In der linken hinteren Ecke entdeckte er eine hohe Holztruhe, die man gegen die Wandschräge gestellt hatte.
Hinter ihr fand der Bandit gerade so viel Platz, daß er hineinkriechen konnte. Es war kein bequemer Platz, den er sich da ausgesucht hatte, aber der Galgenmann hatte keine Wahl.
Luke Short und Doc Sommers hatten jetzt das Wartezimmer und den Behandlungsraum des Arztes einer gründlichen Durchsuchung unterzogen. Aber auch diesmal ohne Erfolg.
Der Verbrecher war buchstäblich im letzten Augenblick entkommen.
Der hünenhafte Texaner griff sich an den Schädel.
»Hol’s der Teufel, wenn ich das kapiere! Der Kerl kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!«
Es half alles nichts, der Bandit war nicht zu finden.
Es war am späten Nachmittag. Der Abend senkte bereits seine ersten Schatten über die Stadt und brachte eine diesige Luft mit von der Prärie.
Der Mann hinter der Truhe riskierte es jetzt, sein unbequemes Versteck zu verlassen.
Er hatte es vor Schmerzen nicht mehr aushalten können. Am liebsten wäre er hinuntergerannt, um den Arzt um Hilfe zu bitten. Aber das hätte dann auch sein sicheres Ende bedeutet. Billy Osrodan fühlte nicht mehr genug Kraft in sich, einen Kampf auf sich zu nehmen.
Er kroch auf allen vieren zur Tür und lauschte ins Haus.
Unten herrschte geschäftiges Treiben. Unentwegt kamen und gingen die Kranken, die die Hilfe Doc Sommers’ in Anspruch nahmen.
Osrodan schlich durch den kurzen Flur auf das kleine Fensterviereck zu, das ihm einen Blick auf die Allenstreet gewährte. Er konnte es wagen, sich aufzurichten und hinauszusehen, da es von einer dünnen Gardine bedeckt war.
Der Eindringling sah sich um. Rechts lag das Schlafzimmer – und an der Wand neben dem Bett sah er eine Winchesterbüchse hängen.
Er richtete sich höher auf und blickte auf die Straße und zuckte gleich darauf jäh zurück.
Drüben auf der anderen Straßenseite auf dem Vorbau des Sheriffs Office stand Wyatt Earp!
Wilder Zorn flammte beim Anblick des Marshals in dem Banditen auf und gab ihm neue Kraft. Er wandte sich um, betrat das Schlafzimmer und nahm die Büchse von der Wand.
Mit hämischer Befriedigung stellte er fest, daß sie geladen war.
Rasch kehrte er damit an das Fenster zurück. Aber der Vorbau des Sheriffs Bureaus war leer.
Dafür entdeckte der Bandit den Marshal jetzt drüben vor dem Eingang des Crystal Palace.
Gleich schräg gegenüber. Und für den Heckenschützen viel näher als das Sheriffs Bureau.
»Ich habe ihn also nicht getötet«, keuchte er. »Noch nicht! Aber warte, Amigo, deine Stunde hat jetzt geschlagen! Ich werde dich auslöschen, und die Crew wird es mir danken.«
Der Wahnwitzige lud die Waffe durch, hob das Fenster vorsichtig um einen Spalt an und schob den Lauf des Gewehres langsam über die Fensterbank.
Seine Hände zitterten. Der Schweiß rann ihm in Bächen über den Körper, von der Stirn durch die Brauen in die Augen.
Er wischte mit dem Jackenärmel über die Stirn, wischte sich die Augen trocken und blinzelte über den Gewehrlauf.
Er hatte den Kopf des Missouriers jetzt genau über der Kimme. Das Gewehr schwankte nur noch schwach.
Wo war das Korn?
»Nur Ruhe!« versuchte sich der Verbrecher einzureden. »Du mußt jetzt die Nerven behalten. Nur für ein paar Sekunden noch!«
Er hob den Lauf weiter an.
Hölle! Wo war das Korn?
Der schwarze Punkt wollte und wollte sich nicht in den Ausschnitt der Kimme schieben lassen.
Weiter hob er den Lauf an.
Da endlich verlor der scharfe Kimmeneinschnitt seine Form und wurde durch einen rundlichen Strich verändert.
Das Korn trat in die Kimme, verrutschte nach links, nach rechts, versank wieder.
Keuchend hielt der anvisierende Heckenschütze inne und wischte sich wieder über die Stirn. Dann schlug er die Zähne knirschend aufeinander und visierte sein Ziel von neuem an.
Die Kimme saß genau über dem weißen Kragen des Marshals.
Und das Korn teilte das dunkle, von der Hutkrempe halbverdeckte Gesicht des Marshals in zwei Hälften.
Billy Osrodan spannte mit dem rechten Daumen den Hahn.
Die winzige Bewegung jagte einen stechenden Schmerz durch sein linkes Schultergelenk.
»Stirb, Hund!« keuchte er tonlos – und spannte den rechten Zeigefinger um den Abzug.
Während Luke Short immer noch die Nachbarschaft, die ganze Umgebung des Arzthauses absuchte und Wyatt Earp vorn die Mainstreet beobachtete, war es im Russianhouse sehr still geworden.
Eine der Mägde hatte die Glasscherben hinten im Flur weggefegt, und drüben in der Sägemühle war bereits ein Auftrag gegeben worden, der das Schließen der Flurwand betraf.
Im Zimmer des Georgiers herrschte tiefe Stille.
Laura Higgins stand vor dem Bett des Mannes und blickte auf sein scharfgeschnittenes Gesicht, das von einer bleiernen Blässe bedeckt war.
Die Atemzüge des Mannes waren tief und regelmäßig.
Wird er wieder gesund werden? überlegte die Spielerin.
Wie sehr sie doch an diesem Mann hing. In ihren sonst so kühlen kristallenen Augen schimmerten Tränen.
Ich habe kein Glück bei ihm! Aus irgendeinem Grunde verachtet er mich. Vielleicht, weil ich eine Spielerin bin, weil ich mein Geld am Grünen Tisch verdiene. Aber tut er nicht das gleiche? Lebt er nicht auch vom Spiel? Wie kann er mich für etwas verachten, das er doch selbst tut!
Ihre Augen wanderten von dem Gesicht des Mannes zu seinen Händen.
Es waren schlanke, nervige Männerhände, die so feinmodelliert und doch so männlich wirkten.
Die Hände der Frau, die ineinander gelegen hatten, lösten sich. Ihre Rechte berührte sacht eine dieser Männerhände.
Da schlug Doc Holliday die Augen auf. Er blickte in den düsteren Raum und sah dann neben sich die Frau. Die Hand der Spielerin war zurückgezuckt.
Holliday wollte sich aufrichten.
»Bitte, Doc, Sie müssen liegenbleiben«, sagte sie.
Seine spröden Lippen sprangen auseinander.
»Was ist… passiert?«
»Sie sind doch in Fleggers Bar verwundet worden. Und Doc Sommers und Doc Baxter haben Ihnen die Kugel herausgeholt.«
Holliday hatte die Brauen zusammengezogen. Wieder sprangen seine Lippen auseinander. »Der Marshal! Wo ist er!«
Die Frau preßte die Lippen zusammen. Ein bitterer Zug beherrschte jetzt ihr Gesicht.
Also galt sein erster Gedanke wieder ihm! Diesem Mann aus Missouri.
Wieder stieg der alte Haß gegen den Marshal in ihr auf.
Da hörte sie den Georgier fragen! »Ist ihm… auch etwas passiert?«
Langsam schüttelte sie den Kopf. »Nein, nichts.«
»Weiß er…«
»Ja, er war schon hier.«
Der Verwundete schloß die Augen, und seine Züge glätteten sich wieder.
Im Herzen der Frau, in dem bisher