Am 1. August 1348 starb seine erste Frau Blanca von Valois. Nachdem damit der Platz an seiner Seite frei geworden war, hatte Karl eine Idee, wie er dem Wittelsbacher Lager endgültig den Wind aus den Segeln nehmen konnte. Am 4. März 1349 heiratete er Anna von der Pfalz, die Tochter des Grafen und Kurfürsten Rudolf, der zweimal Kandidaten von Karls Gegenspielern unterstützt hatte. Nun konnte Karl sich als großmütiger Sieger geben und die Ansprüche der sechs Söhne Ludwigs IV. auf Bayern und Brandenburg bestätigen. Nichts und niemand trennte ihn mehr von einer bedingungslosen definitiven Anerkennung als römisch-deutscher König. Dabei hätte er es belassen können, doch das widersprach seinem ausgeprägten Sinn für Tradition und für die Würde des ihm verliehenen Königtums. Er war in Rhens gewählt und in Bonn gekrönt worden – nun musste er beide Zeremonien an den althergebrachten und damit „richtigen“ Orten noch einmal wiederholen: die Königswahl am 17. Juni 1349 in Frankfurt und die Krönung durch seinen Großonkel Balduin von Trier am 25. Juli in Aachen. Das Besondere an diesen Städten war ihre enge Verknüpfung mit dem Andenken an den als Heiligen verehrten Karl den Großen.21
Allerdings blieb Karl IV. nicht lange im Reich; er wollte die Konsolidierung des Königreichs Böhmen abschließen. Er ernannte Balduin zum Reichsvikar und beauftragte ihn, im Süden, insbesondere in Franken und Schwaben, Landfriedensbündnisse mit königlicher Garantie zu schließen. Balduin ebnete zudem den Weg für eine Aussöhnung mit den Wittelsbachern und ihren Verbündeten. Er starb am 21. Januar 1354 und erlebte den Frieden von Sulzbach, den Ludwig V. am 1. August 1354 unterzeichnete, nicht mehr mit. Der Vertrag befriedete das Reich und krönte Balduins Lebenswerk, denn er verkörperte den Sieg des Hauses, das er fast 40 Jahre lang mit aller Kraft unterstützt hatte. Bei alledem hatte Karl allerdings wohl die Kosten unterschätzt, die sich beträchtlich summierten: 900 000 Gulden waren an die Kurfürsten gegangen, 500 000 an eine ganze Reihe anderer Reichsfürsten, 300 000 an diverse Freiherren und Adlige, 100 000 an die Reichsstädte. Es dauerte lange, bis der nun endlich als legitim anerkannte König sich von diesen Ausgaben erholte. Gedeckt wurden sie teils durch Darlehen, teils durch die Verpfändung und Überschreibung großer Teile der königlichen Besitzungen oder zumindest dessen, was davon Mitte des 14. Jahrhunderts noch vorhanden war.22 Die Parteigänger der Bayern, allen voran der Chronist Matthias von Neuenburg, verspotteten Karl nun nicht mehr nur als „Pfaffenkönig“, sondern obendrein als ewig in Geldnöten steckenden Krämer und Geizkragen: „Er hatte über seine vorhandenen Mittel hinaus für das Reich so viel ausgegeben und verschwendet, dass die Schankwirte in gewissen Städten ihn nur mehr bedienen wollten, wenn er ihnen dafür eine Hypothek oder Garantie gab, und mehrmals wurden wegen unbezahlter Schulden seine Güter gepfändet.“23 Bei aller Plumpheit liegt in dieser Unterstellung ein Körnchen Wahrheit: Wenn Karl es so eilig hatte, nach Böhmen heimzukehren, dann auch, weil er auf die sprudelnden Einkünfte seines Königreichs zählte, um wenigstens einen Teil der Verbindlichkeiten zu decken, die er für die Festigung seines römisch-deutschen Thronanspruchs eingegangen war. Doch damit war es nicht getan. Von jedem neu gewählten und gekrönten römisch-deutschen König wurde erwartet, dass er möglichst bald seine Kaiserkrönung betrieb. Sie bildete die entscheidende letzte Etappe auf dem weiten Weg zum weltlichen Oberhaupt der Christenheit und musste in Rom erfolgen. Karl war bewusst, dass auf dieser langen Reise, die ihn trotz bereits leerer Kassen viel Geld kosten würde, viele Gefahren lauerten und Hindernisse zu überwinden waren. Den Tod seines Großvaters Heinrich VII. 1313 hatte er sicher nicht vergessen. Zudem waren angespannte Verhandlungen mit dem Papst zu erwarten, denn seit dem Tod seines treuen Verbündeten Clemens VI. 1352 saß der unnahbare Innozenz VI. auf dem Thron Petri, der die Rechte des Heiligen Stuhls mit Argusaugen hütete.24 Auch der Gedanke an eine neuerliche Begegnung mit dem Wespennest Italien, das er zwischen 1331 und 1333 fürchten gelernt hatte, behagte Karl vermutlich nicht. Zu alledem musste er sich auf unbestimmte Zeit von seinen Königreichen Böhmen und Deutschland entfernen, von denen zwar das erste fest in seiner Hand war, Letzteres jedoch nur bedingt. Dennoch war die Kaiserkrönung nicht nur eine Pflicht, sondern auch verführerisch, zumal Innozenz VI. Karl ebenso dazu drängte wie der Volkstribun Cola di Rienzo und der Dichter Petrarca. Verlockend war auch das Geld der kaisertreuen ghibellinischen Städte. Seine Berater überzeugten Karl, dass er sich seinem Schicksal nicht entziehen dürfe und mehr zu gewinnen als zu verlieren habe, wenn er sich – wie Karl der Große im Jahr 800 – zum Kaiser krönen ließ.
1355: Ein Kaiser wird gekrönt
Eine Kaiserkrönung lässt keinen Geschichtsschreiber kalt. Alle zeitgenössischen Chronisten erwähnen sie: die Italiener aus Siena, Pisa und Florenz, die Deutschen und die Tschechen, ganz zu schweigen von der Entourage des Königs und seinen Beratern. Manche widmeten dem Ereignis eigenständige Berichte wie etwa der Augenzeuge Jean Porte d’Annonay (Johannes Porta de Annoniaco), dessen Schilderung korrekterweise „Die römische Reise des Herrn Kardinal Petrus de Colombier, Kardinal von Ostia, zur Krönung Kaiser Karls IV.“ hätte heißen müssen und für die sich im 19. Jahrhundert der Titel Liber de coronatione Karoli IV. Imperatoris einbürgerte, „Buch von der Krönung Karls IV.“25 Heute ist davon lediglich noch eine vollständige Abschrift aus dem 15. Jahrhundert erhalten, die in Prag aufbewahrt wird. Sie ist bezeichnenderweise in eine Handschrift eingebunden, die auch die Vita Caroli IV, eine Fassung der Goldenen Bulle von 1356 und die böhmische Chronik von Karls offiziellem Geschichtsschreiber Přibík Pulkawa von Radenin enthält. Jean Porte d’Annonay war Privatsekretär des Kardinalbischofs von Ostia, Pierre Bertrand le Jeune de Colombier (Petrus Bernardus iunior de Columbario), den Innozenz VI. am 10. November 1354 offiziell damit beauftragte, an seiner Statt die Kaiserkrönung vorzunehmen. Jean war deshalb bei der gesamten Zeremonie anwesend und führte sorgfältig Protokoll. Wie schon bei der Krönung Heinrichs VII. residierte Innozenz in Avignon und konnte die Feierlichkeiten nicht persönlich leiten, hatte jedoch seinem Legaten präzise Instruktionen gegeben. Karl, der bereits die römisch-deutsche und die böhmische Königskrone trug, war dagegen schon recht versiert.26
Das für die Christenheit so bedeutungsvolle Zeremoniell zwischen den beiden Universalmächten Kaiser und Papst war nicht ohne Risiko und verlangte Mut. Der feierliche Akt, gleichermaßen herbeigesehnt und gefürchtet, war auf beiden Seiten von langer Hand vorbereitet worden. Schon 1350 hatte Karl IV. die Florentiner in einem Brief über seine Aussöhnung mit den Bayern informiert und sie wissen lassen, dass er sich nun im Besitz der Reichsinsignien befand: Krone, Mantel, Schwert, Reichsapfel. Zur gleichen Zeit hatte Clemens VI. seine italienischen Kardinäle aufgefordert, die Frage der Kaiserkrönung nicht ohne ihn zu erörtern, und 1351 und nochmals 1353 seinen Kardinallegaten Gil de Albornoz eindringlich gebeten, sich in Rom für ihn einzusetzen. Obwohl also alle im Stillen darüber nachdachten, wagte niemand, das Thema offen anzusprechen. Bis die Frage durch eine abenteuerliche Laune des Schicksals unversehens im Raum stand: 1347 hatte Cola di Rienzo, eigentlich Nicola di Lorenzo, in Rom die Macht ergriffen und sich selbst den Ehrentitel „Anwärter auf den Heiligen Geist, gestrenger und barmherziger Ritter, Befreier Roms, Verteidiger Italiens, Freund der Erde und erlauchter Tribun“ zugestanden, der als Inschrift am Giebel der Basilika Santa Maria in Aracoeli hoch oben auf dem Kapitolshügel prangte. Der Volkstribun hatte die alteingesessenen Adelsfamilien verjagt und eine Republik nach altrömischem Vorbild ausgerufen.