Als der böhmische Adel 1355 die 127 Statuten der Maiestas Carolina zurückwies, mit der Karl die Rechte des Königs gegenüber seinen Lehnsleuten zu stärken versuchte, dämpfte dies zwar sicher seine Hoffnung, sämtliche Fäden des Reiches in seiner Hand zusammenzuführen, doch am energischen Ausbau von Staatswesen und Königtum seit 1346 änderte dies nichts. Auffallend sind unter anderem die reich sprudelnden Einkünfte der Krone sowohl vonseiten der Städte als auch durch die lukrativen Silberminen bei Kuttenberg und im Erzgebirge. Weitere Hinweise auf einen florierenden Staat geben die erfolgreiche Umsetzung eines allgemeinen Landfriedens auf Grundlage einer ordo judicii terrae und die Wiederaufnahme des Mautsystems an Elbe und Moldau. Hinzu kamen Einnahmen durch den Verkauf von Privilegien, Adelsbriefen und vor allem Urkunden, deren Zahl sich im Vergleich zu Johanns Regierungszeit verdoppelte. Die Kanzlei, die sie aufsetzte, schwoll mit der Zeit auf rund 200 Notare an, die der Aufsicht eines besser ausgebildeten und effizienteren königlichen Rates unterstanden. Zu der festen Überzeugung, in seinem Königreich Ordnung geschaffen zu haben, gelangte Karl spätestens 1350, also in dem Jahr, in dem er seine Vita verfasste, während ihn eine Krankheit ans Bett fesselte. Woran er litt, ist bis heute ungeklärt; die Thesen reichen von einem Turnierunfall bis zu einer Nerven- oder Knochenerkrankung. Einig sind die Chronisten darin, dass er seinen Regierungsgeschäften lange fernblieb und zurückgezogen in seiner Residenz lebte, sodass man um sein Leben fürchtete. Matthias von Neuenburg vermerkte in der Chronik, die er in den 1360er-Jahren im Auftrag der Bischöfe von Straßburg verfasste: „Diesmal war der König so lange und schwer erkrankt, dass manche schon dachten, er sei vergiftet worden.“15 Auch Heinrich Taube von Selbach schrieb in seiner Chronik der Kaiser und Päpste der Jahre 1294 bis 1363: „Seine Krankheit dauerte mehr als ein Jahr.“16 Woran Karl auch gelitten haben mag, er blieb bis an sein Lebensende von den Folgen gezeichnet: Sämtliche halbwegs realistischen Porträts ab dieser Zeit zeigen ihn mit einem gekrümmten Rücken, der schmerzhaft gewesen sein muss. In die Zeit der offenbar von der Krankheit mitbedingten Abfassung seiner Vita fiel aber noch ein weiteres entscheidendes Ereignis: Am 12. März 1350 nahm Karl in Prag jene Insignien und Reliquien in Empfang, die seit Anbeginn der Zeiten die Herrschaftszeichen der römisch-deutschen Könige und Kaiser waren. Gesandte des Markgrafen Ludwig von Brandenburg, eines Sohnes Ludwigs IV. des Bayern, überbrachten Karl aus München unter anderem die Reichskrone, die heilige Lanze, das Reichsschwert und das Kreuzpartikel. Was war in der Zwischenzeit im Heiligen Römischen Reich geschehen, dass Karl IV. nun zum Hüter von dessen heiligsten und politisch brisantesten Kleinodien wurde?
Die Beilegung der Reichskrise
Als Ludwig IV. am 11. Oktober 1347 bei einer Bärenjagd in den Wäldern bei Fürstenfeldbruck vor den Toren Münchens tödlich verunglückte, bestätigte dies Karl in der Überzeugung, dass die göttliche Vorsehung ihm wohlgesonnen war. Die Wittelsbacher versuchten umgehend, unter den Söhnen des Verstorbenen einen fähigen Nachfolger zu finden, doch infrage kam nur der Erstgeborene. Ludwig V. war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt, seit 1323 Markgraf von Brandenburg und mit Herzogin Margarete von Tirol verheiratet.17 Nach dem Tod seines Vaters trat er automatisch dessen Nachfolge als Herzog von Bayern an. Seine fünf Brüder, die weniger glänzend verheiratet oder begütert waren, forderten ebenfalls ihr Erbteil: Ludwig VI., Otto V., Stefan II., Wilhelm III. und Albrecht I. Wie sein Vater war auch Ludwig V. wegen seiner skandalösen Heirat 1342 exkommuniziert worden und konnte sich deshalb nicht zur Königswahl stellen. Da seine Brüder vermutlich nicht hinreichend befähigt oder einfach zu jung waren, sprach der Wittelsbacher Erbprinz sich für eine Kandidatur des englischen Königs Eduard III. aus, der am 10. Januar 1348 tatsächlich von den vier bayerntreuen Kurfürsten zum Gegenkönig gewählt wurde, sich aber angesichts des Krieges gegen den König von Frankreich schon am 10. Mai wieder zurückzog. Der junge Herzog versuchte sein Glück daraufhin bei seinem Schwager Friedrich von Meißen, der jedoch ablehnte. Anschließend gelang es Ludwig, in Bayern Unterstützung für einen einfachen Grafen namens Günther von Schwarzburg zu finden, der daraufhin am 30. Januar 1349 in Frankfurt gewählt wurde, und zwar mit den Stimmen von Ludwig V. selbst (als Markgraf von Brandenburg), Pfalzgraf Rudolf bei Rhein (einem Wittelsbacher), Herzog Erich von Sachsen (gegen satte „Entschädigung“) und Heinrich III. von Virneburg, dem seit 1346 abgesetzten Erzbischof von Mainz. Die Stadt Frankfurt am Main hatte jedoch inzwischen Karl IV. als rechtmäßigen König anerkannt. Dieser stellte ein Heer auf und besiegte Günther im Mai 1349 bei Eltville am Rhein auf dem Schlachtfeld. Günther willigte daraufhin ein, gegen eine Entschädigung von 20 000 Silbermark auf den Königstitel zu verzichten, und kehrte nach Frankfurt zurück, wo er kurz darauf, am 12. Juni, aller Wahrscheinlichkeit nach an der Pest starb.18 Als einziger deutscher König fand Günther seine letzte Ruhestätte im Frankfurter Reichsstift St. Bartholomäus, der vor und nach seiner Bestattung Schauplatz vieler Königswahlen war. Karl IV. hatte schon im Vorjahr die Position Ludwigs V. von Bayern weiter geschwächt, indem er den „falschen Waldemar“ gegen ihn unterstützt hatte. Dieser Hochstapler – vielleicht ein gewisser Jakob Rehbock – hatte sich als der 29 Jahre zuvor verstorbene alte Markgraf Waldemar ausgegeben und behauptet, die Bestattung sei seinerzeit nur eine Inszenierung gewesen, in Wahrheit habe er all die Jahre als Pilger im Heiligen Land gelebt und Buße getan.19 Ob Karl IV. den Schwindel durchschaute oder nicht, sei dahingestellt. Zugute kam Waldemar eine gewisse Faszination, die so oft von „falschen“ Königen und Fürsten ausgeht, sowie das Ansehen, das Eremiten und messianische Heilsbotschaften speziell aus Jerusalem genossen. Karl IV. erkannte ihn an und belehnte ihn mit der Mark Brandenburg, denn die Täuschung kam den Absichten des Luxemburgers bestens entgegen. Zudem warf sie gewichtige Fragen nach Identität und Legitimität auf und machte Lücken im Staatsgefüge deutlich.20 Nachdem sich Karl im Vertrag von Bautzen 1350 mit den Wittelsbachern geeinigt hatte, ließ er den „falschen Waldemar“ jedoch fallen. Er behauptete, er sei hintergangen worden, und vergab die Mark Brandenburg als Lehen an Ludwig V. von Wittelsbach, der sie 1351 an zwei seiner Halbbrüder abtrat. Durch den Tod des Grafen von Schwarzburg platzte jedenfalls