Aber bis zur Dunkelheit konnte er nicht warten. Die Kugel in seiner Schulter brannte wie Feuer.
Zu der Angst vor den Verfolgern gesellte sich jetzt die Angst um sein Leben.
Das kleine Metallstück in seiner Schulter ließ ihn vor Verzweiflung aufheulen.
Aber sofort preßte er sich die Rechte vor den Mund und schwieg.
Nach einer halben Stunde war er zu der Erkenntnis gekommen, daß es ausgeschlossen war, das Zimmer durch das Fenster zu verlassen.
Er mußte den Weg wählen, der ihm die größte Deckung gewährte. Und zwar den Weg mitten durch das Russianhouse zum Ausgang.
Wenn er das nämlich schaffte, den Ausgang zu erreichen, hatte er es nicht mehr weit zu der Gasse hinauf, die zur Allenstreet führte.
Und dahin mußte er. In der Allenstreet wohnte Doc Sommers.
Es war nicht notwendig, ganz bis zur Hauptstraße hinaufzulaufen. Er konnte ja vorher in die kleine Parallelgasse abbiegen und durch den Hof in das Haus des Doktors kommen.
Der Gedanke war fast so wahnwitzig wie der, den er vor einer Stunde drüben in der Werkstatt gehabt hatte, als er beschloß, das Russianhouse anzuschleichen, um den Marshal zu erschießen.
Aber Billy Osrodan spürte, daß er keine andere Chance hatte. Er mußte handeln.
Vorsichtig erhob er sich und schlich zur Tür.
Der Schlüssel, das hatte er vorhin schon gesehen, steckte von innen. Hinaus konnte er also auf jeden Fall. Er versuchte die Tür zu öffnen. Sie war nicht verschlossen.
Behutsam zog er sie einen Spaltbreit auf und lugte hinaus. Im Gang war alles still. Kein Mensch weit und breit zu sehen.
Er befand sich im letzten Zimmer des Korridors.
Links lagen Scherben des zerschlagenen Fensters. Es hatte noch niemand Zeit gefunden, die Glasreste aufzusammeln.
Osrodan verließ das Zimmer und machte einige Schritte, als er oben von der Halle her Schritte hörte. Er wollte zurück.
Zu spät.
Er drängte sich in eine Türnische und lauschte mit angehaltenem Atem. Aber das Dröhnen des eigenen Pulsschlages ließ ihn nichts hören. Er schob den Kopf ein wenig vor und sah einen Mann den Gang herunterkommen. Verzweifelt tastete er mit der rechten Hand nach dem Türgriff und betätigte ihn.
Die Tür hinter ihm öffnete sich. Er blickte in ein dunkles Zimmer und huschte hinein.
Ein unterdrückter Schrei drang an sein Ohr.
Sofort hatte er den Revolver in der Hand.
Als sich seine Augen an die Dunkelheit, die hier in dem Zimmer herrschte, gewöhnt hatten, sah er drüben neben dem Bett einen Menschen stehen.
Eine Frau!
Es war Laura Higgins! Osrodan war in das Zimmer des verwundeten Doc Holliday geraten.
Der Bandit war nicht weniger erschrocken als die Frau.
»Wagen Sie es nicht, einen Laut von sich zu geben, ich knalle Sie sonst nieder, verstehen Sie«, stieß er in gebrochenem Englisch hervor.
Da wurde draußen an die Tür geklopft.
Osrodan wich auf Zehenspitzen zur Seite.
Leise spannte er den Hahn seines Revolvers.
»Fragen Sie, wer da ist«, flüsterte er.
Laura Higgins schluckte vor Zorn und Verzweiflung und fragte dann mit belegter Stimme: »Ja?«
»Ich bin es, Madam, Sam. Ich soll nur fragen, ob alles in Ordnung ist.«
Es blieb einen Augenblick still.
Osrodan krampfte seine schweißnasse Hand um den Revolverknauf und hob die Waffe an.
So dunkel es im Zimmer war – Laura Higgins sah den Lauf des Revolvers blinken.
»Es ist alles in Ordnung, Sam«, sagte sie halblaut.
»Gut, ich komme nachher noch einmal wieder.«
Man hörte, wie sich die Schritte des Schwarzen draußen entfernten.
Osrodan entspannte den Revolver und wischte sich mit dem Jackenärmel über die Stirn.
Sein Hemd klebte ihm am Körper, und seine Knie schlotterten.
Laura Higgins hatte die Rechte nach ihrem Handtäschchen ausgestreckt.
Der Bulgare hatte es nicht bemerkt.
Langsam öffneten die Finger der Frau den Verschluß und tasteten nach dem kleinen Derringer Revolver.
Vorsichtig zog sie ihn heraus und hob ihn langsam an.
Dann ging sie vorwärts.
Osrodan konnte nicht sehen, daß sie eine Waffe in der Hand hatte, da die Fensterritzen im Rücken der Frau waren.
»Bleiben Sie stehen!« hechelte er.
Laura Higgins hatte den Revolver in der rechten Hand.
»Was wollen Sie?« fragte sie.
»Ich – ich bin verletzt worden. Ich – Sie sollen zurückgehen. Stellen Sie sich drüben neben das Bett. Ich knalle Sie sonst nieder.«
Mit eiskalter Stimme entgegnete die Spielerin: »Dazu ist es zu spät, Mister.«
»Was fällt Ihnen…«
Klick! Die Frau hatte den Revolverhahn gespannt.
»Gehen Sie zur Tür und öffnen Sie sie!« befahl sie.
»Nein, das werde ich nicht tun. Ich habe nichts zu verlieren. Ich habe vorhin auf Wyatt Earp geschossen. Wahrscheinlich habe ich ihn getötet. Ganz sicher wird mich Doc Holliday zusammen mit dem Sheriff suchen. Und ich habe nichts zu verlieren. Merken Sie sich das!«
»Sie können mich nicht beeindrucken«, entgegnete die Spielerin gelassen. »Wenn Sie nicht gehorchen, schieße ich Sie hier im Zimmer nieder. Ich befinde mich in Notwehr.«
»Was wollen Sie denn?« krächzte der Mann. »Ich gehe ja schon.«
Er lief zur Tür, nahm den Schlüssel heraus und steckte ihn von draußen ins Schloß, aber abschließen konnte er nicht mehr. Er hatte es zu eilig.
Mit weiten Schritten tastete er den Gang hinauf zur Halle und hatte diese noch nicht ganz erreicht, als der Ruf der Spielerin hinter ihm hergellte: »Halt!«
Aber Osrodan hatte bereits den Eingang erreicht, stieß ihn auf und flüchtete mit weiten Schritten über den Vorplatz des Hotels auf die enge Gasse zu, die auf die Mainstreet führte.
Wie der Blitz war er auf dem Trampelpfad zwischen den Höfen verschwunden.
Er rannte in den Hof hinein, es war der fünfte, und sah sich einem alten Mann gegenüber, der Holz spaltete.
»Wohnt hier der Arzt?«
»Nein.«
Also im vierten Haus. Osrodan lief zurück und kam in den sauber aufgeräumten Hof des Arztes.
Die Hoftür stand offen. Er ging in den Korridor und fand auch die Tür zum Behandlungszimmer offen.
Vor einigen Monaten war er einmal hiergewesen, als er sich mit der Säge in die Hand geschnitten hatte.
Das Behandlungszimmer war leer.
Osrodan trat ein und blickte auf die weißgestrichene Tür, die zum Zimmer des Doktors führte. Er öffnete sie.
Sommers saß an seinem Schreibtisch und blickte jetzt verblüfft auf.
»Sie?«
»Ja, ich, Doktor. Sie müssen mir helfen! Ich habe eine Verletzung am Arm.«
»Bei euch unten in der Mühle scheint ja auch der