»Natürlich«, murmelte Lilly abwesend.
Der große Raum war dunkel und warm, der Schein der einzigen Lampe bildete eine Insel aus Licht, in der Daniels blonde Haare und seine blauen Augen schimmerten. Es wäre so leicht und es fühlte sich so richtig an, jetzt diesen einen Schritt zu tun, der ihn noch von ihr trennte – wenn nicht der andere Mann, zu dem sie gehörte, unter diesem Dach wäre, nur durch die Halle und einige Türen von ihr getrennt.
»Ich sollte jetzt gehen. Gute Nacht, Daniel«, flüsterte Lilly und floh aus dem Zimmer.
»Gute Nacht, Liebste«, antwortete er leise, nachdem sich die Tür hinter der jungen Frau geschlossen hatte.
*
Der nächste Tag verging wie im Flug mit den Vorbereitungen für die Ausstellung und die Bewirtung der Gäste. Den Besuchern im Festsaal der Burg wurden Erfrischungen angeboten, das Kellnern hatten Emilia, ihr Freund Markus und ihre Freundin Toni, eine Tochter der Familie von Raven, übernommen. Enge Freunde würden abends, wenn die Ausstellung geschlossen war, noch zu Gast in ›Silberwald‹ sein.
Während Daniel im Burgturm Alexandra beim Hängen der Bilder und den Stellwänden unterstützte, half Lilly Rautende bei den Vorbereitungen in der Küche. Die beiden jungen Leute gingen sich nicht bewusst aus dem Weg, aber beide spürten, dass es besser so war. Der Abstand zwischen ihnen war inzwischen viel zu klein und gleichzeitig unüberbrückbar.
Zum Glück gab es sehr viel zu tun, und es blieb keine Zeit für Grübeleien. Sehr schnell war es achtzehn Uhr, und die Ausstellungseröffnung rückte näher. Lilly stand in Roberts ehemaligen Zimmer vor dem Kleiderschrank und überlegte, was sie am Abend tragen wollte. Es sollte chic, aber nicht übertrieben festlich sein und den Anlass würdigen. Sie hielt ein schön geschnittenes, grünes Sommerkleid mit einem angedeuteten Blattmuster und eine schmale, schwarze Leinenhose mit einem weißen Spitzentop in die Höhe, als Robert ins Zimmer trat. Ihre Blicke begegneten sich im Spiegel und wieder einmal dachte er, wie gutaussehend Lilly war und dass sie heute Abend etliche Blicke auf sich ziehen würde.
Er trat zu ihr und legte seine Hand in ihren Nacken. »Wann hast du eigentlich vor, deinen Schmollwinkel in Sybilles Zimmer zu verlassen und wieder hierher zu kommen?«, fragte er nicht unfreundlich.
In jeder Hand einen beladenen Kleiderbügel, trat Lilly zwei Schritte von ihm zurück und entzog sich seinem Griff in ihrem Nacken. Wenn sie eben noch bereit gewesen war, heute Abend als seine Freundin mit ihm zur Ausstellung zu fahren, hatte sich das schlagartig geändert.
»Es ist nicht mein Schmollwinkel«, antwortete sie kühl. »Und ich fühle mich dort sehr wohl. Ich kann noch nicht sagen, wann ich wieder in dieses Zimmer komme.«
»Meine Güte, wenn ich bloß verstehen könnte, wovon du eigentlich Abstand brauchst!«, rief Robert ärgerlich aus.
»Du begreifst es noch immer nicht«, erwiderte sie resigniert. Lilly hängte die Hosenkombination in den Schrank zurück und suchte nach den passenden Schuhen für das grüne Kleid.
»Nein, tue ich auch nicht, und ich finde es ungerecht, dass du immer wieder darauf herumreitest«, verteidigte Robert sich. »Lass uns doch versuchen, Frieden zu schließen, bitte, Lilly. Ich weiß, dass dir dieser Abend etwas bedeutet, weil er wichtig für deine Patentante ist. Ich möchte mit dir zu der Ausstellung gehen ohne das Gefühl, ständig auf dem Prüfstand zu stehen.«
Lillys Gesichtsausdruck wurde weich. Wenn hier noch irgendetwas zu retten war, dann musste auch sie sich Mühe geben. »Wir sollten um halb sieben hier losfahren. Ich warte in der Halle auf dich«, sagte sie mit einem kleinen Lächeln.
Während Lilly sich in Sybilles Zimmer fertig machte, verbot sie sich energisch jeden Gedanken an Daniel. Sie steckte ihre dunklen Haare zu einem hohen Knoten auf, den sie mit weißen Blüten aus dem Garten schmückte. Ohrringe aus grünem Glas, farblich passende High Heels und eine grüne Handtasche vervollständigten ihr Outfit. Sie sah hinreißend und ein wenig exotisch aus.
Robert küsste ihre Hand, ehe er ihr die Autotür öffnete, und sagte bewundernd: »Heute Abend werden sich alle Augen mehr auf dich als auf die Bilder deiner Patentante richten.«
»Das hoffe ich ganz und gar nicht«, wehrte Lilly lachend ab. »Dann müsste ich sofort zurück und meine Gartenlatzhose mit dem verfärbten T-Shirt anziehen.«
»Und du glaubst, das würde etwas ändern?«, erwiderte er und blinzelte ihr gut gelaunt zu.
Sie kamen in entspannter Stimmung im Festsaal an, der sich rasch mit Besuchern füllte. Alexandra beantwortete freundlich Fragen zu ihren Bildern und führte selbstbewusst durch die Ausstellung. Mit Kalligraphie, der Kunst des Schönschreibens, ließen sich wundervolle Bilder herstellen, die auf großes Interesse bei den Besuchern stießen. Alexandra Baron hatte als Künstlerin bereits einen Namen, und nicht nur das Bergmoosbacher Tagblatt, sondern auch zwei große überregionale Zeitungen hatten Reporter geschickt. Sie wurde zu ihren Arbeiten interviewt, und es wurden Fotos gemacht.
Daniel freute sich, dass neben den Touristen auch viele Bergmoosbacher gekommen waren. Es war schön, die Nachbarn und Bekannte bei einem fröhlichen Anlass wiederzusehen, die er vor kurzer Zeit zur Beerdigung hatte einladen müssen.
Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete Lilly, mit wieviel Freundlichkeit und Respekt man Daniel begegnete. Es wurden Fragen nach seiner Zukunft gestellt, die nicht neugierig, sondern anteilnehmend klangen. Auch erkundigten sich viele nach den Folgen seines Sturzes und boten noch einmal Hilfe an, falls er sie brauchte.
Auch Robert begegnete man mit Freundlichkeit, aber wesentlich zurückhaltender. In einigen Fragen schwang deutlich der Verwurf deswegen mit, dass er sich jahrelang nicht hatte blicken lassen, obwohl ihn seine Familie brauchte.
Robert ging scheinbar darüber hinweg, aber über sein Sektglas hinweg flüsterte er Lilly zu: »Meine Güte, was denken diese Leute denn, was ich getan habe? Jahrelang geschlafen? Ich habe gearbeitet!«
Das hat Daniel auch, dachte Lilly.
Sie suchte seinen Blick, und jedes Mal, wenn sie sich anschauten, war es wie Heimkommen.
Lilly stand vor einem Bild ihrer Patentante, das sie ganz in Schwarz und Weiß gehalten hatte. Alle Buchstaben schienen miteinander zu verschwimmen, aber wer genau hinschaute, erkannte eine haarscharfe Trennungslinie.
Das sind Robert und ich, dachte Lilly. Wir sind auch nur scheinbar zusammen und doch getrennt.
Tränen traten in ihre Augen, aber sie blinzelte sie schnell weg. Dieses war Alexandras Abend, an dem hatte Trauer nichts zu suchen. Hilfesuchend schaute sie sich nach Robert um und entdeckte ihn neben einer Stellwand, an der nur Bilder in unterschiedlichen Blautönen hingen. Er hörte seinem Bruder zu, der sich mit einem der Reporter unterhielt. Lilly ging zu den Männern hinüber und stellte sich neben Robert.
»Idee und Ausführung dieser Glaskuppel über dem Raum sind genial«, sagte der Reporter gerade begeistert zu Daniel. »Ich habe nicht damit gerechnet, heute Abend den Baumeister zu treffen. Herr Berger, das ist die Gelegenheit für ein Interview. Man munkelt, Sie sind sogar für einen Preis vorgeschlagen? Eine Reportage in unserer bekannten Zeitung wird Ihnen weitere Türen öffnen.« Der Journalist hielt Daniel bereits sein Aufnahmegerät entgegen und wollte den Eröffnungssatz sprechen, aber der junge Mann schüttelte den Kopf.
»Nein, heute Abend wird es kein Interview wegen der Glaskuppel geben«, entgegnete er bestimmt. »Sie sind hier wegen der Künstlerin Alexandra Baron, nicht wegen mir. Wenn Sie eine Reportage über die gläserne Kuppel bringen möchten, würde mich das freuen, aber wir müssten uns ein anderes Mal darüber unterhalten.«
»Ich weiß nicht, ob es ein anderes Mal geben kann«, antwortete der Reporter unzufrieden. »Jetzt bin ich vor Ort, und wir sollten diese Gelegenheit nutzen.«
»Es ist nicht mein Abend!«, erinnerte Daniel ihn. Er überreichte dem Mann eine seiner Visitenkarten. »Wenn Sie an einem Interview interessiert sind, haben Sie meine Kontaktdaten.«
»Ich kann nicht