Die stärkste Liga der Welt. Bernd Schwickerath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Schwickerath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783730704271
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den vorläufigen Tiefpunkt im Verhältnis zwischen ihm und dem Rest der Liga sorgte er kurz vor der Saison 1915/16. Livingstone besaß bereits die Toronto Shamrocks, als er auch den Lokalrivalen Blueshirts kaufte. Das sorgte schnell für Kritik: Eine Person solle nicht über zwei Teams in derselben Liga bestimmen können, hieß es. Und es dauerte nicht lange, da zeigte sich, warum: Im Westen hatten die Patrick-Brüder gerade ein neues Team in Seattle gegründet, um den US-Markt zu erobern. Dafür warben sie zahlreiche Spieler der Blueshirts ab, was Livingstone aber nicht störte.

      Er transferierte einfach sämtliche Spieler von den Shamrocks zu den Blueshirts. Irgendwann standen die Shamrocks fast ohne Spieler da, und Livingstone machte keine Anstalten, das noch zu ändern. Stattdessen versuchte er nun, das Team zu verkaufen. Was so kurz vor der Saison und ohne Spieler aber natürlich nicht klappte. So mussten die Shamrocks die Saison absagen, die NHA ging mit nur noch fünf Teams an den Start. Folglich musste an jedem Spieltag eine andere Mannschaft aussetzen und konnte kein Geld verdienen. Die anderen Besitzer schäumten vor Wut, doch Livingstone war sich keiner Schuld bewusst und profitierte nebenbei: Statt wie in der Vorsaison einen lokalen Konkurrenten zu haben, konzentrierte sich die komplette Aufmerksamkeit Torontos nun auf ein Team. Sein Team.

      Vor der nächsten Saison kam die Diskussion aber erneut ins Rollen. Ein sechstes Team sollte her. Und es kam eins: Im Sommer kaufte niemand geringeres als die kanadische Armee die Rechte der pausierenden Shamrocks und gründete ihr eigenes Team. Das Militär hatte mittlerweile so viele Eishockey-Spieler in seinen Reihen, dass es in diversen Amateurligen eigene Teams stellte. Nun wagte es sich unter dem Namen „228. Battalion“ auch in den Profibereich. Was in der nationalistisch-aufgeheizten Kriegsatmosphäre begeistert von den Fans aufgenommen wurde. Sofort wurde das 228., das sein Zuhause ebenfalls in Toronto hatte, das beliebteste der Liga. Livingstone gefiel das natürlich weniger – und er brauchte nicht lange, um sich mit der Armee anzulegen. Der Anfang vom Ende für die NHA.

      Die Liga war seit Jahren ins Visier der Armee geraten. Wie in vielen Ländern interessierten sich auch die kanadischen Streitkräfte für die heimischen Sportler. Junge Männer mit Teamgeist und körperlich guter Verfassung standen ganz oben auf der Wunschliste. Zu Beginn des „Großen Krieges“ warben hochrangige Militärs gezielt bei den Eishockey-Klubs. „Das größte Spiel eures Lebens“ sei der Weltkrieg, lautete der Spruch. Und zahlreiche Spieler folgten dem patriotischen Ruf, weil sie davon überzeugt waren, nach wenigen Monaten wieder zurück zu sein. Selbst der damals erst 14-jährige „Howie“ Morenz meldete sich freiwillig, allerdings fiel auf, dass er bei seinem Alter gelogen hatte, und er wurde heimgeschickt. Andere wie Conn Smythe, damaliger Topspieler und später Manager der Maple Leafs, lernten die Schrecken des Krieges hautnah kennen. Die Schlacht im fernen Europa wurde ein grausames Gemetzel mit Millionen Toten und einem in Teilen zerstörten Kontinent. Smythe selbst wurde in seinem Flugzeug abgeschossen und blieb 14 Monate in Kriegsgefangenschaft. Niemand rechnete damit, dass er dort lebend rauskommt, aber er hatte im Gegensatz zu vielen anderen Glück.

      Daheim in Kanada wurde derweil weiter Eishockey gespielt. Und es standen mal wieder große Veränderungen an. Dass die Saison 1916/17 die letzte der NHA sein würde, konnte zu Beginn der Spielzeit jedoch niemand ahnen. Zu gefestigt wirkte die Liga, der selbst die aggressive Transferpolitik der PCHL im Westen sowie der seit zwei Jahren tobende Weltkrieg nichts anhaben konnten. Trotz der fehlenden Spieler schafften es die NHA-Teambesitzer jedes Jahr, konkurrenzfähige Mannschaften aufs Eis zu stellen und einen spannenden Wettbewerb zu garantieren. Und mehr noch: Wenn nun selbst die Armee mit einem eigenen Team dabei ist, dann handelt es sich wahrlich um ein seriöses Business, hieß es allerorten.

      Endlich schien die Zeit der ständig wechselnden Ligen vorbei zu sein, endlich kam so etwas wie Konstanz in den professionellen Eishockey-Betrieb. Da störte es auch nicht, dass die Blueshirts gleich am ersten Spieltag in Montreal ohne ihren Stammtorhüter Claude Wilson auskommen mussten, weil der den Zug verpasst hatte. Insgesamt war die NHA gesund, der Sport hatte ein gutes Niveau, die Fans kamen, das Geld floss.

       Der Streit mit dem Militär eskaliert

      Doch es gab ja immer noch Eddie Livingstone, der bereits während der Saisonvorbereitung Streit mit dem neuen Lokalrivalen suchte. Der Besitzer der Blueshirts hatte dem 228. Battalion seinen Goalie Percy LeSueur im Tausch für Topstürmer Gordon Keats gegeben. Nur weigerte sich LeSueur, für das Armeeteam zu spielen, weil er dann parallel auch seinen Militärdienst hätte antreten müssen. Also verlangte das 228. Battalion, dass der Wechsel rückgängig gemacht wird. Doch Livingstone dachte gar nicht daran. Es sei nicht sein Problem, ließ er verlauten. Prompt drohte die Armee, die Liga gleich wieder zu verlassen. Erst nachdem die Liga-Verantwortlichen zwischen den beiden Parteien vermittelten, beruhigten sie sich.

      Es dauerte nicht lange, da gerieten die Teams allerdings erneut aneinander. Zunächst nach einem Derby im Januar, in dem beide Seiten überhart zu Werke gingen. Zweieinhalb Wochen später, kurz vor dem nächsten direkten Duell der Teams aus Toronto, forderte das Armeeteam, Livingstone müsse Keats zumindest für dieses Spiel draußen lassen. Wenig überraschend kümmerte das den streitbaren Besitzer nicht. Er lasse gar keinen Spieler draußen, tönte er, eher lasse er das ganze Spiel ausfallen. Tagelang war das Theater Gesprächsthema in Toronto. Beide Seiten befeuerten den Streit immer weiter mit neuen Vorwürfen und Drohungen. Die Zeitungen berichteten aufgeregt, was die NHA-Bosse erneut veranlasste, zur Mäßigung aufrufen. Man schade doch nur dem Ansehen der Liga und damit dem Profit.

      Den Bossen der Armee reichte es nun endgültig. Die Idee hinter dem Engagement im ProfiEishockey war es, die Truppe in Zeiten des Weltkriegs bei Laune zu halten und das Ansehen des Militärs in der Bevölkerung weiter zu steigern. Stattdessen verstrickte es sich nun in öffentliche Schlammschlachten mit einem selbstsüchtigen Teambesitzer. Das sei der Armee nicht würdig, sagte ein hoher Offizier in einem Zeitungsinterview: „Wir sind gründlich angewidert von dem schlechten Ruf, den uns die Verbindung mit dem Eishockey eingebracht hat. Ich bin der Meinung, dass es für jeden im 228. besser gewesen wäre, wenn wir uns überhaupt nicht mit Profisport beschäftigt hätten“, sagte er den „Daily News“. Nur einen Tag später wurde das 228. Battalion aus der Liga genommen, nach Halifax gebracht und auf seinen Einsatz an der Front in Europa vorbereitet.

      Die Nachricht verbreitete sich wie eine Schockwelle durch die Eishockey-Welt. Statt langfristig von der Zusammenarbeit mit der Armee zu profitieren, war daraus binnen weniger Monate ein PR-Desaster geworden. „Der Zustand der National Hockey Association lässt sich als chaotisch beschreiben“, kommentierte der „Ottawa Citizen“.

      Zudem stand die NHA erneut nur mit fünf Teams da. Und wieder war es Eddie Livingstone, der mit seinen Spielchen und Machtkämpfen dafür gesorgt hatte. Diesmal war es aber noch schlimmer als in der Vorsaison, nun zog sich ein Team während der Saison zurück. Wie sollte es also weitergehen? Was passiert mit den 13 bereits absolvierten Partien? Spätestens jetzt waren die Besitzer der übrigen Teams mit ihrer Geduld am Ende. Ständig aussetzen zu müssen, koste zu viel Geld. Außerdem lohne sich die weite Reise nach Toronto nicht, wenn ihre Klubs dort nur ein Spiel machen könnten, schreibt Andrew Ross in „Joining the Clubs“.

       Komplott gegen Livingstone

      Die Zukunft sollte in einem eilig einberufenen Not-Meeting besprochen werden. Und das wurde sie auch – ohne Livingstone, der nicht erschienen war. Ergebnis der Zusammenkunft: Für eine passende Anzahl an Mannschaften mussten nun auch die Toronto Blueshirts die Liga verlassen. Der andere Grund für den Ausschluss: So konnte man auch endlich den ungeliebten Livingstone loswerden. Das Problem war allerdings, dass die Liga langfristig ein Team aus Toronto brauchte. Nur wie sollte man das hinbekommen, ohne bald wieder mit dem Querulanten zusammenarbeiten zu müssen?

      Für den Rest der Saison sollte es erst mal ohne ihn gehen, hatten die Blueshirts doch ohnehin keine Chance mehr, das Finale zu erreichen. Also teilten sie die Spieler unter den anderen Teams auf. Livingstone protestierte zunächst nicht mal. Man munkelte, dass es ihm so spät in der Saison egal gewesen sei, da sein Team ohnehin nur noch zwei Heim- und fünf Auswärtsspiele hatte. So konnte er die Gehälter sowie die Reisekosten für die letzten Wochen der Saison sparen. Er ging ja davon aus, zur neuen Saison wieder dabei zu sein.

      Doch das wollten die anderen Teambesitzer verhindern