Kalte Liebe. Heike Rommel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heike Rommel
Издательство: Bookwire
Серия: Bielefelder KK11
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954415496
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      Und dort angekommen? Dominik und Roman sahen sich an. Der Kollege schien das Gleiche wie er zu denken.

      »Ich habe mit ihrer Klassenlehrerin telefoniert. In der Schule war sie wohl bis zum späten Vormittag, aber danach … « Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte an dem Tag Spätdienst. Es ist durchaus möglich, dass Charlotte noch mal nach der Schule nach Hause gefahren ist, aber als ich um 21 Uhr hierher kam, war sie jedenfalls nicht mehr da. «

      »Gut zu wissen. Dürfen wir uns ihr Zimmer mal anschauen?«, fragte Roman.

      »Tun Sie das. Es ist die Tür vom Flur aus gegenüber.« Sie schaute auf ihre Hände, die gefaltet in ihrem Schoß lagen.

      Roman sprang auf. Dominik zögerte. »Ich gehe schon mal vor«, sagte Roman.

      Dominik nickte und wandte sich wieder an Frau Campmann. »Sie sagten, nach den letzten Weihnachtsferien hatte Ihre Tochter keinen Kontakt mehr zu den jungen Leuten aus ihrer Klasse. Ist da nach Weihnachten irgendetwas vorgefallen?«

      »Wenn ich das bloß wüsste. Charlotte war … sie wirkte fast depressiv. So habe ich sie noch nie erlebt. Wissen Sie, früher war sie ein Schlüsselkind und übernahm nach den Hausaufgaben das, was im Haushalt liegen geblieben war. Wenn ich Spätschicht hatte, bin ich abends völlig erledigt nach Hause gekommen, aber Charlotte hat sich nie beklagt, war trotz allem immer fröhlich und außerdem gut in der Schule. Auf dem Gymnasium anfangs auch.«

      »Und später begannen die Probleme?«

      »Am Anfang bekam sie noch Geburtstagseinladungen von ihren neuen Mitschülern. Mit der Zeit ließ das nach, vermutlich, weil sie die nie erwidert hat. Sie schämte sich wohl für ihr Zuhause. In den Ferien, wenn die anderen mit ihren Eltern Urlaub machten, jobbte sie, um sich Markenklamotten und ein teures Handy leisten zu können. Doch am Ende konnte sie nicht mithalten mit den Töchtern und Söhnen von Anwälten, Ärzten und Bauunternehmern.«

      »Also … irgendwann in den Weihnachtsferien begannen Charlottes Depressionen?«

      »Nach Silvester, ja. Sie hatte Magenprobleme, vielleicht ging es ihr einfach deshalb nicht gut, jedenfalls kam sie morgens kaum noch aus dem Bett, und als die Krankschreibung endete, fing sie an, die Schule zu schwänzen, fälschte Entschuldigungen …« Frau Campmann schüttelte den Kopf. »Ich hab Charlotte nicht wiedererkannt. Ich hab versucht, mit ihr darüber zu reden, aber sie brauste schon auf, wenn ich auch nur eine einzige Frage stellte.«

      »Aber diese Miriam Breipohl hat Ihre Tochter noch getroffen?«

      »Die Freundschaft war mal viel enger. Miriam wohnt nebenan, ihre Mutter ist auch alleinerziehend. Da läuft man sich zwangsläufig auch außerhalb der Schule über den Weg, mehr war es aber wohl nicht mehr. Nach einigen Monaten ging Charlotte wieder aus, offenbar nicht mit den jungen Leuten aus ihrer Klasse, so viel habe ich noch von ihr erfahren. Aber mit wem und wohin, das wollte sie nicht sagen.«

      »Dann ging es Ihrer Tochter also wieder besser?«

      »Schwer zu sagen, sie ließ die Schule weiterhin schleifen. Aber sie hat wieder mehr Wert auf ihr Äußeres gelegt, Stunden im Bad verbracht, um sich zu schminken, obwohl sie das gar nicht nötig hatte. Schön und intelligent, ich hab immer gedacht, wem wenn nicht ihr stehen alle Türen offen …« Marianne Campmann biss sich auf die Lippen, ihre Augen wurden feucht. »Ehrlich gesagt, ich war oft erschöpft. Ich werde wohl einfach zu alt für diese Arbeit. Der Rücken, wissen Sie, typische Altenpflegerkrankheit. Ich hatte abends schlicht keine Kraft mehr zu weiteren Auseinandersetzungen mit Charlotte.« Sie wischte sich über die Augen. »Ich frage mich die ganze Zeit über, ob ich das hätte verhindern können …«

      »Sie dürfen sich nicht die Schuld geben!«, entfuhr es Dominik.

      Sie zuckte kraftlos mit den Achseln und starrte vor sich hin.

      »Frau Campmann?«

      »Wollen Sie sich noch Charlottes Zimmer ansehen?«, fragte sie leise und stemmte sich aus dem Sofa hoch.

      »Gerne.«

      Sie begleitete ihn in das Zimmer ihrer Tochter, wo Roman gerade einen Laptop in einen Karton packte. »Den müssen wir mitnehmen, Frau Campmann.«

      »Bitte.«

      Das Zimmer erinnerte Dominik an das Zimmer seiner eigenen Tochter. Auch Lissa hatte mal für The Twilight und Robert Pattison geschwärmt, aber Plüschtiere waren schon lange verschwunden. Charlotte hatte offenbar auch einen anderen Geschmack in puncto Kleidung: In einer Ecke lagen dunkelrote High Heels, und auf einem Bügel am Schrank hing ein spitzenbesetztes, rotes Minikleid.

      Dominik betrachtete ein Foto in einem Regal, das eine strahlende, braun gebrannte Charlotte mit ihrer lächelnden Mutter auf einer sonnigen Terrasse zeigte. Die beiden saßen an einem Tisch und prosteten dem Fotografen zu. Im Hintergrund schimmerte das tiefblaue Meer.

      »Das war letztes Jahr auf Kreta«, erklärte Frau Campmann mit brüchiger Stimme. »Hardy … das ist mein Freund … er hat das Bild gemacht. Wenn ich gewusst hätte, dass das unser letzter gemeinsamer Urlaub sein würde.«

      Dominik suchte nach tröstenden Worten, doch alles, was ihm einfiel, kam ihm plump und oberflächlich vor. Also nickte er nur und wandte sich an Roman. »Hast du ein Handy gefunden?«

      »Leider nicht.«

      »Ich weiß auch nicht, wo ihr Handy ist«, sagte Frau Campmann. »Das wird sie mitgenommen haben. Sie ging nie ohne Handy aus dem Haus.«

      »Tja, dann sind wir hier wohl fertig.« Roman lächelte.

      »Ja, ganz großartig, das ging ja schnell.« Frau Campmann trat auf den Flur.

      »Verständlich, dass sie sauer auf die Polizei ist«, sagte Dominik leise. »Hast du schon alles durchsucht?«

      »Alles. Leider keine Anhaltspunkte, nicht mal ein Tagebuch, nur der übliche Teenie-Kram.«

      »Tagebücher sind out, wie? Heutzutage verstecken sich die privaten Geheimnisse hinter Internet-Verläufen. Wer weiß, was wir auf ihrem Rechner entdecken.«

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      Seufzend packte Nina ihr Duschtuch wieder aus dem Koffer und versuchte dann noch einmal, ihn zu schließen. Dieses Mal klappte es. Zum Glück half Bines Mutter ihrem Bruder und Bine beim Kofferpacken und würde die beiden auch nach Paderborn zum Flughafen fahren. Und wohin jetzt mit dem Duschtuch? In dem Hotel, in dem sie wohnen würden, gab es auch ein Fitnessstudio und einen Saunabereich. Am besten also in die kleine Sporttasche, die sie als Handgepäck mitführen konnte. Während sie in verschiedenen Schränken nach der Tasche suchte, fiel ihr ein, dass sie die im Büro gelassen haben musste.

      Sie überlegte. Ihr Flieger ging erst um 21:15 Uhr. Kurz entschlossen stieg sie in ihr Auto. Die Kollegen hatten mit dem neuen Mordfall alle Hände voll zu tun, und sie würde im Präsidium wohl nur Frank antreffen, was ihr ganz recht war, denn sie hatte keine Lust auf einen längeren Plausch. Von ihrer Wohnung im Johannistal brauchte sie trotz des Samstagnachmittagsverkehrs nur fünfzehn Minuten, bis sie auf den fast leeren Parkplatz des Präsidiums einbog. Sie sprintete an einem schicken Cabrio-Oldtimer und Bents Volvo vorbei in das Hauptgebäude, wo sie auf der Treppe zwei Stufen auf einmal nahm. Niemand kam ihr entgegen. Es war ungewöhnlich still, bis sie die Glastür zu ihrem Büroflur öffnete.

      »… aus dem Obduktionsbericht. Sie hat viel Blut verloren und wäre wohl verblutet, wenn sie nicht vorher erwürgt worden wäre. Die massiven Verletzungen lassen vermuten, dass sie mit einem stumpfen Gegenstand vergewaltigt worden ist.« Nina hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, doch sie blieb wider Willen stehen. Die Tür zum Besprechungsraum stand offen und gab den Blick auf einen unglücklich dreinschauenden Bent frei. »Leider gibt es keine Spermaspuren. Dafür fanden sich Holzsplitter im verletzten Gewebe. Die Rechtsmedizinerin meint, es könnte sich um etwas wie einen Baseballschläger gehandelt haben …«

      Nina entfuhr ein Stöhnen.

      »Nina?« Oje, Bent hatte sie bemerkt. »Komm doch rein, wenn