»Ich verspreche, dass ich nichts kaputt machen werde«, gelobte ich.
»Das freut uns«, sagte er. »Martin wird sie hinführen.«
Martin brachte mich in die Bar, direkt zum Tisch des Außenministers. Ich sah mich um und alles erinnerte mich an ein Aquarium.
Ich fand es schrecklich hier.
Ich setzte mich an den Tisch und blickte Köhler stumm an.
»Was ist?«
»Wenn es Ihnen hier gefällt, sollten Sie einen Arzt konsultieren.«
Er lachte. »Wollen wir woanders hin?«
Ich stand auf. »Unbedingt.«
»Wohin geht’s?«, wollte Isabel Schulz wissen.
»Wir versuchen es in der ›Blue Spa Bar‹ im siebten«, erklärte Köhler, der sich hier offenbar hervorragend auskannte.
Mit Geleitschutz fuhren wir hinauf in den siebten.
Diese Bar war ganz nach meinem Geschmack. Vor allem, als ich den Wintergarten mit dem Kamin in der Mitte entdeckte. Zu unserem Glück gab es keine normalen Hotelgäste, sodass dort ein Tisch frei war.
Wir nahmen Platz und bestellten was zu trinken.
Das Erste, was man lernt, wenn man mit dem Außenminister irgendwo sitzt, um was zu trinken, ist, dass man keine Ruhe hatte, um etwas zu trinken.
Geschweige denn, um ein Gespräch zu führen.
Ständig kamen irgendwelche Leute an unseren Tisch, um ihn zu begrüßen. Er ließ das mit stoischer Ruhe über sich ergehen, fand für jeden ein freundliches Wort und er wusste sogar die Namen eines jeden, der vor ihm stand.
Sehr beeindruckend.
Er versäumte es auch nicht, jedes Mal Isabel Schulz und mich vorzustellen.
Die Leute, überwiegend Diplomaten anderer Länder, glotzten mich an, als wäre ich ein Außerirdischer oder so. Aber ich nahm mir an Köhler ein Beispiel und war freundlich.
Dann setzte sich urplötzlich Tony Soprano an unseren Tisch. Es war natürlich nicht der echte Tony Soprano, sondern der Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika. Der genauso aussah aus wie Tony …
Ohne uns zu begrüßen.
Und, was viel schlimmer war, ohne zu fragen.
Schließlich hob er lasch einen Arm. »Hallo, Leute.«
Ich sah zu Köhler, der mir mit einem Blick zu verstehen gab, jetzt nichts Falsches zu tun.
Aber woher sollte ich wissen, was falsch war?
Ich warf einen Blick auf die Terrasse und entdeckte tatsächlich einige arme Seelen, die unter Heizpilzen standen und rauchten.
Meine Rettung.
Ich sah zu Köhler und wies mit dem Kinn raus auf die Terrasse. Er nickte leicht.
Ich stand auf und machte mich auf den Weg hinaus, fand einen freien Stehtisch und zündete mir eine Zigarette an. Seit ich wusste, dass Helen schwanger war, versuchte ich, wesentlich weniger zu rauchen. In ihrer Gegenwart, geschweige denn in unserer Wohnung, rauchte ich überhaupt nicht mehr.
Wieder wurde mir mit voller Wucht bewusst, dass ich in wenigen Wochen Vater wurde. Ein unglaubliches Gefühl.
Inzwischen wussten wir auch, dass wir eine Tochter bekamen. Ich hatte immer noch den Verdacht, dass Helen erleichtert war, dass es kein Junge wurde.
Kein Mensch braucht einen zweiten Eichborn …
Vielleicht irrte ich mich auch.
»Ist hier noch frei?«, sprach mich plötzlich jemand auf Englisch an.
Ich zuckte zusammen und als ich mich umdrehte und das Gesicht des Mannes sah, der mich angesprochen hatte, erschrak ich wirklich. Das war kein Oberlippenbart, den der trug, es war vielmehr ein Fuchsschwanz.
Herrgott, wie konnte man sich nur selbst so verstümmeln.
Ich nickte ihm stumm zu und sah woanders hin.
»Sie sind dieser Eichborn, oder?«
Amerikaner konnten nicht nur arrogant sein, sondern auch sehr unhöflich.
Vor allem dann, wenn sie für die aktuelle Regierung arbeiteten.
So wie der Typ, der neben mir stand.
Hardliner, Dummschwätzer, Lügner.
Genau meine Zielgruppe, wenn es um eine Feierabendzigarette ging.
Er gehörte eindeutig zu den Menschen, denen ich unter keinen Umständen begegnen wollte.
Samuel McFarlan, Nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten der Vereinigten Staaten.
6
»Sie haben meinen Kindern Bildung gegeben.«
Mussaf Al Farag
Zwei Monate nach dem Mord an dem Mann, der seinen Sohn getötet hatte, offenbarte Al Farags Tochter Roshana ihrem Vater, dass sie in den Iran zurückkehren wollte. Sie hatte ihre Zeit als Assistenzärzten absolviert und wollte unbedingt zurück in ihre Heimat.
»Papa, ich wäre damals fast gestorben, als ich so krank war. Nun bin ich in der Lage, den Menschen dort zu helfen. Und zu Hause, da brauchen sie ganz dringend Ärzte. Papa, du weißt, die meisten iranischen Krankenhäuser sind über fünfzig Jahre alt und renovierungsbedürftig. Und die internationalen Sanktionen gegen unser Land machen es fast unmöglich, sie modern auszustatten. Aber jetzt wollen sie das Abusar-Krankenhaus in Ahvaz modernisieren. Es ist das einzige staatliche Kinderkrankenhaus in der Provinz Chuzestan. Und sie wollen mich als Ärztin, Papa. Mich! Ich muss das machen. Hier braucht mich doch niemand.«
Ich brauche dich, wollte Al Farag sagen.
Aber er tat es nicht.
Spürte, dass es nicht stimmte.
Er hatte sich verändert.
Ohne dass er es wirklich wahrgenommen hatte, hatten es seine neuen Freunde aus der Moschee geschafft, seine Einstellung zu verändern.
Dabei waren sie sehr behutsam vorgegangen.
Hatten niemals versucht, ihn zu bedrängen.
Steter Tropfen höhlte den Stein.
»Deutschland hat es mir ermöglicht, ein neues Leben aufzubauen«, hatte er gesagt.
Sie hatten alle zustimmend genickt. »Ja, das stimmt. Aber nur, weil sie auch etwas von dir wollen.«
»Sie haben meinen Kindern Bildung gegeben.«
»Das stimmt, Bruder. Aber wenn sie das nicht mit Gegenleistungen zurückzahlen, lassen sie deine Kinder auch wieder fallen. Denk an all die Obdachlosen auf der Straße.«
»Hier sind wir sicher.«
»Das trügt. Wir sind hier nicht sicher, denk an das, was deinem Sohn geschehen ist. Und haben sie den Mörder verhaftet? Nein. Obwohl sie wussten, dass er es getan hat, wurde er nicht bestraft. Deshalb hast du dann auch noch deine geliebte Frau verloren. Das ist weder Sicherheit noch Gerechtigkeit. Wir haben dafür gesorgt, nicht sie.«
So gelang es ihnen, Mussaf Al Farag langsam, aber stetig auf ihre Seite zu ziehen.
Es ging ihnen dabei nicht darum, ihn zu radikalisieren.
Er war nicht auserkoren, mit einem LKW in eine Menschenmenge zu rasen oder sich mit einem Sprengstoffgürtel in einem Einkaufszentrum in die Luft zu sprengen.
Sie brauchten sein Wissen.
Gelang es ihnen, Al Farag auf ihre Seite zu ziehen, verlören sehr viel mehr Menschen ihr Leben, als am