»Timon und Jenny Löffler sind genau die richtigen Kunden für mich«, sagte Robert im Brustton der Überzeugung. »Wenn ›Silberwald‹ erst mir gehört und völlig entkernt und entstaubt worden ist, werde ich meine Auftraggeber noch ganz anders beeindrucken können als in meinem Büro in Lugano.«
Lilly schauderte. »Ich freue mich für deinen Erfolg«, sagte sie knapp, »aber jetzt gibt es anderes, an das du denken solltest. Dein Bruder hatte einen Unfall und hat sich die Schulter verletzt. Er ist bei Arbeiten an der Glaskuppel abgestürzt.«
»Was?« Schlagartig war Robert nüchtern. »Ist er schwer verletzt? Dieser Idiot, wie konnte das passieren, und natürlich musste er allein dort rauf.«
»Vorwürfe nützen jetzt nichts, die macht er sich bestimmt selbst schon genug«, entgegnete Lilly. »Du solltest dir lieber überlegen, wie du ihn jetzt unterstützen kannst, solange du noch hier bist.«
Robert zuckte verlegen mit den Schultern. »Was sollte ich denn für ihn tun können? Von seiner Tischlerei verstehe ich nichts, und auf dem Gut läuft doch alles von ganz allein.«
»Wie wäre es ganz einfach mal mit ein bisschen Anteilnahme?« fragte Lilly streng.
»Hab ich doch, auch wenn ich nicht andauernd mit ihm Händchen halte«, murrte Robert mit einem Anflug von schlechtem Gewissen. »Wo ist er denn? Im Krankenhaus oder zu Hause?«
»Er ist hier und soll sich schonen. Ich glaube, er hat sich jetzt in den Garten zurückgezogen«, informierte Lilly ihn.
»Dann will ich ihn jetzt nicht stören, außerdem muss ich dringend mit Rautende reden. Ich habe Gäste eingeladen, die ich nicht mit Hausmannskost bewirten will.«
Lilly traute ihren Ohren nicht. »Du hast was?«, fragte sie ungläubig. »Du lädst Fremde ein, ohne es vorher mit Daniel abzusprechen?«
»Warum sollte ich das tun?«, fragte Robert aufrichtig überrascht.
»Weil er der Hausherr ist und wir seine Gäste sind«, erwiderte Lilly bestimmt.
»Ich bin hier ebenso Hausherr wie mein Bruder, ›Silberwald‹ gehört ihm nicht allein«, antwortete Robert scharf. »Wenn ich wen einladen will, dann tue ich es. Timon und Jenny sind potenzielle Auftraggeber, um die ich mich kümmere. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich deswegen meinen kleinen Bruder um Erlaubnis bitte?«
»Das ist selbstverständlich und eine Frage der Höflichkeit«, erwiderte Lilly entschieden. Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und ging ins Haus, um Rautende um eine Beschäftigung zu bitten. Im Augenblick konnte sie Roberts Gesellschaft nicht mehr ertragen.
Dieses Gefühl verstärkte sich im Laufe des Abends, als das andere Paar bei ihnen zu Gast war. Robert verstand sich blendend mit den beiden jungen Leuten, die ähnliche Ansichten vom Leben hatten wie er. Lilly konnte mit der Unterhaltung, die sie als oberflächlich empfand, wenig anfangen. Die Löfflers erzählten von ihren großen Reisen, tollen Feriendomizilen und ihrem absolut unzureichenden Sechs-Zimmer-Haus mit nur zwei Bädern. Robert war ganz in seinem Element und spielte mit Ideen, die Jenny vor Begeisterung laut kreischen ließen.
Das war der Augenblick, in dem Daniel sich vom Tisch verabschiedete. Er hatte den unerwarteten Besuch höflich über sich ergehen lassen, aufgeregtes Geplapper über seinen Sturz und die klugen Hunde gelassen beantwortet und Robert die Position als Gastgeber überlassen. Er war mehr Zuschauer als Teilnehmer bei dieser Dinnerparty und nun hatte er genug. Höflich verabschiedete er sich und verließ das Esszimmer.
Nachdem Daniel gegangen war, erschien Lilly der Raum plötzlich größer und kälter, als er es eben noch gewesen war. Es strengte sie an, dem Plappern Jennys, dem Prahlen ihres Mannes und Roberts gut verpacktem Geschäftssinn zuzuhören. Als ganz selbstverständlich eine Flasche wertvoller, alter Whisky aus Daniels Beständen auf den Tisch kam, verabschiedete auch sie sich.
»Aber Süße, bleib doch, es ist noch nicht spät. Seitdem du auf dem Land bist, gehst du mit den Hühnern ins Bett und stehst mit den Hühnern auf, das muss wirklich nicht sein«, sagte Robert und hielt ihren Arm fest.
Lilly hasste es, wenn er sie Süße nannte. »Gute Nacht euch allen«, sagte sie kurz und zog ihren Arm zurück. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ sie das Zimmer und suchte Rautende.
Die ältere Frau saß zusammen mit Kilian auf der kleinen Terrasse vor der Küche und trank Weinschorle. Auf dem Tischchen schimmerte ein Windlicht, und der Duft des Geißblatts erfüllte die Luft. »Entschuldige bitte, wenn ich störe«, sagte Lilly ein wenig verlegen, »aber ich habe eine Frage.«
»Du störst überhaupt nicht«, antwortete Rautende freundlich. Sie spürte sofort, dass Lilly ihre Frage ungern vor Kilian stellen wollte und ging mit der jungen Frau ins Haus hinein. »Was gibt’s denn, wobei ich dir helfen kann?«
»Wenn es nicht zu viel Mühe macht, hätte ich gern ein anderes Zimmer«, antwortete Lilly. »Ein Zimmer für mich allein. Robert hat seine Gäste und es wird spät werden und …«
»Brauchst gar nichts weiter zu sagen«, unterbrach Rautende sie verständnisvoll. »Hier gibt es mehrere Gästezimmer, und ich weiß eines, das ganz genau zu dir passt.« Sie begleitete Lilly durch die Eingangshalle in den Flur, der zu den hinteren Schlafzimmern führte. Dort öffnete sie die Tür zu einem Raum, der zwei große Fenster hatte, die über Eck lagen. Trotz der nächtlichen Dunkelheit ahnte man, wie besonders und schön dieser Raum im Tageslicht sein würde.
Wie alle anderen Zimmer hatte auch dieses einen schimmernden, hellen Holzfußboden und hohe Wände. Die cremefarbene Blümchentapete wirkte nostalgisch und wurde von schlichten Vorhängen in einem zarten Pfirsichfarbton ergänzt. Dazu passten das weiße Metallbett, ein bequemer, moderner Sessel mit Beistelltisch und ein weißer Kleiderschrank. Mehrere Lampen mit Schirmen in der gleichen Farbe wie die Vorhänge tauchten den Raum in ein warmes Licht.
Vom ersten Augenblick fühlte sich Lilly in diesem Zimmer wohl und geborgen. »Rautende, es ist bezaubernd«, sagte sie dankbar. »Es ist feminin, ohne kitschig zu sein. Wem hat dieses Zimmer vorher gehört?«
»Roberts und Daniels Mutter«, antwortete die ältere Frau liebevoll. »Hier hat sie früher ihre Briefe geschrieben, gemalt, den Kindern vorgelesen oder mit ihrer besten Freundin Kaffee getrunken. Die Möbel sind, bis auf ihren Schreibtisch, neu, aber die Tapete, Vorhänge und Lampen hat sie noch ausgesucht.«
Zufrieden schaute sich Lilly um. »Dieses Zimmer hat eine ganz besondere Atmosphäre. Ich werde wunderbar hier schlafen können.«
»Ich lege dir frische Bettwäsche und Handtücher heraus«, erwiderte Rautende, ohne weitere Fragen zu stellen.
»Und ich hole meine Sachen.« Lilly marschierte hinüber in Roberts altes Zimmer und packte. Sie legte ihm einen Zettel mit der Nachricht aufs Kopfkissen, dass sie sich für ein eigenes Zimmer entschieden habe, und ging.
Während Roberts Unterhaltung mit seinen Gästen feucht-fröhlicher und seine Planung immer kostspieliger wurde, streckte sich Lilly gemütlich auf dem Bett mit der duftenden Leinenwäsche aus und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Du hast in der Tat zwei sehr bemerkenswerte Söhne, Sybille Berger«, sagte sie in die Stille hinein, die keine Antwort für sie bereithielt. Irgendwann hörte sie auf, über die ungleichen Brüder nachzudenken, kuschelte sich tiefer in die Kissen und schlief ein.
*
Erwartungsgemäß war Robert gekränkt von Lillys Umzug und konnte ihren Wunsch nach Rückzug nicht verstehen. »Was soll das heißen, du kannst mit meiner großspurigen Art und dass ich mit den Löfflers getrunken habe, nichts anfangen!«, regte er sich auf. »Ich arbeite daran, einen neuen Auftrag zu bekommen, und dafür ist mir jedes Mittel recht. Selbst wenn das heißt, dass ich mit dieser Jenny flirte, und du eifersüchtig bist.«
Lilly verdrehte genervt die Augen. »Ich bin nicht eifersüchtig!«, antwortete sie bestimmt. »Diese Löfflers sind mir als Personen völlig egal. Es gefällt mir nicht, wie du dich hier verhältst. Du spielst den Hausherrn, bedienst