Ganz ruhig wollte er sein und völlig vergessen, wen er nun operierte.
In diesem Augenblick geschah dem Doktor Irvin Sommers das Schlimmste, was ihm passieren konnte: der Verwundete erwachte aus seiner Ohnmacht.
Doc Holliday seufzte tief auf und wandte dann den Kopf zur Seite. Er sah die Füße der Menschen, die den Tisch umstanden. Es dauerte Sekunden, bis er begriffen hatte, wo er sich befand. Aber was geschehen war, wußte er noch nicht.
Er sah die Füße, das Kleid und die Hände der Laura Higgins.
Langsam und unter dumpfem tiefem Schmerz, der ihn wieder in die Ohnmacht zurückreißen wollte, hob er den Kopf.
»Laura«, kam es leise über seine Lippen.
»Doc«, die Frau trat sofort an ihn heran und legte ihre elfenbeinernen, durchsichtigen Hände an sein Gesicht. »Doc«, stammelte sie noch einmal.
»Was… wollen die Leute hier?«
»Doc, Sie sind verletzt worden.«
»Verletzt?«
»Ja.«
»Ich verstehe nicht.«
Die Frau blickte sich verzweifelt im Kreise um.
Da kam Luke Short von der Theke her und kniete neben dem Tisch nieder.
Holliday sah sein kantiges, ebenmäßig geschnittenes Gesicht vor sich.
»Luke?«
»Ja, Doc, Sie sind hier von einem hinterhältigen Schurken niedergeschossen worden. Sie haben eine Kugel im Rücken.«
Der Kopf des Spielers sank auf die Tischplatte zurück, links war er an dem Kissen heruntergerutscht.
Es war totenstill im Schankraum.
Jerry Clanton, der sich inzwischen erhoben hatte, stand abseits und starrte auf die Gruppe hinüber. Auch er wagte sich nicht zu bewegen.
Dann war die rauhe Stimme des Georgiers wieder zu hören: »Wer ist hier?«
»Doc Sommers und Doc Baxter.«
»Welch ein Aufwand!« Wieder war es einen Augenblick still. Dann öffnete Holliday wieder die Lippen. »Doc Sommers.«
Der Arzt trat heran. Da sah Holliday die Pinzette in seiner Hand.
»Wo sitzt die Kugel?«
»Im zweiten Rippenbogen, Mr. Holliday.«
Der Spieler schloß die Augen.
»Tief?« fragte er.
»Ich weiß nicht. Aber Doc Baxter…«
Der Arzt brach ab.
Da trat Baxter vor den Spieler hin und bückte sich.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Holliday. Ich habe das Geschoß schon ertastet. Es sitzt nicht allzutief. Doc Sommers wird es jetzt herausholen. Ich selbst… Ich…«
Er wischte sich mit dem Jackenärmel den Schweiß von der Stirn, der ihm durch die Brauen schon in die Augen zu rinnen begann.
Wieder war es eine Weile still. Ohne die Augen zu öffnen, sagte Doc Holliday: »Sie müssen eine andere Pinzette nehmen, Sommers.«
»Eine andere Pinzette, ja.« Er nahm seine Tasche und hielt sie vor Doc Holliday hin.
Der blickte hinein und schloß die Augen wieder.
Darauf holte Baxter seine Tasche und nahm mehrere Pinzetten heraus. »Hier, Mr. Holliday. Welche soll er nehmen?«
Holliday öffnete die Augen wieder.
»Die zweite, die zweite…, die zweite«, keuchte er, nach Atem ringend. »Die mit dem breiten Fuß!«
Baxter nickte und reichte Sommers das bezeichnete Instrument.
Sommers hatte neuen Mut gefaßt. Mit bebender Stimme fragte er: »Mr. Holliday, würden Sie an meiner Stelle…« Er brach jäh ab. Ein Blick des Sheriffs hatte ihm angedeutet, daß der Verwundete das Bewußtsein wieder verloren hatte.
»Fangen Sie an, Mr. Sommers«, mahnte der Sheriff.
Der nickte, und seine Hand war plötzlich völlig ruhig. Er wußte ja jetzt, daß er die richtige Pinzette hatte, und vorsichtig führte er sie in die Wunde.
Doc Baxter hatte gute Vorarbeit geleistet und die Wunde mit dem scharfen Löffel etwas vergrößert und gereinigt, so daß er unbehelligt vorgehen konnte.
Plötzlich stieß seine tastende Hand auf Widerstand.
In diesem Augenblick ließ ein gellender, markerschütternder Schrei die Menschen im Schankraum erzittern.
Luke Short lief sofort hinter die Theke auf den Flur und sah an der Küchentür eine grauhaarige Frau stehen, der die vollgepackte Einkaufstasche zu Boden gefallen war.
Es war Mrs. Liston, die Haushälterin der beiden Fleggers.
Sie hatte den Toten gesehen.
John Flegger stand hinter dem Sheriff und starrte auf den bebenden Rücken der Frau. Dann erklärte er: »Das ist unsere Haushälterin, Mrs. Liston, Sheriff.«
Die Frau drehte sich um und blickte die beiden Männer an.
Sie begriff nichts.
Luke Short wandte sich um und eilte in den Schankraum zurück.
Die Augen der anderen waren ihm fragend entgegengerichtet.
»Machen Sie weiter, Dr. Sommers!« mahnte der Arzt.
Es dauerte noch drei volle Minuten, bis die Pinzette des Arztes aus der Wunde herauszuckte. In ihrem breiten Fuß hing ein verformtes Stück Metall.
*
Wyatt Earp hatte die großen Corrals am Westrand der Stadt verlassen und hielt auf eine winzige Parallelgasse der Allenstreet zu.
Es war ein eigenartiges Bild, das diese Stadt an einem Wintertag bot.
Von der Sonne sonst so verwöhnt, hatte Tombstone sich jetzt in sich selbst verkrochen. Es war nicht eigentlich kalt, aber doch unbehaglich für die Menschen dieses Landstriches.
Wyatt Earp schritt an den Rückfronten der Höfe vorbei.
Schon von weitem hörte er das klatschende Aufschlagen von Brettern, die von einem Wagen abgeladen wurden. Als er den Hof des Zimmermanns Tucker erreicht hatte, blieb er stehen. Der krummbeinige, kleine Tucker war damit beschäftigt, lange Bretter, die er aus der Sägemühle geholt hatte, von einem Wagen abzuladen.
Plötzlich hatte er den Mann hinten am Zaun entdeckt.
Das Brett, das er eben vom Wagen gezogen hatte, fiel ihm aus den Händen. Alle Farbe wich aus dem Gesicht des Mannes. Schrecken stand in seinen Augen.
Da wandte er sich plötzlich um und rannte davon; durch das Haus, vorn auf die Straße hinaus.
Ein bitteres Lächeln zuckte um die Mundwinkel des Marshals.
Es war eine Panikhandlung des Zimmermanns gewesen, daß er die Flucht ergriffen hatte. Früher einmal war er ein Anhänger der Clantons gewesen. Und als nach dem Kampf im O. K. Corral hier in der Stadt der große Prozeß tagte, hatte er verzweifelt versucht, sich herauszuwinden. Und es war ihm mit sehr viel Mühe auch gelungen, unbeschadet aus dem gewaltigen Wirbel zu entkommen.
Jetzt hatte ihn der plötzliche Anblick des Marshals derartig erschreckt, daß er die Flucht ergriffen hatte.
Wyatt ging langsam weiter.
Stumm und verlassen lagen die Höfe da. Meist unaufgeräumt, unsauber, schmutzstarrend.
Plötzlich glaubte der Missourier, nicht richtig gehört zu haben.
Die Stimme eines Mannes war an sein Ohr gedrungen: »Ich werde es dir geben, du eingebildete Schachtel, du! Ich schlage dir den Schädel ein, wenn du nicht tust,