»Wie soll das denn funktionieren?«, wollte ich wissen.
»Jahrelange Übung und ein starkes Nervenkostüm«, antwortete der Außenminister.
»Und zur Not haben Sie ja auch immer noch mich«, sagte meine Assistentin Isabel Schulz und strahlte mich mit einem Optimismus an, den man nur haben konnte, wenn man Ende zwanzig war und den ersten verantwortungsvollen Job hatte.
Unabhängig von den guten Ratschlägen des Außenministers und dem Optimismus meiner Assistentin hatte ich mir ohnehin vorgenommen, genau das zu tun:
Beobachten.
Vor allem die Amis.
Aber es waren auch noch andere Kandidaten vor Ort, die zu unserem Kreis der Verdächtigen gehörten.
Ich öffnete die Teilnehmerliste der anstehenden Konferenz und war wieder einmal überrascht, wer alles anwesend sein würde. Unter den etwa vierhundertfünfzig Teilnehmern waren Staatspräsidenten, deren Top-Berater, Verteidigungs- und Außenminister sowie andere Spitzenpolitiker.
Dann noch Botschafter, hochrangige Militärs, Sicherheitsexperten und Vertreter von internationalen Organisationen. Aber eben auch Leute aus der Wissenschaft und vor allem aus der Wirtschaft waren mit dabei.
Sie kamen aus den Mitgliedsländern der NATO und der Europäischen Union, aber auch aus anderen Ländern wie Russland, der Volksrepublik China, Japan und Indien.
Diese Konferenz war übrigens keine offizielle Regierungsveranstaltung wie zum Beispiel das Treffen der G7 oder G20. Es war ein privat organisiertes Treffen und diente einzig der Diskussion über die globale Außen- und Sicherheitspolitik.
Da fragt man sich schon, was Wirtschaftsbosse damit zu tun hatten.
Unter anderem würde ich auf den Nationalen Sicherheitsberater des US-Präsidenten, James McFarlan, treffen. Auch der Außenminister der Vereinigten Staaten, Robert Jackson war da. Sie beide gehörten wie gesagt zu den Hardlinern der US-Regierung.
Na ja, eigentlich bestand die aktuelle Administration der USA nur aus Hardlinern, sodass die beiden wohl eher als Hardcore-Hardliner zu bezeichnen waren.
Zu meiner großen Erleichterung würde der US-Präsident nicht kommen.
Besonderes Augenmerk würde ich auf zwei Unternehmen legen, die auch auf der Teilnehmerliste standen und deren Vorstandsvorsitzende laut Wittgenstein zu den Verschwörern gehörten.
Eines war klar: Es würde ein interessantes Meeting werden.
3
»Ja, ich will Gerechtigkeit.«
Mussaf Al Farag
Mussaf Al Farag wunderte sich einmal mehr über die sehr präzise Vorbereitung seiner Auftraggeber. Er kannte sie nicht, würde sie auch niemals kennenlernen, aber er hatte enormen Respekt vor ihnen. Sie wussten, was sie taten.
Und sie verfügten ganz offenbar über die erforderlichen Finanzmittel, aber auch über die nötigen Kontakte, um den geplanten Anschlag, so irrwitzig er auch erscheinen mag, in die Tat umzusetzen.
Einmal mehr fragte sich Al Farag, wie sie ausgerechnet auf ihn gekommen waren.
Bis zum heutigen Tag war er niemals aufgefallen.
Er lebte seit mehr als zwanzig Jahren in Deutschland.
Galt als vollständig integriert.
Er war also alles andere als ein potentieller Gefährder.
So nannten sie in diesem Land Menschen, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit irgendwann etwas Böses anstellen würden.
Al Farag war fünfundsechzig Jahre alt, hatte einen eigenen kleinen Taxibetrieb, war verheiratet und hatte zwei Kinder.
Geboren und aufgewachsen war er in Isfahan, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz inmitten des Iran.
Al Farag hatte im Iran Geologie studiert und danach für ein staatliches Unternehmen gearbeitet. Seine Aufgabe hatte darin bestanden, Uranlagerstäten zu finden und den Abbau vorzubereiten. Natürlich sollte das gewonnene Uran ausschließlich der Energiegewinnung dienen. Sanktionen durch den Rest der Welt und internationale Ächtung seiner Heimat sorgten dafür, dass das Leben im Iran für sehr viele Menschen unerträglich wurde.
Zwar hatte er gute Arbeit, aber wenn man für das verdiente Geld nicht viel bekam, wenn nötige Medikamente fehlten und der medizinische Standard des Iran weit hinter dem Europas hinterherhinkte, dann sorgte das für latente Unzufriedenheit.
Nur in der Hauptstadt Teheran gab es eine gute Versorgung, die allerdings auch ihren Preis hatte. Wer über ausreichend Geld verfügte, ließ sich ins benachbarte Dubai fliegen.
Oder gleich nach Deutschland.
Als Al Farags Tochter schwer erkrankt und eine Operation lebensnotwendig geworden war, hatte er genau das getan: Er war gemeinsam mit ihr nach Deutschland geflogen.
Und hatte entschieden, dass es für ihn und seine Familie besser wäre, hier ein Leben aufzubauen.
Ende 1999 waren seine Frau und ihr gemeinsamer Sohn Al Farag nach Deutschland gefolgt und niemals wieder zurückgekehrt.
Natürlich hatte er versucht, als Geologe Fuß zu fassen, jedoch schnell feststellen müssen, dass es hier kaum Arbeit für ihn gab. Sie knüpften schnell Kontakte zu Landsleuten, die ebenfalls eine neue Existenz aufbauen wollten, oder es bereits getan hatten.
So hatte er den siebzigjährigen Aaraam Merizadi kennengelernt, der ein Taxiunternehmen aufgebaut hatte. Sie freundeten sich an und Merizadi sorgte dafür, dass Al Farag und seine Kinder sehr schnell die deutsche Sprache lernten. Nur die Frau weigerte sich, die fremde Sprache zu lernen. Damit, so hatte sie gemeint, würde ein Stück ihrer Kultur verlorengehen.
Er hatte einen Job als Fahrer bekommen und sich im Laufe der Jahre nach oben gearbeitet.
Merizadis Kinder zeigten keinerlei Ambitionen, den Betrieb des Vaters zu übernehmen, sodass dieser eines Tages Al Farag gefragt hatte, ob der bereit wäre, das Unternehmen zu leiten.
Sie wurden sich rasch über die Bedingungen einig und wenige Monate später zog Merizadi sich zurück und Al Farag wurde sein Nachfolger.
In den nächsten Jahren hatte er das Geschäft weiter ausgebaut, und seine Familie kam zu bescheidenem Wohlstand.
Dann geschah etwas, das ihr Leben für immer veränderte.
2016 war Al Farags Sohn bei einer Demonstration ums Leben gekommen.
Er war von Rechtsradikalen totgeschlagen worden.
Seine Frau war niemals über den Verlust hinweggekommen und hatte sich zwei Jahre später das Leben genommen. Die Polizeibeamten, die den Mord an seinem Sohn bearbeiteten, blieben erfolgslos. Der Mann, der seinen Sohn erschlagen hatte, war niemals zur Verantwortung gezogen worden, obwohl er den Behörden bekannt war.
Innerhalb von wenigen Monaten hatte Al Farag den Großteil seiner Familie verloren und niemanden schien es zu interessieren.
Er hatte Trost in einer Moschee gesucht.
Dort lernte er einen Mann kennen, die ihm Trost und Rat spendete.
Er war der Imam der Moschee. Abdul ben Abbas Rohani.
Al Farag hatte ihm alles erzählt.
Über sein altes Leben im Iran, die Auswanderung nach Deutschland und sein neues Leben, das er sich hier aufgebaut hatte. Und vom Verlust, den er erleiden musste.
»Wenn dir keiner hilft, dann hilf dir selbst«, lautete Rohanis erster Rat.
»Aber was kann ich denn schon tun?«, wollte Al Farag wissen.
»Willst