Karl IV.. Pierre Monnet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pierre Monnet
Издательство: Автор
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Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806242737
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In den Augen Karls IV. war also die Königswahl so eng mit dem Frieden im Reich verknüpft, dass beide Aspekte zur selben Zeit geregelt werden sollten. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass in dieser Frage definitive, weitreichende Entscheidungen gefallen wären, auch wenn die Abgesandten der Stadt Straßburg ihrem Stadtrat berichteten, dies sei geplant gewesen. Da es in Nürnberg keine Räumlichkeiten gab, die sich für derartige Verhandlungen geeignet oder auch nur genügend Platz für alle Stände und Fürsten geboten hätte, fanden eher informelle Erörterungen statt, Tag für Tag protokolliert unter der strengen Aufsicht des Kanzlers Johannes von Neumarkt, der vermutlich gemeinsam mit dem Kaiser und König den Prolog zur Bulle verfasste. An den Verhandlungen beteiligt waren im Wesentlichen die sieben Kurfürsten, die in der Urkunde namentlich genannt sind und denen der Kaiser noch vor den darin ausdrücklich genannten Privilegien separat zahlreiche weitere Vorrechte gewährt hatte. Es scheint, als habe Karl nach der Verabschiedung der 23 Kapitel, die Ablauf und Rituale der Königswahl festschreiben, und nach der Gewährung der Privilegien für die Fürstentümer der sieben Kurfürsten am 10. Januar 1356 in Nürnberg seine Pläne vorerst auf Eis gelegt.12 Dass dennoch ein zweiter Reichstag anberaumt wurde, hatte mit der Forderung der Kurfürsten nach einer weiteren Untermauerung ihrer Vorrechte und nach einer Präzisierung ihrer jeweiligen Ämter zu tun, aber auch mit der neuen Situation in Frankreich aufgrund der Geschehnisse im Herbst (Niederlage bei Poitiers, Gefangennahme des Königs, Zusammentreten der Generalstände) sowie der Ansprüche, die der spätere Karl V. von Frankreich auf die Dauphiné erhob.13 Die zweite Zusammenkunft wurde deutlich schneller anberaumt und besser vorbereitet, zumal die meisten Artikel schon vor Dezember in Abstimmung mit den Fürsten redigiert worden waren.

      Bei der am 25. Dezember 1356 verabschiedeten, nun 31 Artikel umfassenden Bulle handelt es sich konkret um eine königlich-kaiserliche Urkunde, die von der Hofkanzlei erstellt und mit einem Goldsiegel versehen wurde, das ihre Echtheit und Erhabenheit bezeugt.14 Unter den Hunderten Urkunden, die von der Kaiserlichen Kanzlei erstellt und bulliert wurden, verkörpert allein dieses später „Goldene Bulle“ genannte Dokument eindeutig und unmissverständlich den berühmten Text von 1356.15 Das kostbare Siegel dokumentiert weithin sichtbar den Stellenwert, den Karl IV. ihm trotz des situationsgebunden unfertigen Charakters beimaß.16 Die Siegelfelder des beidseitig geprägten Goldsiegels sind mit sechs Zentimetern Durchmesser groß genug für detailreiche Bilddarstellungen. Auf dem Revers sieht man die Stadt Rom, auf dem Avers den thronenden Kaiser mit Krone, Zepter und Reichsapfel. Diese drei Reichsinsignien symbolisieren die Heiligkeit und Souveränität des Königs und erinnern an die Bestimmungen der Kapitel XXVI und XXVII darüber, in welcher Reihenfolge und von welchen Kurfürsten diese Gegenstände getragen, präsentiert und dem gewählten König überreicht werden sollen, nämlich von den drei geistlichen Kurfürsten, den Erzbischöfen von Trier, Köln und Mainz. Rechts vom Kaiser sieht man den Kaiserschild mit dem einköpfigen Adler, links von ihm den böhmischen Königsschild mit dem Löwen. Die Umschrift nennt die vollständige kaiserliche Titulatur: karolus quartus divina favente clemencia romanorum imperator semper augustus et boemie rex. Die beiden Wappen berühren die Armlehnen des Throns; er ist Darstellungen des biblischen Königs David nachempfunden, der auf einer der seitlichen Platten der Kaiserkrone abgebildet ist.17 Der Revers trägt in der Mitte die Aufschrift aurea roma und die Umschrift roma caput mundi regit orbis frena rotundi („Rom, das Haupt der Welt, lenkt die Zügel des Erdkreises“) rings um eine schematische Darstellung der Ewigen Stadt, wie sie sich bereits auf den Bullen Konrads II. (1024–1039) findet. Karl IV. greift hier eine Tradition wieder auf, mit der sein Vorgänger Ludwig IV. gebrochen hatte, damit sich die Romdarstellung auf seinen Bullen – vor allem nach Verhängung des Kirchenbanns 1328 – von denen auf päpstlichen Siegeln unterschied. Durch die Entlehnung seiner Vorlage bei Friedrich II. präsentierte Karl IV. sein Gesetzeswerk als unmittelbares Erbe der Staufer, insbesondere Friedrichs II. als Urheber überragender Gesetzessammlungen wie der Konstitutionen von Melfi, die er 1231 in seinem Königreich Sizilien erließ.

      Das Goldsiegel: der thronende Kaiser auf dem Avers, der Revers zeigt die Stadt Rom.

      Was besagen nun die 31 Artikel der Goldenen Bulle? Zunächst einmal legen sie fest, dass der Kaiser den Kurfürsten auf ihrem Weg durch das Reich nach Frankfurt freies Geleit zusichert, wo sie einen „römischen König und künftigen Kaiser“ wählen sollen. Sie versammeln sich in der Kirche des hl. Bartholomäus,18 der in karolingischer Zeit gegründeten kaiserlichen Stiftskirche, die im 14. Jahrhundert Hauptschauplatz des Kultes um den „Heiligen“ Karl den Großen war.19 Die Kurfürsten feiern eine Messe und schwören, den am besten geeigneten Kandidaten auf den Thron zu wählen. Danach schließen sie sich in der Seitenkapelle der Kirche ein und schreiten zur Wahl. Ist nach 30 Tagen keine Entscheidung gefallen, erhalten sie wie bei einer Papstwahl nur noch Wasser und Brot. Die Abstimmung erfolgt mit einfacher Mehrheit, wobei jeder Kurfürst sich zur Wahl stellen und sich auch selbst wählen darf. Der gewählte König muss den Kurfürsten, die als „gediegene Stützen und unerschütterliche Säulen des Reiches“ gelten, unverzüglich sämtliche „Privilegien, Urkunden, Rechte, Freiheiten, Bewilligungen, alten Gewohnheiten und auch Würden“, die sie bis zum Tag der Wahl innehatten, vor aller Ohren bestätigen und besiegeln.20 Es folgen präzise Vorgaben für die Sitzordnung und Reihenfolge der Kurfürsten bei Reichstagen, Festtafeln, Prozessionen und „feierlichen Aufzügen“. Eine Sonderstellung hat dabei „der König von Böhmen, weil er ein gekrönter und gesalbter Fürst ist.“21 Die weltlichen Kurfürsten – der König von Böhmen, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der Pfalzgraf bei Rhein – kommen durch die Bulle in den Genuss der Erblichkeit und Unveräußerlichkeit ihres Stimmrechts und der gewährten Privilegien, die nach ihrem Tod auf ihren erstgeborenen Sohn übergehen. Alle Kurfürsten einschließlich der drei Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz erhalten „Gerechtsamen“ [Hoheitsrechte] in Bezug auf Bergwerke und die Prägung von Gold- und Silbermünzen sowie Gerichtsfreiheit vor jedem königlichen Gericht. Die sieben Kurfürsten, so die Bulle weiter, müssen einmal jährlich vier Wochen nach Ostern in einer Stadt ihrer Wahl einen Reichstag abhalten und dort Angelegenheiten ihrer Fürstentümer und des Reiches erörtern. Den Städten verbietet die Bulle die Aufnahme und Einbürgerung von „Pfahlbürgern“ [außerhalb der Stadt wohnenden Inhabern der Bürgerrechte] und die Beteiligung an Städtebünden.22 Die beiden letzten Artikel bekräftigen nochmals, dass „die feierliche Wahl des Römischen Königs und künftigen Kaisers in der Stadt Frankfurt, die erste Krönung in Aachen und [der erste Reichstag] in der Stadt Nürnberg“ stattfinden sollen. Angesichts der Vielfalt an Gesetzen, Gebräuchen, Lebensweisen und Sprachen in den verschiedenen Ländern des Heiligen Römischen Reiches sollen die Söhne der weltlichen Kurfürsten neben ihrer deutschen Muttersprache ab ihrem siebten Lebensjahr in der lateinischen, italienischen und slawischen [tschechischen] Sprache unterrichtet werden, „weil diese Sprachen in besonderem Maße im Heiligen Römischen Reiche benützt und benötigt werden und weil man in ihnen die schwierigsten Reichsgeschäfte erörtert“.

      Weder Erblichkeit noch Approbation durch den Papst, sondern eine „deutsche“ Wahl also: Das ist die Essenz der Urkunde, die das Wahlprinzip mit dynastischem Denken verknüpft sowie die Anerkennung und erlauchte Würde der sieben Kurfürsten herausstreicht, denen in ihren eigenen Fürstentümern erhebliche Hoheitsrechte und -attribute zustehen. Ihre Abstimmung nach dem Mehrheitsprinzip, die „Kur“, genügt bereits, damit der König automatisch der künftige Kaiser ist, ohne dass eine päpstliche Bestätigung