Sie zog mit einem Ruck die Lade zu, packte ihre Tasche und ging hinaus.
Wortlos ging sie durch die Halle an der Hotelinhaberin vorbei und warf die Eingangstür donnernd hinter sich zu.
Nellie Cashman und der schwarze Sam tauschten einen Blick miteinander. Dann eilte die Frau auf das Zimmer des Spielers zu.
Doc Holliday öffnete die Augen, als die Tür so rasch geöffnet wurde.
»Entschuldigen Sie, Doc«, flüsterte die Frau, »ich wollte nur nachsehen…«
»Es ist alles in… Ordnung, Miß Cashman«, kam es schwach von den Lippen des Mannes.
Laura Higgins hatte den Platz vor dem Hotel überquert und ging mit raschen Schritten die Allenstreet hinauf.
Drüben vorm Crystal Palace sah sie den Marshal stehen.
Sie ging an dem Missourier vorbei auf das Hotel zu.
Wyatt blickte ihr nach.
In der großen geschliffenen Glastür, die in der kalten Jahreszeit stets eingesetzt wurde, blieb sie stehen und wandte sich um. Ihre schimmernden Augen hafteten auf dem Gesicht des Missouriers.
Eine leise Besorgnis stieg in dem Mann auf.
»Ist etwas geschehen, Miß Higgins?«
Die Frau schwieg noch einen Augenblick.
Dann sagte sie mit spröder Stimme: »Ich gratuliere. Sie haben gewonnen, Wyatt Earp.«
Damit wandte sie sich um und wollte die Tür hinter sich schließen.
Der Mann eilte ihr nach, ergriff ihren Arm und zog sie mit sanfter Gewalt auf den Vorbau zurück.
»Einen Augenblick, Miß Higgins.«
Als er in ihre Augen blickte, sah er darin blanken Haß, Haß, wie ihn nur eine Frau empfinden konnte.
»Was wollen Sie von mir?« schleuderte sie ihm giftig entgegen.
»Ich habe Ihre Bemerkung nicht verstanden, Miß Higgins. Würden Sie so freundlich sein, mir Ihre Worte näher zu erklären?«
»Ja.«
Wyatt schob die Tür des Salons zu und ging mit der Frau bis an die Vorbaukante. »Also, ich warte.«
»Doc Holliday ist zu sich gekommen, für einen Augenblick. Ich habe mit ihm gesprochen. Seine erste Frage – galt Ihnen.«
»Na und?«
»Das halten Sie wohl für selbstverständlich!« zischte sie ihm entgegen.
»Was ist das für eine dumme Rede, Miß Higgins.«
»Er hat gefragt, ob auch Sie verletzt wären.«
»Ist das ein Wunder? Wir reiten seit Jahren zusammen durch den Westen. Und wenn einer plötzlich aus einer Ohnmacht erwacht und findet sich in einem Bett wieder, dann ist die Frage nach dem Gefährten doch wohl nicht eben verwunderlich.«
»Nein, das ist sie nicht. Aber sein Leben ist nicht mehr sein eigenes Leben. Er hat es Ihnen, oder jedenfalls Ihrer Sache gewidmet. Er ist für die Welt verloren.«
»Ich an Ihrer Stelle würde weniger pathetisch sein und die Sache nüchterner sehen. Vielleicht würden Sie dann eher etwas erreichen können.«
»Ich will nichts mehr erreichen, Marshal.«
»Ich bin vom Gegenteil überzeugt, Madam.«
»Sie irren sich. Ich verzichte jetzt auf ihn.«
»Davon bin ich nicht überzeugt. Und ich werde Ihnen jetzt etwas sagen, was ich Ihnen schon lange sagen wollte: Sie haben es falsch angefangen, Laura Higgins. Wenn eine Frau um mich wirbt, dann würde ich es auch nicht schätzen, wenn es in der Weise geschähe, wie Sie es tun.«
Verwundert wandte sie den Kopf und blickte ihn verblüfft an.
»So? Und wie würden Sie es schätzen, Wyatt Earp?«
»Das weiß ich nicht. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Jedenfalls dürfte es nicht so geschehen. Ich teile Doc Hollidays Ansicht nicht, daß sein Leben verspielt ist. Wenn er hinauf in die Berge von Colorado gehen würde, könnte er vielleicht doch Genesung finden. Gut, er ist Arzt. Aber auch er weiß nicht, wie es wirklich in seiner Brust aussieht. Seine eisenharte Gesundheit, die ihn die schwersten Anfälle hat überwinden lassen, gibt mir längst zu denken.«
»Sie glauben also, daß er noch zu heilen wäre?« fragte die Frau rasch.
»Ich weiß es nicht. Jedenfalls verfügt er über eine eisenharte Gesundheit. Ich habe mit mehreren Ärzten und auch mit indianischen Medizinleuten gesprochen, die nach meiner Erfahrung sehr viel mehr von der heimtückischen Krankheit verstehen als unsere Ärzte, daß er oben, in der Höhenlage der Rocky Mountains, jedenfalls Linderung finden könnte und sicher länger leben würde als hier unten im Flachland. Und in Gegenden, wo die größte Zeit des Jahres über eine tropische Hitze herrscht.«
»Und Sie glauben, daß er nach Colorado reiten würde?«
Der Marshal schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich allerdings nicht. Und trotzdem haben Sie eine Chance, Laura Higgins. Wer weiß, ob Doc Holliday diese schwere Verletzung gut überstehen wird. Ich meine, daß er sie überstehen wird, glaube ich schon. Aber ob er jemals wieder der Mann sein wird, der er war, bevor er Fleggers Bar betrat, das weiß niemand. Und vielleicht braucht er dann einen Menschen.«
Jetzt zeigte es sich, daß die Spielerin Laura Higgins den Georgier John Holliday wirklich liebte.
»Es wäre mir völlig egal, ob er nicht mehr der gleiche Mann wäre, der er noch heute vormittag war. Ich würde bei ihm bleiben. Ich wäre glücklich, wenn ich bei ihm bleiben dürfte.«
»Und ich wäre glücklich, wenn er gesund würde«, setzte der Marshal hinzu.
Der Heckenschütze schräg gegenüber im Obergeschoßfenster des Arzthauses war aufgehalten worden. Wyatt Earp hatte sich abgewandt und mit der Frau gesprochen.
Jetzt standen die beiden drüben auf dem Vorbau.
Osrodan riskierte den Schuß jetzt nicht, da er fürchten mußte, von der Frau entdeckt zu werden, wenn er sie nicht zugleich mit dem Marshal tötete.
Er mußte warten, bis sie verschwunden war, hatte sie doch schon vorhin in den Crystal Palace gehen wollen. Er konnte also damit rechnen, daß der Marshal dann wieder allein auf dem Vorbau stehen würde.
Da wandte sich der Missourier plötzlich der Frau zu.
»Miß Higgins, blicken Sie jetzt bitte nicht hinüber auf die andere Straßenseite. Drüben im Obergeschoß von Doc Sommers hat jemand einen Gewehrlauf durch das Fenster geschoben. Gehen Sie langsam neben mir her zum Eingang des Saloons.«
Die Frau wußte sich meisterhaft zu beherrschen, zuckte weder zusammen noch zeigte sie durch irgendeine Bewegung ihr Erschrecken.
Langsam ging der Marshal neben ihr her auf den Eingang zu, öffnete die Tür und betrat mit ihr den Schankraum des Crystal Palaces.
Drinnen hinter dem Fenster blickte Wyatt zum Haus hinüber.
Der Gewehrlauf war immer noch oben zu sehen.
Das mußte der Mann sein, den Luke Short drüben bei Sommers gesucht hatte!
Laura Higgins stand neben dem Marshal. Jetzt erst kam ihr zum Bewußtsein, in welcher Gefahr sie sich befunden hatte. Aber sie war eine hartnervige Person.
»Soll ich ins Sheriffs Office laufen, um Luke Short zu informieren?« fragte sie.
»Nein, das hat keinen Zweck«, entgegnete der Marshal, ohne den Blick von der gegenüberliegenden Häuserfront zu nehmen. »Er ist nicht im Office.«
»Was wollen Sie tun?«
Der Missourier fuhr mit