Die stärkste Liga der Welt. Bernd Schwickerath. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Schwickerath
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783730704271
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Tag auf dem Weg dorthin kam im Winter 1856: Britische Soldaten, die zuvor im Krim-Krieg in Russland gekämpft hatten, waren nach Kanada geschickt worden und hatten der Legende nach Langeweile. Also lernten sie in den zugefrorenen Hafenbecken von Kingston und Halifax das Schlittschuhlaufen. Aber auch das soll sie nach einigen Wochen nicht mehr ausgefüllt haben. Bis sie sich ihre Shinney-Schläger und -Bälle schnappten und das ihnen bekannte Spiel aufs Eis übertrugen.

       Eishallen tragen das neue Spiel in die Großstädte

      Der Anfang einer neuen Sportart war gemacht. Allerdings der einer zunächst regional und temporär begrenzten. Denn für Eishockey braucht es nun mal Eis. Das war im Winter kein Problem, gerade in ländlichen Gebieten oder weiter im Norden, wo Seen und Flüsse regelmäßig zufroren. Im restlichen Land wurde das neue Spiel erst populär, als es ab etwa 1865 die ersten Eishallen gab. Die machten den Sport nicht nur unabhängig von Wetter und Jahreszeit, sie trugen ihn auch in die großen Städte und sorgten für eine Vereinheitlichung der Regeln.

      Zuvor spielten manche Teams mit Torhüter, manche ohne, es gab weder klare Größen der Tore noch einheitliche Zeitabschnitte oder eine feste Anzahl an Spielern. Meist konnte mitspielen, wer noch irgendwie auf den See passte. An den ersten Spielen in den 1850er Jahren sollen bis zu 200 Spieler beteiligt gewesen sein. 25 Jahre später, mit einer mehr oder weniger einheitlichen Eisgröße in den Hallen und klaren Eiszeiten, war das erstmals anders.

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      Vorreiter des neuen Sports: Die Studenten der McGill-Universität in Montréal im Jahr 1901. (Foto: William Notman & Son)

      Beim berühmten Premierenspiel im März 1875 in Montreal standen nur noch acht Spieler pro Team auf dem Eis, die Zeit wurde auf 60 Minuten begrenzt, und damit der (Holz-)Ball nicht mehr springt und ständig ins Publikum fliegt, wurde er an den Seiten abgeschnitten. Der Puck, wie wir ihn heute kennen, war geboren. Ebenso ein ganzer Sport, der nicht nur Aktive, sondern vor allem in den rasant wachsenden Großstädten auch Zuschauer und damit Sponsoren anlockte. Um die 500 Besucher sollen das erste Spiel, das sogar in der Zeitung angekündigt und hinterher besprochen wurde, gesehen haben. Noch im selben Jahr gründeten sich allein in Montreal fünf Eishockey-Vereine, die regelmäßig in vollen Hallen spielten.

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      Der ursprüngliche Stanley Cup – noch ohne seinen berühmten Sockel.

      Das neue Spiel erregte gar so viel Aufsehen, dass es sich binnen weniger Jahre zu einem Massenphänomen in ganz Kanada und im Norden der USA entwickelte. War es vorher meist ein lockerer Zeitvertreib ohne feste Strukturen, gründeten sich nun Hunderte Mannschaften und Vereine. Zunächst an Schulen, Universitäten und in teureren Wohngegenden, in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts auch innerhalb der neuen städtischen Gesellschaft sschichten der Angestellten und der Arbeiter, die durch Gesetzesänderungen und Arbeitszeitverkürzungen ein modernes Freizeitbewusstsein entwickelten. Und die davon profitierten, dass vor allem in den Metropolen immer mehr Eishallen gebaut wurden und erste Firmen Schlittschuhe, Schläger oder Schutzkleidung in Massenproduktion herstellten und entsprechend günstiger anbieten konnten. Bis dahin war Eishockey ein reiner Zeitvertreib für die Mittel- bis Oberschicht, die sich die Ausrüstung leisten konnte und auch entsprechend viel Freizeit für derlei Hobbys hatte, schreibt der Autor Daniel Mason.

      Trotzdem gab es bereits in den 1870er Jahren genügend Mannschaften, um erste Verbände und Ligen zu gründen. In Québec City, Kingston, Halifax und natürlich Montreal sind erste Amateurligen nachweisbar. Auch die vorerst berühmteste Liga entstand 1886 in Montreal, die Amateur Hockey Association of Canada (AHAC). Bereits ab 1893, fast 25 Jahre vor der Gründung der NHL, stritten sich die Teams der AHAC sowie die Mannschaften der Nachfolgeligen um die bis heute und wohl bis in alle Tage berühmteste Trophäe des Eishockeys: den Stanley Cup.

      Den hatte Frederick Arthur Stanley (zwischen 1886 und 1893 als Lord Stanley of Preston bekannt), der britische Generalgouverneur von Kanada (1888 bis 1893), den Sportlern geschenkt. Lord Stanley hatte mit Eishockey zwar nichts am Hut, dafür seine Kinder umso mehr. Seine Tochter spielte selbst, seine Söhne waren mit dem ebenfalls aus England stammenden Lord Kilcoursie befreundet, der ein begeisterter Eishockey-Spieler war und sich regelmäßig ärgerte, dass sein liebstes Hobby immer noch nicht mehr war. Im Gegensatz zu Fußball und Rugby, die in seiner englischen Heimat bereits in Profiligen organisiert waren. Und erst recht im Vergleich zum Baseball, der in den USA schon seit 1869 professionell betrieben wurde, Hunderte Spieler und Funktionäre ernährte und Millionen Fans begeisterte.

      Also überredete er Lord Stanley, einen Pokal zu stiften, der unter den Siegern der Regionalmeisterschaften ausgespielt werden sollte. Das sollte dem Lord nicht nur Sympathien einbringen, das sollte auch die Professionalisierung und die Vermarktung des neuen Sports ankurbeln. Lord Stanley tat wie ihm geheißen, kaufte den Cup für 10 Guines (umgerechnet knapp 50 US-Dollar, was 2017 etwa 1.326 Dollar entspräche) in London und ebnete dem Eishockey damit den Weg in eine große Zukunft. Durch den offiziellen Pokal eines wichtigen Politikers wurde nicht nur der Wettbewerb aufgewertet, von nun an berichteten auch die Medien immer häufiger über den Sport. Am 22. März 1894 wurde das erste Finale um diese Trophäe ausgespielt (1893 bekam sie der Gewinner der AHAC-Liga), von da an wurde der Pokal jedes Jahr vergeben, in den ersten Jahren ausschließlich an Amateurteams.

       Die ersten Profiligen

      Das änderte sich erst nach der Jahrhundertwende, als durch Zuschauer sowie Sponsoren immer mehr Geld in den Sport kam und die ersten Aktiven und Funktionäre von ihm leben konnten. Zumindest über die Wintermonate. Zunächst galt das lediglich für die Betreiber der Eishallen und manche Spieler, die unter der Hand bezahlt wurden. 1904 änderte sich aber auch das, als die International Professional Hockey League (IPHL) an den Start ging, die erste Eishockey-Profiliga der Welt.

      Das passierte aber nicht im Epizentrum des neuen Sports in Montreal, wo nahezu alle wichtigen Fortschritte erzielt wurden, das passierte nicht mal in Kanada, sondern im US-Bundesstaat Michigan. Dorthin hatte es Jack „Doc“ Gibson verschlagen, einen kanadischen Zahnarzt, der in seiner alten Heimat Ontario ein ebenso begeisterter wie begnadeter Eishockey-Spieler war. Und der sich nichts mehr wünschte, als seinen Sport als bezahlter Profi ausüben zu können, wie er es von anderen Sportarten her kannte.

      Doch die Chance dazu gab es in Kanada nicht. Der Verband in seiner alten Heimat, die konservative Ontario Hockey Association (OHA), war strikt dagegen. Weil er sich als Teil des viktorianischen Britannien verstand und die auch in Deutschland bestens bekannten Ideale des „edlen Amateurs“ hochhielt. Und weil er sich „nach unten“ abgrenzen wollte. Nur wer sich den Sport selbst leisten könne, solle mitspielen. Wer nicht, der hat eben Pech gehabt.

      Eine „Elite, die ihren eigenen exklusiven Club betreibt“, sei die OHA gewesen, schreibt der Historiker Alan Metcalfe. Notfalls sperrte der Verband auch ganze Teams. So geschehen 1902, als die Mannschaft von „Doc“ Gibson die Regionalmeisterschaft gewann und jeder Spieler von der Stadt dafür einen Silberdollar bekam. Für den Verband war das bereits zu viel. Fortan durften Gibson und seine Mitspieler nicht mehr in Ontario Eishockey spielen. Die Professionalisierung konnte das Verbandsveto gegen Gehaltszahlungen dennoch nicht aufhalten. Denn das Geld kam nun automatisch in den neuen Sport – und es musste irgendwo hin.

       Neue Fans – neues Geld

      Das lag am neuen Publikum. Wenn auch eher selten als Aktive auf dem Eis, so strömten nach der Jahrhundertwende immer mehr Arbeiter als Zuschauer in die Hallen. Die wollten sich im Gegensatz zum Bürgertum oder den Studenten zuvor eben nicht nur die Zeit auf den Tribünen vertreiben, um persönlich Bekannten beim Spielen zuzusehen. Die Menschen aus den industrialisierten Ballungszentren und Bergbaugebieten suchten nach einem Ausgleich vom harten Berufsalltag, nach einem Ventil.

      Dazu passte die harte und emotionale Gangart beim Eishockey. Und weil ihnen die meisten Aktiven unbekannt waren, wurde das Team wichtiger als der einzelne Spieler. Folglich stieg die Identifikation mit den Mannschaften, was wiederum die Ergebnisse der Spiele wichtiger werden ließ. Man wollte die Fans ja bei Laune halten. Was