Andererseits … Nina seufzte, griff zögernd zu ihrem Handy und tippte die Nummer der Fluggesellschaft ein. Fragen kostete ja nichts.
Das Freizeichen tutete zweimal, dann meldete sich eine helle Stimme. »Eurowings, was kann ich für Sie tun?«
In der Cafeteria des Präsidiums waren die künstlichen Sonnenblumen auf den Tischen durch tönerne Halloween-Kürbisse ersetzt worden. Die einzige Beleuchtung in dem fast leeren Raum bestand aus den elektrischen Teelichtern in den Kürbissen. Dominik löffelte seine Linsensuppe und dachte an die Begegnung mit den Schoppes. Etwas ähnlich Kitschiges wie Halloween-Kürbisse käme in ihrem modernen Einfamilienhaus garantiert nicht zum Einsatz.
Die Tür klappte und er sah auf. Eine zierliche Kollegin trat ein. Auf den ersten Blick wirkte sie unscheinbar, ihr ungeschminktes Gesicht seltsam nackt und verletzlich. Lag es daran, dass Ute Vienenkötter-Lange, eine Kollegin aus dem Kommissariat für Wirtschaftsdelikte, ihre schönen Augen früher hinter einer dicken Brille versteckt hatte? Nachdem sie sich einen Kaffee geholt hatte, schaute sie sich um. Trotz der kümmerlichen Beleuchtung entdeckte sie ihn. Ein scheues Lächeln glitt über ihr Gesicht. Zögernd trat sie an seinen Tisch.
»Hallo Dominik. Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Aber nein, setz dich zu mir. Ich habe nur gerade an ein Lehrerehepaar gedacht, das ich vorhin befragt habe. Die Klassenlehrerin der getöteten Fünfzehnjährigen. Ich hatte den Eindruck, die Sache ging ihr am Allerwertesten vorbei.«
Sie nahm ihm gegenüber Platz und sah ihn fragend an.
»Zuerst dachte ich, die Frau ist wohl einfach unterkühlt. Aber als es um ihre eigene Tochter ging, wirkte sie völlig anders.«
»Sie mochte ihre Schülerin nicht?« Ute krauste die von Sommersprossen überzogene Nase und sah ihn so unglücklich an, dass er den Impuls hatte, sie zu trösten.
»Ich glaube nicht. Vielleicht geht es auch um Eifersucht – eine alternde Frau, die eifersüchtig auf den Sex-Appeal einer Fünfzehnjährigen war.«
»Ein schlimmer Fall! Ich könnte das nicht. Ich bewundere euch, wirklich! Ich bin froh, dass ich nur mit Geldwäsche befasst bin. Obwohl es zurzeit um Drogenhändler und Zuhälter geht. Aber ich beschäftige mich nur mit den Geldflüssen.«
»Aha? Erzähl mal.«
Sie nahm einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher. »Für dich sicher langweilig. Ziemlich trockene Materie.«
»Ehrlich gesagt, ich bewundere dich, dass du diesen Dingen so akribisch nachgehen kannst. Ich kriege schon Pickel, wenn ich nur an meine Steuererklärung denke. Und jetzt erzähl.«
Eine feine Röte überzog ihr Gesicht. »Wie gesagt, Geldwäsche, wobei auch Banken involviert sind, die Briefkastenfirmen Konten im Ausland zur Verfügung stellen.« Sie seufzte. »Aber wir kommen nicht so recht voran. Die Banken werden vorsichtiger. Und die Dealer und Zuhälter auch.«
»So?«
»Durch bargeldintensive Hotels kann man zum Beispiel unauffällig Geld waschen. Wir haben da momentan einen konkreten Verdachtsfall. Doch seit einem guten Jahr finden wir nichts mehr. Bei Durchsuchungen sind Unterlagen über dubiose Abrechnungen und Geschäftsbeziehungen nicht mehr auffindbar. Alles clean, dabei sind wir fast sicher, dass da Drogengeld gewaschen wird. Die sind uns immer einen Schritt voraus. Man könnte fast meinen, wir hätten einen Maulwurf.«
Dominik runzelte die Stirn. »Hast du jemanden in Verdacht?«
Sie winkte ab. »Nein, natürlich nicht. Ich habe tolle Kollegen. Vermutlich gibt es keinen Maulwurf. Wir müssen eben besser werden.«
»Ach, da fällt mir ein, dieses Buch, das du mir geliehen hast und das ich dir seit Wochen zurückgeben will …«
»Anlagetipps für über Fünfzigjährige?«
»Genau das. Ich will es immer ins Präsidium mitnehmen und vergesse es dann. Hast du heute Abend schon was vor? Ich könnte es dir vorbeibringen …«
»Ich wollte etwas für Leander und mich kochen. Ich bin also zu Hause, aber es ist nicht so dringend mit dem Buch.«
»Ich bringe es dir vorbei, dann ist das erledigt. Ich vergesse es sonst. Okay?«
»Na klar, komm vorbei. Ich muss jetzt los.« Sie stand auf.
Wenn sie lächelt, ist sie alles andere als unscheinbar, dachte Dominik. »Bis bald, Ute.« Er hob grüßend die Hand.
Als Nina auf den Parkplatz des Präsidiums fuhr, war es bereits dunkel. In dem Teil des Gebäudes, in dem die Kripo untergebracht war, schien hinter einigen Fenstern Licht. Wie sie vermutet hatte, hielt sich Bent noch in seinem Büro auf. Durch die halb geöffnete Tür konnte sie ihn an seinem Schreibtisch sitzen sehen. Als sie nach kurzem Klopfen eintrat, blickte er mit überraschtem Ausdruck auf. Roman Nolte thronte auf Bents Besucherstuhl und grinste sie herausfordernd an. Bent öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Nolte kam ihm zuvor: »Du hast Glück, Nina. Miriam ist gerade vom Besuch einer Freundin aus Minden zurückgekehrt. Wir können gleich hinfahren und sie befragen.«
Bents Mund öffnete sich noch etwas mehr.
»Es sei denn, der Chef hat was anderes mit dir vor«, fügte Nolte hinzu.
»Schön …«, begann Bent. »Also Nina … ich bin erstaunt. Bedeutet das …«
»Ich verstärke euch.«
»Ich gebe zu, das freut mich, aber …«
»Bent, der Flieger ist eh schon weg.«
Speziell ihr Bruder war nicht begeistert gewesen, dass sie nicht mitflog. Bines Mutter war zunächst aus allen Wolken gefallen, als Nina plötzlich, drei Stunden vor Abflug, bei ihr auf der Matte gestanden hatte. Man kann den Namen auf dem Ticket noch ändern, die Bearbeitungsgebühr übernehme ich natürlich. Bines Mutter begleitete die beiden nun an ihrer Stelle. Und ihrer Freundin versicherte Nina am Telefon, dass sie nachkommen würde, sobald der Fall gelöst wäre. »Bis dahin ist der Urlaub zu Ende, wetten?« Michaela schnalzte mit der Zunge. »Nina, pass bloß auf, dass du nicht eines Tages im Burn-out landest!«.
»Schön … also, wenn …«, begann Bent.
»Super, eine Frau der schnellen Entscheidungen!« Roman Nolte hob den Daumen. »Und uns fehlt der weibliche Blick.«
Weiblicher Blick? Was für ein Schmu. Leider fiel ihr keine Replik ein. »Ähm … wer war denn noch mal Miriam?«
»Die Schulfreundin des Opfers. Sie wohnt in Sieker wie Charlotte Campmann«, erklärte Bent. »Ihr könnt meinetwegen sofort fahren.«
Eine Gruppe junger Männer lungerte im Eingangsbereich des Hochhauses herum. Nina wunderte sich. Waren Pelzmützen hier groß in Mode? Während sie und Roman sich dem Haus näherten,