Der neue Landdoktor Staffel 8 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740956721
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Garten hinaus, der an die Streuobstwiese grenzte. Hier hatte Daniel auf einer kleinen Anhöhe seinen Lieblingsplatz, eine alte Holzbank, die halb verborgen unter dem blühenden Jasmin stand. Er liebte es, dort zu sitzen und die Dämmerung heraufziehen zu sehen. Die jagenden Schwalben kamen zur Ruhe, allmählich verstummten die Vogelstimmen, und geschützt im feinen Bodennebel traten die ersten Rehe aus dem Waldrand hervor. Daniel freute sich auf die Ruhe und Abgeschiedenheit dieses Ortes, aber als er näher kam, sah er, dass er nicht allein war. Lilly saß dort, hatte die Beine auf die Bank gezogen und mit ihren Armen umfasst. Das Kinn hatte sie auf die Knie gelegt und schaute gedankenverloren über die Wiese. Als sie ihn bemerkte, hob sie ruckartig den Kopf und starrte ihn an.

      Daniel blieb stehen. »Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte er leise. »Du siehst aus wie jemand, der nicht gestört werden möchte.«

      »Aber du störst doch überhaupt nicht«, antwortete Lilly sofort und rückte auf der kleinen Bank ein Stückchen zur Seite. »Komm, setz dich zu mir, es ist so wunderschön hier oben. Würde ich hier leben, wäre das mein Lieblingsplatz.«

      »Es ist tatsächlich mein Lieblingsplatz«, erwiderte Daniel lächelnd und setzte sich neben sie.

      Lilly wandte den Kopf und schaute ihn mit einem Blick an, den er nicht deuten konnte. »Das passt«, sagte sie schließlich.

      »Wie meinst du das?«, fragte Daniel verunsichert.

      »Du hast Sinn für Schönheit, und du liebst dein Zuhause«, erwiderte sie schlicht, »deshalb passt es.«

      Daniel spürte ein Gefühl der Wärme in sich aufsteigen. Es fühlte sich gut an, verstanden zu werden. »Danke«, sagte er leise. »Es tut mir leid, dass du heute die Auseinandersetzung mit anhören musstest, das war bestimmt nicht schön für dich.«

      »Für dich muss es noch viel schlimmer gewesen sein«, antwortete sie.

      »Ich hoffe, wir kommen zu einer friedlichen Einigung«, erwiderte er unbehaglich. »Aber jetzt lass uns bitte von etwas anderem reden. Ich möchte dir deinen Aufenthalt in ›Silberwald‹ nicht verderben.«

      »Das kannst du nicht, dazu ist es hier viel zu schön«, sagte Lilly spontan. Sie zog wieder die Beine auf die Bank und umschlang sie entspannt mit ihren Armen. »Erzählst du mir etwas von deinem Zuhause? Ich weiß noch so wenig darüber, und es interessiert mich sehr.«

      Daniels Herz flog ihr bei diesen Worten zu. »Meine Urgroßeltern haben ›Silberwald‹ aufgebaut, und seitdem ist es in Familienbesitz. Bis vor einigen Jahren ist es ein landwirtschaftlicher Betrieb gewesen, der von der Familie betrieben wurde. Als sich nach Vaters Unfall herausstellte, dass wir so nicht mehr ertragreich weitermachen konnten, wurde die Landwirtschaft verpachtet, und ich habe mich um den Aufbau der Tischlerei gekümmert.«

      »Was ist deinem Vater denn geschehen?«, erkundigte sich Lilly vorsichtig. Sie wollte Daniel nicht zu nahe treten, aber von Robert hatte sie so gut wie nichts über den Zustand seines Vaters erfahren.«

      »Nach dem Tod unserer Mutter hatte Vater sich verändert. Er war sehr viel stiller geworden und schien oft mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein«, begann Daniel langsam zu erzählen. »Er wurde nicht unzuverlässig oder gleichgültig, aber manchmal wirkte er abgelenkt. Das wird auch der Grund für seinen Unfall im Wald gewesen sein. Es wurde Holz gemacht, und ein fallender Baum hat ihn gestreift. Papa wurde im Genick getroffen. Zum Glück war es keine lebensgefährliche Verletzung und er war nicht gelähmt, aber er hatte immer wieder Ausfallerscheinungen. Bei einer Punktion des Rückenmarks kam es zu einer schweren Infektion, Papa hat wochenlang auf der Intensivstation gelegen. Danach war klar, dass er sich nicht mehr wie vorher um ›Silberwald‹ kümmern konnte, und ich habe die Verantwortung übernommen.«

      Und was hat Robert in der Zeit getan?, dachte Lilly erbittert. Ihre Zuneigung zu Daniel wuchs, als sie sich vorstellte, wie er in den vergangenen zehn Jahren gelebt hatte.

      »Papa ging es nicht durchgehend schlecht; er hatte auch gute Zeiten, in denen er mit draußen sein und sich um das eine oder andere selbst kümmern konnte. Das hat Papa geliebt. Leider kam dann der Schlaganfall, der ihn halbseitig gelähmt und auch sein Sprachzentrum getroffen hat. Seitdem war Papa ein Pflegefall.«

      »Und Robert hat euch nicht geholfen?«, fragte Lilly ungläubig.

      »Er ist zweimal zu Besuch gekommen, zu mehr blieb ihm nicht die Zeit«, erwiderte Daniel ruhig.

      »Zweimal in all den Jahren …«, murmelte Lilly. Traurig schaute sie Daniel an. »Und du hast dafür sogar dein Architekturstudium aufgegeben.«

      »Es ging nicht anders, ich konnte Rautende nicht mit allem allein lassen. Vor allem aber wollte ich für Papa und ›Silberwald‹ da sein«, sagte Daniel. »Das Studium aufzugeben tat mir zwar leid, aber ich habe es nicht als großes Opfer empfunden und mir hier etwas anderes gesucht.«

      »Das finde ich großartig und bewundernswert«, antwortete sie aus tiefstem Herzen.

      »Tja, das kann nicht jeder so sehen«, erwiderte Daniel mit einem schiefen Lächeln. »Meine damalige Beziehung hat es nicht ausgehalten.«

      »Das muss schlimm gewesen sein«, erwiderte Lilly mitfühlend. »Auf der ganzen Linie gab es Verluste für dich, und du hast damit ganz allein dagestanden.« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm, und es war gleichermaßen Trost und Anerkennung. »Und trotzdem bist du in all den Anforderungen nicht untergegangen und hast sogar etwas Neues, Aufsehenerregendes geschaffen, die gläserne Kuppel über dem Festsaal der Burg. Wie bist du nur auf diese Idee gekommen?«

      Daniel lachte leise auf. »Bei den Gemeinderatsitzungen zu diesem Thema wurde heiß diskutiert, und zunächst hielt man meinen Vorschlag für nicht durchführbar. Aber weil sie so viel Lichteinfall wie möglich haben und dafür keine großen Fenster in das meterdicke, alte Gemäuer brechen wollten, konnten sie sich schließlich auf meine Pläne einlassen. Die Kuppel wurde dann mit modernster Technik gebaut, aber auf die Idee an sich bin ich durch ein altes Märchen gekommen«, schloss Daniel leicht verlegen.

      Aber Lilly schien diesen Gedanken keineswegs albern zu finden. Sie schaute ihn nachdenklich an und platzte plötzlich heraus: »Hirsedieb! Das kann nur Hirsedieb gewesen sein.«

      »Du kennst dieses alte Märchen von Ludwig Bechstein?«, fragte Daniel überrascht.

      »Aber ja, bei uns zu Hause wurden noch Märchen vorgelesen, und dieses von der Prinzessin auf ihrem gläsernen Berg habe ich immer besonders gern gemocht«, antwortete Lilly begeistert. »Und dann hast du dir also diesen gläsernen Berg vorgestellt und daraus eine Kuppel aus Glas gemacht?«

      »So ungefähr«, antwortete Daniel lächelnd. Lilly war der einzige Mensch, dem er von dieser ungewöhnlichen Inspiration erzählt hatte, und ihre Reaktion machte ihn sehr glücklich. Für eine Sekunde erlaubte er sich den Gedanken, dass es kein Zufall, sondern Ausdruck ihrer tiefen gegenseitigen Verbundenheit war.

      Sie schaute ihn mit einem Blick an, in dem Daniel eine Zärtlichkeit las, die ihm den Atem raubte. Auf einmal umfassten ihre Hände sein Gesicht, und sie flüsterte: »Du bist einmalig, Daniel, weißt du das? Welcher andere Mann könnte etwas aus einem Märchen herausholen, was in der modernen Zeit Gestalt annehmen und dort bestehen kann? Ich finde das fantastisch.« Lillys Gesicht war seinem so nahe, dass er später nicht sagen konnte, ob es ihr Atem oder ihre Lippen gewesen waren, die ihn streiften. »Pass auf dich auf, lieber Daniel. Der Mann im Märchen hatte das Zauberpferdchen, aber wer hilft dir?«

      Du!, antwortete sein Herz, aber sein Verstand erinnerte ihn daran, dass diese wundervolle Frau zu seinem Bruder gehörte. »Nein, zu mir ist kein Zauberpferd gekommen, ich musste ohne das auskommen«, antwortete er mit großer Mühe. »Und wie du siehst, ging es auch so.«

      Lillys Hände sanken von seinem Gesicht herab, aber die Zärtlichkeit schimmerte weiter in ihren grünen Augen. »Ja, es musste wohl so gehen«, erwiderte sie träumerisch. Langsam stand sie auf und wandte sich zum Gehen. »Es war schön, mit dir zu reden, Daniel. Ich wünsche dir eine gute Nacht.«

      Mit großer Anstrengung riss Daniel sich zusammen und versuchte, die Zärtlichkeit und Nähe ihrer Begegnung in