Caldera. V. S. Gerling. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: V. S. Gerling
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783956691614
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so stolz auf dich«, sagte er, mühsam seine Tränen unterdrückend.

      »Dann erlaubst du es mir?«

      »Ja, natürlich. Du musst tun, was du tun musst.«

      Und ich muss tun, was ich tun muss, fügte er in Gedanken hinzu.

      7

      »Ich denke, Sie haben mich sehr gut verstanden.«

      Nicolas Eichborn

      McFarlan fischte sich umständlich ein Zigarillo aus seiner Jackentasche und zündete sich den übelriechenden Glimmstängel an.

      Er inhalierte tief und stieß den Qualm dann lautstark aus. »Darf ich Ihnen einen Tipp geben?«, wandte er sich erneut an mich.

      Sein Blick ließ keine Zweifel zu: Ein Tipp von mir ist Gold wert, sagte der.

      Ablehnen ist keine Option.

      Ich zuckte mit den Schultern. »Nur zu.«

      »Sie sind noch neu hier. Hören Sie die nächsten Tage einfach zu und versuchen Sie, von den Profis zu lernen.«

      Ich schüttelte fassungslos den Kopf.

      Er sah mich misstrauisch an. »Was ist? Gefällt Ihnen der Rat nicht?«

      Ich sah ihn an. »Ich nehme mal stark an, Sie selbst zählen sich auch zu den Profis?«

      McFarlan breitete die Arme aus. »Na klar.«

      Unser kleines Gespräch erregte mittlerweile das Interesse der umstehenden Leute, die sich unserem Tisch langsam, aber sehr neugierig näherten.

      McFarlan hatte jetzt meine volle Aufmerksamkeit. »Und was bitte schön könnte ich von Ihnen lernen?«

      »Wie alles funktioniert zum Beispiel.«

      Ich nickte, als hätte er etwas unendlich Weises gesagt. »Ich verstehe. Wie alles funktioniert. Garniert mit Lügen und Verdrehen der Tatsachen. Weil so machen Sie das ja, nicht wahr?«

      Auf seiner Stirn erschien eine tiefe Falte. »Was haben Sie da gerade gesagt?«

      »Ich denke, Sie haben mich sehr gut verstanden.«

      »Bürschchen, das ist …«

      »Mein Name ist Nicolas Eichborn. Für Sie Herr Eichborn.«

      McFarlan sah sich um und registrierte das Aufsehen, das wir mittlerweile erregt hatten.

      »Ganz schön keck, der Kerl«, sagte er leise und mehr zu sich selbst. Er sah mich lauernd an. »Was zum Teufel meinen Sie mit Lügen und verdrehen von Tatsachen? Sie können ja nicht einfach so etwas Unerhörtes behaupten, und dann keine Begründung liefern.«

      »Wo soll ich da anfangen? Nehmen wir exemplarisch das Atomabkommen mit dem Iran. Kaum war Ihr Chef im Oval Office angekommen, hatte er nur ein einziges Ziel: So viel wie möglich von dem rückgängig zu machen, was sein Vorgänger erreicht hatte. Dazu gehörte auch das Atomabkommen. Obwohl das internationale Expertenteam, das zur Überprüfung im Iran eingesetzt worden war, immer wieder berichtete, dass der Iran sich an das Abkommen hält, hat Ihre Administration den Vertrag gekündigt und die Sanktionen gegen das Land wieder aktiviert. Unter lautem Jubel der Israelis und der Saudis blutet der Iran jetzt aus. Ach, waren das nicht auch Ihre engsten Verbündeten? Hier, Mister McFarlan, wurde von Ihrer Seite gelogen und es wurden Tatsachen verdreht.

      »Sie haben also etwas gegen Israel«, stellte er fest.

      Das war jetzt natürlich ganz dünnes Eis für mich. Als Antisemit bezeichnet zu werden, kann irreparablen Schaden anrichten. Auch dann, wenn es überhaupt nicht stimmte.

      Und auf mich traf das nun ganz gewiss nicht zu. Ich bezeichnete mich selbst als weltoffenen und toleranten Menschen. Doch, wirklich. Ich hatte nichts gegen Israel oder Israelis. Ich hatte auch nichts gegen Afrikaner oder Russen. Was ich jedoch nicht akzeptierte, war, dass ich als Deutscher per se schuld war.

      Selbstverständlich war es furchtbar und menschenverachtend, was die Nazis mit den Juden getan hatten. Aber ich war es nicht gewesen. Und mein Vater auch nicht. Dementsprechend waren wir auch nicht schuld daran. Es gab einen Unterschied zwischen nicht vergessen und ewig schuld daran sein. Einen gewaltigen sogar. Aber selbst das sollte man besser nicht laut aussprechen.

      Ich verdrehte die Augen. »Fällt Ihnen wirklich nichts Besseres ein, als diese Karte auszuspielen? Man muss schon sehr kreativ sein, um das als Quintessenz dessen, was ich gesagt habe, rauszufiltern.«

      McFarlan schwieg eine Weile. Dann nickte er. »So denken Sie also über Ihren wichtigsten Verbündeten.«

      »Meinen Sie damit den, der uns ständig droht?«

      »Jemand muss euch schließlich erklären, wie die Welt funktioniert.«

      »Ihre Welt vielleicht. Aber nicht unsere. Und auch nicht die der meisten anderen Staaten.«

      »Diese Administration, die Sie so in der Luft zerreißen, hat in ihren ersten drei Jahren mehr erreicht als Obama in acht.«

      »Ist das so? Jetzt sind Sie am Zug, das, was Sie gesagt haben, zu untermauern. Denn mir fällt da ehrlich gesagt nichts ein.«

      »Wir haben ein gigantisches Wirtschaftswachstum, weil wir uns nicht mehr alles gefallen lassen.«

      »Sie meinen die Strafzölle auf Exportwaren, die unterm Strich der amerikanische Steuerzahler blecht, weil die Produkte, die er kaufen muss, teurer werden? Klasse Strategie.«

      Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Jetzt muckt ihr auf. Aber wenn es hart auf hart kommt, ruft ihr wieder nach Daddy.«

      »Meinen Sie etwa den Daddy, der Nordkorea unverhohlen mit der absoluten Vernichtung drohte, nur um sich wenig später mit Kim Jong-un zu treffen und diesen als Freund zu bezeichnen? Und das, obwohl jeder Experte vor diesem Treffen gewarnt hat? Meinen Sie wirklich diesen Daddy?«

      McFarlan sah mich schweigend an. Aber in seinem Blick war nicht etwa Verachtung oder Zorn, sondern vielmehr meinte ich so etwas wie … Anerkennung zu sehen. Auch, wenn ich mir das nicht erklären konnte. Ich hatte zwar Gerüchte gehört, die besagten, dass McFarlan den Präsidenten vor dem Treffen mit Kim Jong-un gewarnt und ihm davon abgeraten hatte. Aber bei allem, was aus dem Weißen Haus drang, musste man sehr vorsichtig sein.

      »Ihr Boss ist so dermaßen scharf auf den Friedensnobelpreis, dass er gute Ratschläge ignorierte und Kim eine wirklich schöne Plattform lieferte. Dass die USA dabei die ganze Zeit über verarscht wurde, hat offenbar keiner der Vollprofis gemerkt. Ist das der Daddy, den Sie eben meinten?«, legte ich noch mal nach.

      Ich musste wirklich aufpassen, dass ich hier keinen diplomatischen Eklat auslöste. Vor allem deshalb, weil viele der Personen, die um uns herumstanden, beifällig nickten.

      Das war auch McFarlan nicht entgangen. »Ich denke nicht, dass wir diese feindselige Atmosphäre verdienen«, sagte er bedrohlich leise.

      »Sie verstehen das vollkommen falsch«, sagte ich. »Die Atmosphäre ist nicht feindselig. Sie ist offen und ehrlich. Und unter Freunden darf man das doch sein, oder?«

      Beifälliger Applaus setzte ein.

      Ein listiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Er beugte sich vor und raunte mir zu: »Ich hab schon gehört, dass Sie Eier haben, Eichborn. Aber dass die so groß sind, das hat man mir verschwiegen.«

      Ich klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Sie haben ja keine Vorstellung.«

      Mit diesen gehaltvollen Worten wandte ich mich um und ging wieder rein.

      Der Außenminister und meine Assistentin sahen mich neugierig an.

      »Was war denn da los?«, wollte Köhler wissen.

      »Ach, nur eines dieser tollen Gespräche, die außerhalb des offiziellen Rahmens stattfinden. Sollten Sie mal versuchen, ist wirklich interessant. Ich geh jetzt in mein Hotel und werde mich betrinken.«