Die Schilderung der Anfänge und Handlungsweisen Johanns bis zu dessen fast völliger Erblindung 1340 in der Rückschau ist für Karl IV. schon deshalb notwendig, weil er als junger Prinz den Anordnungen des Vaters hatte Folge leisten müssen, nach Erreichen der Volljährigkeit jedoch seine eigenen Entscheidungen unter anderem auf die tatsächlichen oder vermeintlichen Mängel stützte, die er im Verhalten seines Vaters zu erkennen glaubte. Wir kommen hierauf später noch zurück: Der so oft beschworene Konflikt zwischen Karl und seinem Vater ist zweifellos übertrieben worden, und zwar primär von Historikern, aber auch von Karls Zeitgenossen, angefangen bei ihm selbst, denn in seiner Vita bildet dieser Gegensatz fast schon ein Leitmotiv für seine Lebensgeschichte und die Emanzipation vom Vater. Seine Mutter hingegen erwähnt Karl kaum, obwohl er das Erbe und die Tradition der Přemysliden ja seiner Abstammung von ihr verdankt. Dass Elisabeth zwischen 1315 und 1320 offenbar den böhmischen Adel bei einem Aufstand gegen ihren Mann unterstützte, dürfte zur Entfremdung zwischen König und Königin beigetragen haben. Ab 1323 wurde sie von der Erziehung des kleinen Wenzel ausgeschlossen. Zuvor war 1320 ein Bruder Karls zweijährig verstorben. Von den Zwillingsmädchen, die Elisabeth 1323 zur Welt brachte, lebte das eine nur wenige Monate, das andere wuchs in Bayern auf. Auch ihre übrigen drei Kinder wurden an Höfen im Ausland erzogen. Sie selbst durfte erst 1325 nach Böhmen zurückkehren und starb 1330 vereinsamt außerhalb von Prag, während Johann in der Ferne von Schlachtfeld zu Schlachtfeld zog.29
Zwischen Böhmen und dem Heiligen Römischen Reich: die römisch-deutsche Krone
Nach seiner Rückkehr aus Italien war Karls erstes Ziel in Böhmen das Grab seiner Mutter im Kloster Königsaal, bevor er weiterreiste und am 30. Oktober 1333 in Prag eintraf. Wenig später erhob ihn sein Vater zum Markgrafen von Mähren. In seiner Autobiografie zeichnet Karl ein recht trostloses Bild von dem Böhmen, das er im Auftrag seines Vaters verwalten soll. Baufällige Schlösser, menschenleere Ortschaften und eine verlotterte Hauptstadt, die königlichen Güter verfallen oder verpfändet: „Und so fanden wir bei unserer Ankunft in Böhmen weder Vater noch Mutter, weder Bruder noch Schwester, noch irgendeinen Vertrauten. […] Auch die böhmische Sprache hatten wir völlig verlernt. […] Dieses Königreich trafen wir derart verwahrlost an, dass wir keine einzige freie Burg fanden, die nicht schon mit allen königlichen Gütern verpfändet war. So hatten wir keine andere Bleibe außer in Stadthäusern, wie jeder andere Bürger auch. Die Prager Burg aber war […] verwahrlost, verfallen und heruntergekommen.“30 Die Lage war aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ganz so verzweifelt, wie der junge Prinz sie darstellt, um seine eigene Rolle beim Wiederaufbau aufzuwerten. Es stimmt aber wohl, dass er das Königreich, das er nach zehnjähriger Abwesenheit vorfand, kaum wiedererkannte. Nicht einmal die Sprache beherrschte er noch richtig. Er war mit dem empfindlichen Gleichgewicht innerhalb des Hochadels nicht vertraut und wusste noch nicht, auf welche Ressourcen er zurückgreifen konnte. Innerhalb weniger Jahre, so Karls Schilderung, setzt er die Ansprüche des Königshauses wieder durch, verschönert Prag und andere Städte, erwirbt die verpfändeten königlichen Güter zurück, baut eine funktionierende Justiz auf und bringt die aufsässigen Freiherren dazu, sich ihm wieder zu unterwerfen. Doch mit alledem verletzt er die Eitelkeit und den kleinlichen Stolz seines Vaters so empfindlich, dass dieser ihm die Verwaltung Böhmens entzieht: „So blieb uns nur der leere Titel eines Markgrafen von Mähren.“31 Die Realität dürfte etwas differenzierter ausgesehen haben: Die wichtigen Entscheidungen im Rahmen der Wiederherstellung der königlichen Macht in Böhmen fielen sicher in Abstimmung zwischen Vater und Sohn. In Frankreich und in Luxemburg standen beiden Berater zur Seite, die den jungen Prinzen schon in den 1330er-Jahren auch in Prag begleiteten. Ebenso wurden die großen diplomatischen Vorstöße gemeinsam vorbereitet, namentlich das 1335 mit dem polnischen König geschlossene Übereinkommen zu Schlesien und das im November desselben Jahres in Visegrád vereinbarte Neutralitätsabkommen zwischen den Königreichen Polen, Böhmen und Ungarn. Ohne eine solche enge Abstimmung innerhalb des Hauses Luxemburg, die Karls Großonkel Balduin als Kurfürst und Erzbischof von Trier aufmerksam überwachte, wären die zielgerichtet aufeinander abgestimmten Schritte zwischen 1340 und 1346 nicht nachvollziehbar, an deren Ende sich Karl bei der Königswahl gegen den mächtigen Ludwig den Bayern durchsetzen konnte.
In der Tat lassen sich schon 1340 erste Anzeichen dafür ausmachen, dass die gesamte Luxemburger Dynastie für Karl hohe Ziele verfolgte. 1341 trat Johann nach seiner endgültigen Erblindung alle Ansprüche auf Böhmen an seinen Sohn ab. Schon 1340 war bei einem Treffen mit Papst Benedikt XII. auf Vermittlung von Peter Roger von Fécamp, Karls Hauslehrer in seiner Zeit in Paris und zwei Jahre später Nachfolger Benedikts auf dem Papstthron, offenbar eine Allianz zwischen Avignon und Prag geschmiedet worden, um den exkommunizierten Kaiser zu schwächen und möglichst bald abzulösen. Bei dieser Gelegenheit, so die Vita, sagte Peter Roger von Fécamp zu Karl: „Du wirst noch römischer König werden.“ Daraufhin antwortete der Luxemburger seinem Mentor: „Zuvor wirst du Papst sein.“32 Im selben Jahr hatte Karl seine älteste Tochter Margarete fünfjährig mit dem ungarischen König Ludwig I. von Anjou verlobt. Den Anlass zu einer ersten Konfrontation zwischen Karl und Ludwig IV. lieferte der Wittelsbacher, als