Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075831040
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geregelter Lebensweise hatte er einen Abscheu, wie wenn sie geheimen Verbrechern ergeben seien. Immer ging er gesenkten Hauptes einher, murmelte Unverständliches vor seine Füße, blieb oft stehen und begann unter leidenschaftlichen Armbewegungen mit einem Unsichtbaren Streit, den er mit reuevollen Schlägen vor die Brust beendete, wie der Christ seine stille Andacht schließt.

      Er hatte die halb erloschenen Augen eines angeschossenen Wildes, und sein Gesicht erschütterte trotz der Verwahrlosung, denn es war ganz mager geworden, erdfarben und tief gefurcht wie das Antlitz eines fanatischen Büßers.

      Sobald er angetrunken war, verfiel er in einen Paroxysmus der Selbstpeinigung, schlug sich mit Fäusten, raufte sich die Haare, rannte durch Dornhecken und saß dann weitab von allen Menschenwohnungen auf dem einsamen Felde, weinte, wehklagte und flehte zu Gott um Gnade mit weithin schallender, beschwörender Stimme, um dann wohl plötzlich aufzuspringen, durch die Gassen der Dörfer zu laufen und die Schar der Neugierigen um Lästerungen, Steinwürfe und Anspeien zu bitten.

      In einer bewölkten Mondnacht wollte der alte Förster Knolle gesehen haben, wie er in weitem Bogen unter näselndem Selbstgespräch um das Höfchen des Lahmen geschlichen sei.

      Alle hielten ihn für verrückt, und einige meinten, die andauernde, außergewöhnliche Hitze sei viel schuld an dieser plötzlichen Verwirrung seiner Seele.

      Denn Tag um Tag schwammen die Waldberge der Grafschaft in zitternder Glut. Sie sahen aus wie Riesenlasttiere, die, halb von grauem Sand verschüttet, fern durch eine endlose Wüste schreiten; immer in Bewegung, immer an einen Platz gebannt; kein Lufthauch der Kühle; der Himmel aschfarben, von vertrocknetem Blau. Die Sonne sah wie durch eine abgestorbene, zerstörte Unendlichkeit auf die Erde. Nur hin und wieder hob dorrender Ost seine Schwingen und flog durch die Windungen des Warthapasses mit einem feinen Sausen herein, das klang wie das Pfeifen schneidender Sensen, dann sank das wenige Gewölk wie gemäht dahin und zerfloß am Himmel zu einer kochenden Glut.

      Von den Obstbäumen fielen die unreifen Früchte welk und gelb in das ausgebrannte Gras.

      Der Wald heulte im Nachtwind auf wie ein verschmachtender Löwe.

      In den kleinen Rinnsalen lag Staub, die reichsten Quellen gaben das Wasser in Tropfen.

      Die Hitze ging knisternd durch das notreife Getreide. Die Türme läuteten um Regen. In den Kirchen knieten zu allen Stunden Menschenhaufen und riefen in furchtsamem Glauben endlose Litaneien. Die Bildstöcke und Kapellen der Felder und Kreuzwege waren mit Kränzen behängen, Weiber kauerten auf Steinen davor und hoben die Hände empor, die Männer gingen vorüber und bekreuzigten sich. Der Geistliche trug das Allerheiligste in den Fluren umher, sprengte das geweihte Wasser aus und sprach in das Rauschen der bunten Kirchenfahnen den uralten Wettersegen: es war alles umsonst.

      Die Erde klaffte in breiten Rissen, als schreie sie zum Himmel um Hilfe; die dürren Blätter fielen dichter, der Wald lag grau auf den Höhen und stöhnte von Zeit zu Zeit, als liege er in den letzten Zügen; die körnerlosen Schwingel des Hafers flatterten wie winzige Bettlersbeutel; den Vögeln war das Lied in der Kehle vertrocknet; die Hoffnungslosigkeit saß an den Wegen; in den Häusern webte die Verzweiflung, und scheu begab man sich an die Ernte, als gälte es nicht Segen, sondern Fluch einzuheimsen und auf den Böden aufzuschichten, damit er des Lebens Speise werde.

      –

      In diese schwere Zeit fiel der Beginn des Prozesses, den der Freirichter gegen den Lahmen angestrengt hatte, weil sein Brief ohne Antwort geblieben war.

      Exner lachte über die ersten gerichtlichen Zustellungen unbändig und quittierte dem Postboten den Empfang, als sei es eine wichtigtuerische Kinderei. Das sah dem »Nagelschmiede« ähnlich. Mit solchen Papierfetzen wollte er ihm bange machen, ihm, dessen Arme im Walde das schwerste Klotz ins Rollen brachten!

      Guten Mutes trabte er zum ersten Termin und dachte unterwegs an seinen kurzen, siegreichen Kampf mit dem Grauen. Das steigerte noch seine Zuversicht. Wie zu einem fröhlichen Faustkampf, dessen glatter Ausgang nicht zweifelhaft sein konnte, stieg er die breiten Stufen zum Amtsgerichte empor.

      Aber nach einer halben Stunde war in der kahlen Gerichtsstube sein strotzendes, heißes Recht arg mitgenommen. Die Feder des Schreibers durchstach es, von endlosen Reden ward es dünn gewalzt, von hinterhältigen Finten beschmutzt. Es nutzte nicht viel, daß er es immer wieder trotzig aufstellte. Der Richter verwies ihm endlich sein ungebührliches Betragen und drohte mit Einsperrung, wenn er weiter durch beleidigende Ausfälle die Würde der Verhandlung verletze. Dann nahm das verwirrende Fragen und Reden seinen Fortgang. Am Ende war sein Recht ein Schemen geworden, und nur die Schlauheit des Rechtsanwaltes hatte ihn vor einer vollständigen Niederlage errettet.

      Zum erstenmal in seinem Leben griff eine fremde Hand rücksichtslos in die Zirkel seiner Begierde. Er mußte sich dem Spruche Dritter fügen, die sich um ihn soviel wie um jeden anderen kümmerten. Und als er auf dem Heimwege sich die Einzelheiten der Verhandlung ins Gedächtnis zurückrief, fand er, daß alles von Willkürlichkeiten und Verdrehungen nur so strotzte. Da kam er in einen wahren Rausch des Zornes und der Rache, der erst nach Tagen in eine Schwüle überging, die sich über sein ganzes Fühlen und Denken breitete und jener dumpfen Hitze sehr ähnlich war, welche seit Wochen die ganze Erde ausdorrte. Es war ein verborgenes Fieber, eine geheime Krankheit seines gewalttätigen Geistes. Er schritt in Haus und Feld umher mit Augen, die von beständigem Lauern glommen, mit einer Stirn, die wegen wilder Gedankenarbeit ihre Wulsten nie verlor. Die schmalen Lippen des unschönen Mundes bebten beständig von verhaltenen Schimpfwörtern, die Haare wirr, die ganze Haltung zerknüllt in Verdrossenheit: so wurde er von der eingedämmten Wut ruhelos auf seiner Scholle umgetrieben.

      Seine Sucht nach Rache vermengte sich mit der Hoffnung auf Regen, und es hatte sich in ihm der Glaube herangebildet, daß sein äußeres und inneres Mißgeschick unauflöslich verkettet seien.

      »Wenn's och regnete«, sagte er oft zu sich, wenn er um Fenster lehnte und nach dem Himmel um Gewölk ausschaute. Aber die Entladung seiner Seele kam unvermutet.

      An einem Abend stand der Lahme in der Mitte des Zimmers und hörte aufmerksam auf den Ton des Windes. Es war ein tiefes, ruhiges Rauschen, in dem sich die erschlafften Zweige der Bäume schaukelten, als hörten sie tröstenden Zuspruch. Manchmal trieb der Wind gegen die Scheiben, daß es prickelte, als regne es.

      Marie saß an dem Tisch vor einer kleinen, offenen Petroleumlampe über eine Näharbeit gebeugt.

      »War's nich, als ob's regnete?« fragte Exner dumpf.

      Das junge Weib hob den Kopf und lauschte:

      »Nee, es treibt Sand gegen die Scheiben«, antwortete sie und fuhr fort, emsig zu nähen.

      »Da sitzste und stichelst in den Fetzen rum!« sagte er vorwurfsvoll.

      Dann herrschte eine entseelte Stimmung in dem Raume. Auf der Ofenbank kauerte die Katze, und ihre grün schillernden Augen stierten regungslos auf den kleinen Lichtkreis, die Uhr pendelte in zähen, ruckweisen Schlägen.

      »Ein glücklich Jahr, das muß man sagen, ich kann zufrieden sein. Meenste nie?« fragte der Lahme in Bedürfnis nach Zank.

      Marie war ihrem Manne gegenüber zu der unveränderlichen, herben Geduld gekommen, mit der starke Naturen ein unverschuldetes Geschick auf sich nehmen. Sie schwieg eine Weile, als sinne sie nach, und antwortete dann mit der ruhigen Gegenfrage:

      »Kocht's über unserm Felde alleene?«

      »Als wenn ma mehr hätt', wenn andre au nischt han!«

      Der Lahme lachte gereizt.

      »Red' nich aso, daß uns Gott nich noch schlimmer heemsucht. Denk lieber, was sollen die Armen machen!«

      »De Armen! Die! Wer nischt hat, kann nischt verliern. Du bist mir ein sauber Weibla!«

      »Tu ich etwa noch zu wen'g? Da sieh meine Hände!«

      Das junge Weib hielt ihm ihre Handflächen hin, die rauh und rissig wie Baumrinde waren.

      Der Klumpen lachte roh auf, drehte sich um und verschwand unter Verwünschungen in der Schlafkammer.

      In