Nach seiner Niederlage 1322 in der Schlacht bei Mühldorf wurde Friedrich der Schöne von Ludwig IV. inhaftiert. Der Wittelsbacher, der sich als einzigen legitimen römisch-deutschen König sah, stellte sich damit gegen den Papst und verlor dadurch auch den Rückhalt Johanns von Böhmen, der im Feld an seiner Seite gestanden hatte, auch wenn der weiterhin die Habsburger bekämpfte, denen nun Friedrichs jüngerer Bruder Leopold vorstand.24 Ludwig IV. wurde 1324 von Johannes XXII. exkommuniziert und musste im Jahr darauf Friedrich freilassen und als Mitkönig des römischdeutschen Reiches anerkennen, wenn auch nur per Vertrag und ohne Krönung. Diese aus Sicht vieler Historiker erstaunliche Doppelherrschaft warf zwei unlösbare Probleme auf. Zum einen ließ sich der Wittelsbacher 1328 in Rom durch den von ihm selbst designierten Gegenpapst Nikolaus V. zum Kaiser krönen und delegitimierte damit seine anderen Titel. Zum anderen brachte das 1325 ausgehandelte und 1326 erneut proklamierte „Mitkönigtum“ keine Klärung in der Frage, die jedes mittelalterliche Fürstenhaus umtrieb: die der Erblichkeit und Weitergabe von Königreichen, in diesem Fall des Kaiserreichs.
Friedrich, der keinen männlichen Erben hatte, zog sich nach dem Verlust der Krone bis zu seinem Tod 1330 auf sein Herzogtum Österreich zurück. Ganz anders Ludwig IV., der zehn Kinder aus zwei Ehen vorzuweisen hatte, darunter seinen ältesten Sohn Ludwig, der später seine eigene Stellung in Bayern, Brandenburg und Tirol festigen konnte. Immerhin hatte er ab 1330 sogar als exkommunizierter Kaiser von den Habsburgern keine Konkurrenz mehr zu befürchten. Blieben noch die Luxemburger, allen voran Johann und dessen inzwischen 14-jähriger Sohn Karl. Das Haus hatte seit 1314 teils mehr, teils weniger fest aufseiten der Bayern gestanden, und der Turnierheld Johann, der keinem ritterlichen Kampf auswich, hatte sich an der Seite des Wittelsbachers bei dessen Sieg 1322 hervorgetan. Trotz des Kirchenbanns blieb Ludwig IV. fest im Sattel. Zum einen konnte er in Italien auf die Unterstützung der kaisertreu gebliebenen „ghibellinischen“ Städte und Fürstentümer wie Verona, Ferrara und Mailand zählen, zum anderen auf die Schützenhilfe von Gelehrten, die für ihn und gegen den Papst waren, darunter Marsilius von Padua, der ihm zwischen 1324 und 1326 seine Schrift Defensor pacis widmete. Zudem war auch keiner der Kurfürsten im Reich gewillt, Ludwig abzusetzen, zumal dieser bereits 1323/24 in Nürnberg und Frankfurt mit den „Appellationen“ Macht und Eigenständigkeit der deutschen Fürsten bestätigt und gefordert hatte, ein Konzil einzuberufen, das gegen das seiner Meinung nach korrupte, autokratische und dem König von Frankreich hörige Papsttum vorgehen sollte. Nicht zuletzt pflegte Ludwig auch Bündnisse mit den einflussreichsten Reichsstädten, die ihm treu ergeben waren und seine Kassen mit Steuergeldern füllten. Diesen Herrscher vom Thron zu stoßen, erforderte einiges.
Johann beschloss, sich Unterstützung in der Peripherie zu suchen, um von außen nach innen zum Ziel zu gelangen. Im Osten sicherte er sich 1335 in Schlesien und in der Lausitz Gefolgsleute. Im selben Jahr schlossen in Visegrád (Plintenburg) die Könige von Böhmen, Polen und Ungarn ein Bündnis gegen die Habsburger.25 Ähnlich wie die Habsburger, deren Motto tu felix Austria nube (du, glückliches Österreich, heirate) den Legendenschatz der Dynastie bereicherte, verfolgten die Luxemburger nach allen Seiten eine stringente Heiratspolitik: Johanns Schwester Beatrix war 1318 mit dem ungarischen König Karl I. von Anjou, seine Schwester Marie 1322 mit dem französischen König Karl IV. vermählt worden. Johann verlobte eine seiner Töchter (Margarete) 1341 mit dem polnischen König Kasimir III. und gab eine andere (Guta) 1332 dem französischen Kronprinzen Johann Herzog der Normandie zur Frau. Für seinen Sohn Karl stiftete er 1324 die Ehe mit einer ebenfalls französischen Prinzessin, Blanca von Valois. Im Reich wurde eine weitere Tochter Johanns mit einem Herzogssohn von Österreich, ein Sohn mit einer Grafentochter von Tirol verheiratet, während er sich selbst in Teilen Brandenburgs in Position brachte, die ihm Ludwig IV. zur Belohnung für die 1322 gewährte Unterstützung überlassen hatte. Was also zog Johann nach Italien? Zum einen hatte die Halbinsel einen festen Platz im Blickfeld der großen Fürstenhäuser Deutschlands, die davon träumten, aus ihren Reihen den Kaiser zu stellen, und immerhin war ja Johanns Vater als erster römisch-deutscher König seit dem berühmten Friedrich II. in Rom gekrönt worden. Zweitens lockte Norditalien mit Reichtümern, Innovationen, berühmten Künstlern und Gelehrten. Auch der Papst behielt selbst von Avignon aus die Besitzungen des Heiligen Stuhls und die Ewige Stadt fest im Blick; außerdem wollte er den exkommunizierten Ludwig IV. zur Räson bringen. Es bestand also die Aussicht, dass Johann von Böhmen diese Sehnsucht nach Italien in Ruhm und klingende Münze verwandeln und dabei womöglich sogar die Gunst des Papstes gewinnen konnte.
Wenn er dieses Risiko 1330 einging, dann auch, weil ihm das Kräfteverhältnis günstig erschien: Ludwig IV. saß zwar nach wie vor fest auf dem römisch-deutschen Thron, war jedoch durch seine zweifelhafte kaiserliche Krönung und die anhaltende Feindschaft des Papstes angeschlagen. Auf Johanns Habenseite standen Böhmen, die Unterstützung des Königs von Frankreich und das Wohlwollen des Heiligen Stuhls. Nach einem Treffen mit Ludwig am 6. August 1330 in Hagenau war Johann überzeugt, dass der Bayer ihm freie Hand lassen würde, in seinem Namen den Norden Italiens als integralen Teil des Reiches zurückzuerobern und den deutschen Machtanspruch dort zu festigen.
Zweifellos gab es noch einen weiteren Grund für Johanns Italienzug. Sein Sohn Karl hatte inzwischen das richtige Alter erreicht, um sich auf dem Schlachtfeld als Ritter zu bewähren. Sieben Jahre lang – von 1323 bis 1330 – hatte ihn sein Vater am französischen Hof erziehen lassen, damit er dort Kultur, feine Lebensart und die traditionelle Verbundenheit der Luxemburger mit dem französischen Königshaus kennenlernte; genauso hatte es Johann selbst getan und vor ihm sein Vater Heinrich VII., der am Hof Philipps des Schönen aufgewachsen war.
Während Karl seine frühe Kindheit in Böhmen in seiner Vita mit keinem Wort erwähnt, erstreckt sich die Schilderung der Pariser Jahre über mehrere Seiten. Französische Chroniken bestätigen seine Darstellung dieser Zeit, die im Wesentlichen seiner Erziehung gewidmet war. Karl lernt Lesen und Schreiben, Französisch, Liturgie und Gebete. Sein Hauslehrer ist der Abt Peter Roger von Fécamp, der von 1342 bis 1352 als Clemens VI. auf dem Papstthron sitzen wird und den Karl als „gebildete und gelehrte Persönlichkeit von hohem moralischem Ansehen“ beschreibt.26 In Paris legt Wenzel seinen böhmischen Vornamen ab und erhält stattdessen von seinem Firmpaten, dem französischen König Karl IV., den ruhmreichen fränkischen Namen Charles/ Karl. Und er heiratet im Alter von acht Jahren die französische Prinzessin Blanca von Valois. So weit die Einführung des jungen Prinzen bei Hofe. An diese Jugendzeit knüpft er wehmütig nochmals an, als er an seinem Lebensabend, wenige Monate vor seinem Tod, 1378 ein letztes Mal nach Paris reist. Seine Vita spiegelt die schönen persönlichen Erinnerungen an eine unbeschwerte Zeit wider: „Der französische König ließ mich durch einen Bischof firmen und gab mir seinen eigenen Namen Karl. Außerdem vermählte er mich mit der Tochter seines Oheims Karl. Sie hieß Margareta, wurde aber Blanca genannt. […] Dieser König liebte mich sehr. Er vertraute mich seinem Kaplan an, damit dieser mir ein wenig Unterricht erteile, obwohl er selbst keine solche Ausbildung genossen hatte.“27 Johann wollte seinen Sohn jedoch nicht für immer in Paris lassen. Der inzwischen 14-jährige Prinz sollte nicht am Ufer der Seine verkümmern, wo er lediglich „in der Heiligen Schrift las“, wie Karl seine Zeit in Paris rückblickend mehrfach beschrieb. Sein Vater habe ihn schließlich von Italien aus zu sich beordert: „In jener Zeit schickte mein Vater nach mir in die Grafschaft Luxemburg.“ Als Karl im