind hier doch ganz unter uns.«

      Wendelin wich vor ihm zurück und hatte schon sein Handy in der Hand. »Und ob das jemand erfahren muss!«, erwiderte er empört. »Dieser Wahnsinn muss gestoppt werden. Ich rufe jetzt die Polizei.«

      Gisbert war so schnell, dass Wendelin nicht rechtzeitig reagieren konnte. Er schnappte sich das Handy und warf es hinüber zu seinen Gästen, die es auffingen. »Nein, das wirst du nicht!«, sagte er drohend und winkte seinen Freunden näherzukommen. »Du wirst jetzt für einige Zeit verschwinden und uns unseren Spaß haben lassen.«

      Streuner begriff die Gefahr für Wendelin sofort und sprang mit einem wütenden Knurren auf Gisbert los. Dieser trat nach dem schnappenden Tier und brüllte: »Ruf deinen verdammten Köter zurück oder ich knalle ihn ab!«

      »Streuner, aus! Lauf, lauf!«, schrie Wendelin in höchster Angst um seinen Hund.

      Das treue Tier ließ zornig bellend von Gisbert ab, drehte sich irritiert zu seinem Herrchen um und verstand die Welt nicht mehr. Sein Mensch brauchte Hilfe und schickte ihn weg?

      »Lauf! Lauf weg!«, rief Wendelin wieder und deutete in den Wald.

      Streuner spürte, dass es seinem Menschen bitterernst war und rannte los. Mit großen Sätzen sprang er die Böschung hinauf und verschwand im Gestrüpp.

      »Sein Glück!«, knurrte Gisbert. Er fixierte Wendelin mit einem drohenden Blick. »Wir sind zu sechst und du bist allein. Willst du es darauf ankommen lassen?«

      Wendelin befand sich in einer aussichtslosen Situation. Weder kam er an sein Handy heran, noch käme er schnell genug zum Auto, um Hilfe zu holen. Auch zu Fuß würden sie ihm in dieser Überzahl den Weg abschneiden. Er versuchte tapfer, sich zur Wehr zu setzen, aber gegen die Übermacht kam er nicht an. Sie packten ihn und stießen ihn in den massiven, fensterlosen Holzschuppen. Die Tür flog zu und wurde von außen mit Schloss und Riegel gesichert. Er saß fest ohne die Möglichkeit, Förster und Polizei auf die drohende Gefahr aufmerksam machen zu können.

      »Ihr alle reitet euch immer tiefer in die Sache rein!«, schrie er und trommelte mit beiden Fäusten gegen die Tür. »Hört auf, ehe ihr die Folgen nicht mehr absehen könnt!«

      »Gib Ruhe!«, schrie Gisbert zurück. »Du kommst morgen Nacht wieder frei, wenn wir den Bären erlegt haben, also mach jetzt keinen Aufstand.«

      Wendelin war verzweifelt. Er konnte nicht fassen, dass sich erwachsene, einigermaßen intelligente Männer auf so ein unverantwortliches Abenteuer einließen. Er musste unbedingt verhindern, dass der Bär hier freigelassen wurde, nur wie? Aufgeregt schaute er sich im Holzschuppen um.

      Es gab kein Fenster, nur zwei kleine Luken zur Belüftung. Sie waren von innen mit hölzernen Läden geschlossen, die er zwar öffnen konnte, trotzdem konnte er nicht hindurch steigen. Sie waren so winzig, dass höchstens ein Kind hindurch gepasst hätte. Leider lagen hier weder Axt noch Beil oder ein anderes Spaltwerkzeug, mit er die Tür hätte aufhebeln können. Er hatte nur die Kraft seiner Hände und seiner Gedanken. Irgendeine Idee, wie er die Gefahr abwenden konnte, musste er doch haben!

      Wendelin versuchte, sich zu beruhigen und nachzudenken. Es machte ihn ganz verrückt, dass er hier festsaß, ohne auf sich aufmerksam machen zu können. Das Gelände des Jagdschlösschens lag sehr abgeschieden und war für Wanderer nicht einsehbar. Selbst wenn er mit seiner Taschenlampe irgendwelche verzweifelten Blinksignale sendete, es war niemand da, der sie sehen würde. Wendelin zermarterte sein Gehirn nach einer Lösung, während er gespannt nach draußen lauschte, um die Aktivitäten auf dem Hof nicht zu verpassen.

      Wie er hörte, bereitete man sich dort auf die Bärenjagd vor. Die Männer besprachen Strategien, reinigten ihre Gewehre und verkauften buchstäblich den Pelz des Bären, ehe sie ihn erlegt hatten. Es war aussichtslos, auf ihre Einsicht zu hoffen.

      Entmutigt ließ sich Wendelin auf den Hackklotz sinken und vergrub den Kopf in den Händen. Weil er kein Handy hatte, konnte er weder den Transport stoppen lassen noch bei Kathi anrufen und sich nach ihrer Verletzung erkundigen. Er wusste nicht, was von beidem für ihn das Schlimmere war. Sein einziger Lichtblick blieb, dass Streuner aus der Gefahrenzone verschwunden war. Von ganzem Herzen hoffte Wendelin, dass der Hund weit weggelaufen war und vielleicht, vielleicht Hilfe holte.

      Aber Streuner hatte gar nicht daran gedacht wegzurennen. Er lag flach gegen den Boden gepresst im Gestrüpp der Böschung, die den Hofplatz umgab, und nutzte instinktiv jegliche Deckung. Er hatte gesehen, wie man Wendelin in den Holzschuppen stieß. Streuner roch die Gefahr und spürte die angespannte Stimmung. Mit höchster Wachsamkeit scannte sein Blick immer wieder das Gelände. Er wartete auf die nächste Gelegenheit, unbemerkt zum Schuppen zu kommen.

      Niemals würde er seinen Menschen im Stich lassen, und müsste er Tag und Nacht hier ausharren.

      *

      Während sich die Situation beim Jagdschlösschen zuspitzte, hatte sie sich beim ›Gamsbart‹ ein wenig entspannt. Sebastian sah, wie aufgelöst Kathi war, und schickte freundlich, aber sehr bestimmt Burgl und auch den besorgten Vater hinaus. Tatsächlich beruhigte sich die junge Frau leichter, als sie mit dem Arzt allein war. Sebastian fragte nicht sofort, was genau geschehen war, er wollte Kathi noch ein wenig Zeit lassen, um sich zu sammeln.

      Seine Diagnose lautete: ein angebrochener Knöchel und Verdacht auf eine leichte Gehirnerschütterung. Kathi sollte für weiterführende Untersuchungen und zum Eingipsen ins Krankenhaus. Man würde sie für die Nacht dort behalten, aber morgen konnte sie wieder nach Hause. Sie musste das Bein schonen und durfte nicht auftreten, aber das sollte mit geeigneten Gehstützen kein Problem sein.

      Die Ruhe des Landdoktors färbte auf Kathi ab, und sie konnte ihm erzählen, wie es zum Sturz gekommen war. Sebastian schüttelte mitfühlend den Kopf. »Durchkreuzte Pläne und gekränkte Eitelkeit lassen manche Menschen die unmöglichsten Dinge tun«, sagte er. »Überlegen Sie in Ruhe, ob und wie Sie gegen ihn vorgehen wollen. Jetzt ist erst einmal wichtig, dass der Fuß eingegipst wird. Der Notverband ist eine große Hilfe gewesen, dadurch hat sich der Bruch nicht erweitern können.«

      »Wendelin hat mir den Verband angelegt«, erklärte Kathi.

      »Sehr gut, dass er daran gedacht und es so fachmännisch gemacht hat«, lobte Sebastian. »Im Forst passiert leicht ein Unfall. Es ist gut, dann Erste Hilfe wirklich zu beherrschen.«

      »Ja, ohne Wendelin wäre ich nicht nach Hause gekommen«, sagte Kathi nachdenklich. »Ich habe gar nicht richtig mitbekommen, dass er gegangen ist, ich konnte mich nicht einmal bedanken.«

      »So wie ich Wendelin einschätze, wird er sicher bald anrufen und sich nach Ihnen erkundigen«, antwortete Sebastian lächelnd.

      Als der Krankenwagen kam, um Kathi in die Klinik zu fahren, hatte sie sich einigermaßen gefangen. Ihr Vater fuhr mit ins Krankenhaus, um die Untersuchungsergebnisse abzuwarten. Erst