Zwei ganz besondere Menschen
»Diejenigen, die entscheiden, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden,
haben nichts zu entscheiden.«
Horst Seehofer
Prolog
Alles begann mit einem dumpfen Dröhnen. Mehrere Explosionen hintereinander erschütterten das gewaltige Felsmassiv. Zu hören waren sie jedoch nicht, da sie viele hundert Meter unter der Erde ihre furchtbare Wucht entfalteten.
Aber zu spüren waren sie.
Die Erde erzitterte und aus dem Dröhnen wurde ein Grollen. Die Energie der gigantischen Detonationen entlud sich in alle Richtungen. Durch den schon vorhandenen kilometerlangen Riss im Gestein wurde die komplette Westflanke der Gebirgskette instabil und geriet in Bewegung. Anfangs nur in Zeitlupe, wurde das Tempo der Flanke immer höher. Mit der Geschwindigkeit eines ICE stürzten schließlich fünfhundert Milliarden Tonnen Gestein in den Atlantik und setzten eine Kettenreaktion in Gang.
Durch die gewaltigen Massen wurde das Wasser des Atlantiks zunächst verdrängt. Dann aber kehrte es zurück und türmte sich zu einer sechshundert Meter hohen Wand auf, die mit einer Geschwindigkeit von über siebenhundert Kilometer pro Stunde über den Ozean jagte. Auf den sieben Inseln starben über zwei Millionen Menschen unmittelbar nach dem Abrutsch der Westflanke.
Als die Welle eine Stunde später die Küste Marokkos erreichte, hatte sie immer noch eine Höhe von über einhundert Metern, die Küsten Portugals und Spaniens verwüstete sie neunzig Minuten nach dem Abrutsch.
Mehrere Stunden später erreichte sie die Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika. Ihre Höhe hatte sich auf fünfundzwanzig Meter reduziert, aber ihre Wucht und das Zerstörungspotential sorgten dafür, dass sie über zwanzig Kilometer ins Landesinnere vordrang und alles verwüstete, was sich ihr in den Weg stellte.
Sieben Stunden nach dem gewaltigen Abrutsch der Westflanke waren durch den furchtbaren Tsunami über fünf Millionen Menschen ums Leben gekommen.
Der schmächtige Mann mit dem Vollbart nickte zufrieden und blickte einen der Computerfachleute prüfend an. »Wie genau ist diese Simulation?«
»Sehr genau«, sagte der Angesprochene. »Unser Programm ist das Beste weltweit. Wir haben schon dutzende Simulationen von bereits stattgefundenen Katastrophen durchgeführt. Unsere Ergebnisse entsprachen jedes Mal annährend der Realität.«
Sie saßen in der chaotischen Unterkunft der beiden Nerds. Es befand sich in einem leer stehenden und verfallenen Mehrfamilienhaus südlich von Oslo. Die Stadtverwaltung hatte noch kein endgültiges Urteil über die Zukunft des Gebäudes getroffen. Abreißen oder sanieren. Solange dieser Schwebezustand anhielt, wollten die beiden jungen Männer hier weiter hausen und arbeiten. Kostenlos natürlich.
Der schmächtige Mann hatte die beiden in einem Online-Chatroom kennengelernt, in dem sich Experten rund um den Globus austauschten. Diese beiden hatten eine erstaunliche Software entwickelt, die für einiges an Aufsehen gesorgt hatte. Er hatte den zwei Entwicklern ein lukratives Angebot gemacht, für den Fall, dass ihr Programm tatsächlich hielt, was sie versprachen. Schließlich war es zu diesem Treffen und der Demonstration des Programmes gekommen. Der schmächtige Mann hatte einen Partner mitgebracht, der jedoch nichts sagte. Er stand nur mit verschränkten Armen in der Ecke, verströmte die Aura von Bedrohung und beobachtete. Der schmächtige Mann warf einen skeptischen Blick auf einen anderen Bildschirm. »Sind Sie sicher, dass so viel von diesem besonderen Sprengstoff nötig ist?«
Die beiden Computerfachleute tauschten einen kurzen Blick.
Der eine zuckte mit den Schultern.
Der andere antwortete. »Unsere Simulation zeigt bei genau dieser Menge die gewünschte Wirkung. Wird sie reduziert, bricht nur ein Teil der Flanke ab. Oder es passiert gar nichts.«
Der schmächtige Mann nickte nachdenklich. »Ich verstehe.«
»Von welcher Uni, sagten Sie, kommen Sie noch mal?«, wollte der Nerd wissen.
»Erlangen.«
»Ach ja. Geologie, richtig?«
Der schmächtige Mann deutete auf eine Liste, die neben ihm auf einem Beistelltisch lag. »Ist das die exakte chemische Zusammensetzung des Sprengstoffes?«
Der Nerd nickte eifrig. »Jepp. Es ist sehr aufwendig und teuer, das Zeug zu produzieren. Deshalb kennt es auch kaum jemand. Aber wie gesagt, es gibt nichts Vergleichbares auf dem Planeten. Hätte ich vor, etwas richtig Großes und Massives in die Luft zu sprengen, wäre dieses synthetische Zeug meine erste Wahl.«
Der schmächtige Mann lächelte die beiden Nerds an. Dann wandte er sich an seinen Begleiter und nickte leicht. Der kam langsam auf die beiden Entwickler zu, zog eine Pistole mit Schalldämpfer aus seinem Mantel und schoss jedem eine Kugel in den Kopf.
Sie waren auf der Stelle tot.
Der schmächtige Mann sah auf die leblosen Körper herab. »Ihr habt mir sehr geholfen. Vielen Dank.«
Sie packten alles zusammen, was von Nutzen sein konnte und verfrachteten es in ihren Wagen. Anschließend schleppte der Begleiter des schmächtigen Mannes einen Kanister Brandbeschleuniger in das Büro und verteilte die Flüssigkeit großzügig.
Als er wieder vor dem Haus stand, zündete er einen vorbereiteten Molotow-Cocktail an und warf die Flasche durch ein geöffnetes Fenster in das Büro.
Als sie die Hauptstraße erreichten, brannte das Gebäude bereits lichterloh.
Und mit ihm alles, was sich im Inneren befand.
1
»Ich habe mir den Weg freigeschossen.«
Nicolas Eichborn
Ich war jetzt seit sieben Monaten nationaler Sicherheitsberater des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland. Und konnte es noch immer nicht fassen.
Natürlich hatte ich mich intensiv mit Helen und Patrick unterhalten, bevor ich Schranz die Zusage gab, den Posten zu übernehmen. Aber auch die beiden hatten keine Ahnung, auf was für einen Höllentrip ich mich da einlassen würde.
Es fing damit an, dass ich urplötzlich den Rang eines Ministers innehatte und auch noch dem Bundessicherheitsrat vorsaß.
Dieser hatte mit mir zehn Mitglieder.
Bundeskanzler Schranz, dessen Kanzleramtschef sowie die Minister der Verteidigung, des Auswärtigen, des Inneren, der Finanzen, der Justiz, der Wirtschaft und der Entwicklung.
Mehr ging nicht.
Davon hatte mir Bundeskanzler Schranz zuvor nichts gesagt.
Auch, dass ich mir nicht selbst meine Sekretärin aussuchen durfte, hatte ich nicht gewusst.
Als ich an meinem ersten Arbeitstag im Kanzleramt erschien, hatte sie mir am Eingang aufgelauert und mich sehr lange und sehr intensiv von oben bis unten gemustert.
»Sie wissen schon, dass Ihre Position hier der eines Viersternegenerals entspricht?«, fragte mich meine Sekretärin mit hochgezogenen Augenbrauen, nachdem sie sich vorgestellt hatte.
»Ich bin froh, überhaupt mein Büro gefunden zu haben, also werde ich mir später Gedanken darüber machen. Darüber hinaus stehen Uniformen mir nicht sonderlich. Aber wenn es Sie beruhigen würde, könnte ich mir ja ein paar Orden an die Jacke kleben.«
»Sie können sich glücklich schätzen, dass man Sie überhaupt ins Gebäude gelassen hat. So, wie Sie angezogen sind«, erwiderte sie eisig.
»Haben Sie nicht die Schreie gehört? Ich habe mir den Weg freigeschossen«, brummte ich ungehalten. »Wo ist mein Büro?«
»Folgen Sie mir«, sagte