Wyatt Earp wußte jedoch zu dieser Stunde noch nicht, daß es neben Ike Clanton gerade dieser Kirk McLowery sein sollte, der ihm am meisten zusetzen würde. Immer noch unterschätzte er den stolzen Dandy-Cowboy aus dem San Pedro Valley.
Und schon erwuchs ihm ein neuer Gegner aus den Reihen seiner Feinde, auch ein gefährlicherer Gegner, als es jetzt den Anschein hatte: Jerry Clanton! Der Bursche, der erst vor vierundzwanzig Stunden ins Cochise County gekommen war.
Alle Wege schienen den Marshal immer wieder nach Tombstone zu führen. Und alle Fährten und Spuren schienen auf diese Stadt hin zu deuten.
Und jeder Inbegriff dieser Stadt war Ike Clanton! Wyatt wußte jetzt, daß er immer noch der Herr des Cochise County war, damals hatten sie gelacht, die Earp-Brüder, als er sich der König von Arizona nannte, der ungebärdige Rebell von der Clanton Ranch, der weiße Geronimo, wie ihn ein bekannter New Yorker Publizist einmal genannt hatte.
Wyatt Earp vermochte sich nicht aus dem Bannkreis dieses Mannes zu lösen. Das heißt, er vermochte seinen Argwohn gegen den einstigen Bandenführer nicht zu begraben.
Vielleicht war er ja völlig unschuldig, vielleicht hatte er wirklich nichts mit den Galgenmännern zu tun. Aber tief in der Brust des Marshals war der Argwohn geblieben, war zuweilen aufgeflackert, wieder verebbt, um dann unter der Asche zu neuer Glut zu werden!
Als Wyatt vor wenigen Tagen oben in Red Rock – nach einer Hetzjagd auf einen der Anführer der Galgenmänner – plötzlich auf Kirk McLowery gestoßen war und als die Spuren anderer Galgenmänner hinunter nach Südosten, also nach Tombstone deuteten, war der furchtbare Verdacht von neuem aufgeflackert!
Wyatt Earp war aus dem Haus des Schmiedes Blackwell gekommen, fast am Ende der Fremontstreet, als er den Reiter ganz zufällig auf der Overlandstreet, die früher im Westen der Stadt vorbeiführte, gesehen hatte.
Ike Clanton war auf den Boot Hill geritten.
Wyatt hatte ihn dort öfter beobachtet. Er hatte auch jetzt nicht daran gedacht, ihn zu stören. Aber er vermochte ganz einfach nicht, dem Mann den Rücken zu drehen, um in die Stadt zurückzugehen!
Beobachten muß ich ihn! Wie in Stein gemeißelt standen die Worte in seinem Hirn und ließen sich nicht auswischen.
Und jetzt war er auf ihn zugekommen, stand kaum drei Schritte von ihm entfernt und bohrte den Blick in Wyatts Augen.
Der Wind brachte den Geruch der Prärie mit und trieb dem Rancher das lange Haar ins Gesicht.
Wieder öffneten sich die harten Lippen des Viehzüchters: »Weshalb beobachten Sie mich, Marshal?«
Da erhielt der Tombstoner eine Antwort, die er ganz gewiß nicht erwartet hatte.
Der Missourier hob seine breiten Schultern etwas und ließ sie wieder fallen: »Ich weiß es nicht, Ike.«
Verstört blickte ihn der einstige Desperado an.
Eine volle Minute kroch zwischen den beiden Männern dahin.
Dann schien die Spannung von Ike Clanton abzufallen.
Er griff in seine Reverstasche und zog eine seiner langen schwarzen Virginia-Strohhalmzigarren daraus hervor, die er sich zwischen seine großen weißen Zähne schob.
Er nahm ein Schwefelholz und riß es an dem rissigen Gatterholz an.
Obwohl ihm der Wind jetzt stark über den Rücken blies, brachte der Rancher den Tabak in Brand.
Er ließ das Holz fallen und setzte den staubigen Stiefel darauf.
Während er jetzt zur Stadt hinüberblickte, sagte er mit seiner rauhen, rostigen, heiseren Stimme: »Ich war bei Billy.«
»Ja, ich weiß«, entgegnete der Marshal leise.
»Sie werden es nicht verstehen, Wyatt.«
Wyatt nickte unmerklich. »Doch, Ike, ich verstehe es.«
Der Despreado nahm den Kopf herum und fixierte den Marshal verwundert.
Dann sah er wieder auf die Dächer der Stadt hinunter, die zu Füßen des flachen Hügels lag und sich – wie mit Fingern – weit in die Savanne erstreckte. Es war groß geworden, dieses Tombstone. Fast schon eine richtige kleine Stadt.
»Und doch ein armseliges Kaff!« sagte der Rancher und sprach dem Marshal aus dem Herzen.
»Ja, wegen Billy bin ich hier. Es war schade um ihn, Wyatt. Er war erst siebzehn.«
Der Marshal kehrte der Stadt den Rücken zu und blickte über den Corral zum Friedhof.
»Ja, sehr schade. Er war ein prächtiger Bursche.«
Ike kaute auf dem Strohhalm herum und spürte den beizenden Geruch des schwarzen Tabakdeckblattes auf den Lippen.
»Und das Verrückteste ist, daß er Sie gemocht hat.«
Ike lehnte mit dem Rücken am Gatter und starrte auf die Stadt hinunter.
Nur noch etwa zwei Yards lagen jetzt zwischen den beiden Männern. Es war eine Weile still. Und der Wind zauste an den Haaren und den Halstüchern der beiden.
Da wandte Ike sich um und blickte in den Corral. »Eine Menge Vieh könnte hier stehen«, sagte er leise.
»Ja«, antwortete der Marshal.
»Wenn Billy noch lebte, könnte er eine eigene Farm haben. Ich habe Rinder genug. Ehrlich erworbene Rinder. Schade um ihn.«
Es war wieder einen Augenblick still, dann fragte der Rancher, ohne den neben ihn am Gatter lehnenden Mann anzusehen: »Was suchen Sie eigentlich, Wyatt?«
»Das will ich Ihnen sagen, Ike. Da Sie mich danach fragen. Ich suche einen verantwortungslosen, gerissenen Verbrecher, der eine Bande von Tramps anführt, um mit Hilfe dieser Schwachköpfe das Land hier in Not und Unglück zu stürzen.«
Ike Clanton schwieg. Der Marshal fuhr fort: »Ich suche den Boß der Galgenmänner, Ike.«
Der Rancher schob die Virginia von einem Mundwinkel in den anderen, ohne etwas zu sagen.
»Kennen Sie vielleicht diesen Mann?« fragte der Marshal leise.
Ike blickte in den staubigen Corral, in dem der Wind jetzt ein Rontondo drehte und den Staub bis zu den Brettern aufwirbeln ließ, an denen er wie schmirgelnd entlangtrieb.
»Eine ganze Menge Vieh ginge hier rein.«
Da wandte sich der Missourier blitzschnell um, seine Rechte packte die linke Schulter des Ranchers und zerrte den Mann zur Seite.
Aus funkelnden, jetzt tiefdunklen Augen senkte er den Blick in die gelben Lichter des einstigen Verbrecher-Chiefs.
»Ike, ich habe Sie etwas gefragt.«
Er nahm die Hand von der Schulter des Banditen.
Der kniff plötzlich das linke Auge ein und bleckte seine großen weißen Zähne. Ohne die Virginia aus dem Mund zu nehmen, lachte er dröhnend los.
»Es tur mir leid, Marshal, ich kann Ihnen nicht helfen. – Ich habe übrigens keine Zeit. Dieser Strolch, der mir da gestern zugelaufen ist, dieser Köter, er ist mir entwischt und muß wieder in der Stadt stecken. Seinetwegen bin ich überhaupt hierhergeritten.«
Wyatt zog die Brauen zusammen. »Jerry?«
»Ja, dieses ungebrannte Büffelkalb hat sich wieder davongemacht.«
»Nur keine Sorge, ich werde es schon einfangen.«
Wyatt hatte so seine eigenen Gedanken über dieses ›Büffelkalb‹.
Ike warf ihm einen lauernden Blick zu.
»Er gefällt Ihnen nicht,