»Also, heute gibt’s was Schlichtes, aber sehr Feines. Peter hat Schnitzel Wiener Art und Kartoffeln zubereitet, als Beilage einen Gurkensalat«, stellte Renate das Menü ihres Gatten vor und wies mit der Hand auf ihn.
Ein nachsichtiges Lächeln erhellte sein Gesicht, als würde er das Lob eines Gastes entgegennehmen.
»Wir hatten nicht so viel Zeit heute«, bemerkte Renate, ihrem Mann einen verständnisvollen Blick zuwerfend.
»Wir hätten auch an einem anderen Tag kommen können«, nahm Frank den Hinweis auf.
»Nein, alles prima. Ich hatte nur Nachtschicht und dann musste ich noch einen Tag dranhängen, weil eine Kollegin erkrankt war«, wiegelte Peter ab.
»Du kochst gerne?«, fragte Klaus, wie um eine Unterredung in Gang zu bringen.
»Ja, schon, für mich ist es wie Erholung, eine schöne Ablenkung«, antwortete Peter.
Frank nickte verblüfft und strich sich die Haare aus der Stirn. Peter Wohlfahrt saß kerzengerade auf seinem Stuhl, zwar etwas blass und mit dunklen Schatten unter den Augen, aber offensichtlich recht zufrieden. »Klaus’ und Franks Gegenwart vertreibt jeden Trübsinn«, hatte er vorher gegenüber seiner Frau bemerkt. Sie hatte mit den Achseln gezuckt, als wäre das nicht wirklich ihre Sorge. Peter griff nach der Weinflasche und hielt sie fragend in die Höhe. Renate tippte lächelnd auf ihr Glas, woraufhin er langsam einschenkte. Klaus’ und Franks Blicke folgten der wortlosen Zeremonie.
»Ein schöner Rotwein, trinkt ihr doch?«, fragte Peter, noch mit der Flasche über Renates Glas.
Die beiden nickten brav und Klaus beobachtete, wie Renate mit drei Fingern ihrer rechten Hand das Glas festhielt, während ihre linke nach wie vor auf dem schneeweißen Tischtuch ruhte, über dem ihre lackierten Fingernägel wie frische Kirschen leuchteten. Als alle Gläser gefüllt waren, sprach Renate schmunzelnd in die Runde:
»Auf unsere Gäste und unseren Spitzenkoch, Prost!«
Das Schnitzel war zart, aber nicht zu dünn, um seinen Geschmack voll zu entfalten. Den Gurkensalat hatte Peter mit Smetana verfeinert und die Kartoffeln mit Petersilie bestreut. Es war still am Tisch, man hörte nur das Klappern der Bestecke und ein sanftes Schnalzen aus zufriedenen Mündern. Peter schaute fragend in die Runde.
»Schmeckt prima«, murmelte Klaus, seine schmale Nase näherte sich genießerisch dem Tellerrand.
»Finde ich auch«, bestätigte Frank prompt.
Renate warf einen lobenden Blick auf ihren Mann.
»Das ist von der Kugel, das Beste vom Schwein«, bemerkte Peter.
»Kugel?«, fragten Klaus und Frank unisono.
»So nennt man das Schulterstück, wenn man’s als Ganzes kauft. Gibt’s nur beim Fleischer.«
»Fleischer?«, wunderte sich Klaus, der nur seine Kaufhalle kannte.
»Rose, ein Privater am Nordbahnhof«, sagte Peter kurz, für den das Thema damit erledigt war.
Klaus und Frank warfen während des Essens immer wieder einen verstohlenen Blick auf Renate, die abwechselnd beide mit einem stillen Lächeln bedachte. Frank bildete sich ein, in ihm würden Fieberwellen aufsteigen. Der letzte Bissen war kaum runtergeschluckt, da erhob sich Renate.
»Kommt, wir setzen uns auf die Couch, jetzt will ich hören, was ihr mit diesen Herzschrittmachern zu tun habt.«
Klaus hätte gern noch etwas vom Gurkensalat genommen, aber Renate war bereits unterwegs, ebenso Frank, der ihr mit glänzenden Augen folgte. Das Wohnzimmer war für einen Neubau ziemlich geräumig, zwischen Esstisch und Sofaecke blieben Klaus genug Meter, um Renate nachzuschauen, wie sie mit festen Schritten den Raum durchquerte. Irgendwie erinnerte sie ihn auf einmal an eine Dompteuse, die ein Löwenrudel in Schach hält. Er sah Peter fragend an.
»Geh nur, Klaus, ich räume dann noch auf. Macht’s euch bequem«, ermunterte ihn Peter.
»Klaus, komm zu uns. Peter ist noch in der Küche. Ihr könnt euch ja oft genug mit ihm unterhalten«, winkte sie Klaus zu sich. »Morgen habe ich Küchendienst«, bemerkte sie beiläufig.
Renates rot markierter Zeigefinger hob sich vor ihre blitzenden Mandelaugen, als würde sie zum Gehorsam ermahnen. Peter drehte den Kopf halb zurück ins Zimmer und murmelte:
»So ist es, heute bin ich dran.«
Die zwei dunkelroten Sofas standen über Eck, so dass man entweder zum Friedrichshain oder zum Esstisch sah. Frank hatte die Aussicht in die Natur gewählt, schräg gegenüber saß Renate. Mit einer lässigen Handbewegung dirigierte sie Klaus an die Seite Franks. Zwischen ihnen stand ein flacher Couchtisch, auf dem einige ältere Zeitungen, Fachzeitschriften, ein Notizblock und ein Kugelschreiber lagen. In der Ecke, eingeklemmt zwischen den Sofas, stand der Fernseher. Man konnte im Liegen fernsehen.
»So habe ich euch beide gut im Blick, wie bei einem Verhör«, spöttelte Renate, über dem Tisch aufmerksam ihre Gäste musternd.
Die jungen Männer mussten sich etwas zur Seite drehen, um ihr in die Augen zu blicken. Das erwies sich als zunehmend schwierig, denn mit der Zahl der geleerten Weingläser stieg die Versuchung, einen Blick auf ihre schönen Beine zu werfen, die wie glänzende Marmorsäulen anmuteten.
»Was macht ein Informatiker auf der Herzstation?«, begann sie mit Frank.
Er hüstelte und nestelte verlegen an seiner Armbanduhr aus Ruhla, die ihm sein Vater zum Abschluss seines Ingenieurstudiums geschenkt hatte. Wurde es brenzlig oder galt es ein Gefühl zu unterdrücken, tastete er nach dem kleinen geriffelten Aufziehrädchen.
»Ich programmiere Anweisungen für den Rechner. Dazu gehört die Auswertung medizinischer Daten.«
Frank stockte und sah zweifelnd zu Renate hinüber, bemüht, ihr in die Augen zu sehen. Sie rutschte etwas nach vorn, als wollte sie ihn besser verstehen. Frank blinzelte wie geblendet und drehte sich zu Klaus.
»Sag du was zu dem Projekt«, bat er.
»Moment noch, Frank«, hakte sie nach. »Ich war ja noch nie in einem Rechenzentrum, wie muss ich mir das vorstellen, wenn du so ein Programm in den Rechner schickst? Sind das Zahlenreihen, die du abtippen musst?«
Frank griente und schüttelte nachsichtig den Kopf.
»Nee, Zahlen, das war ganz am Anfang. Jetzt benutzt man maschinenlesbare Programmiersprachen, die aus Befehlen bestehen. Wir setzen FORTRAN-77 ein«, referierte er.
»Oh«, entfuhr es Renate bewundernd.
Sie lehnte sich zurück und sah ihm forschend in die Augen, als würde sie ihn sich bei der Arbeit vorstellen.
»Nichts Besonderes, kann jeder erlernen«, meinte Frank, der sich nicht sicher war, ob sie ihn ein wenig auf den Arm nahm.
»Beschreibe Renate mal an einem Beispiel, was ein Programm alles kann«, sprang ihm Klaus zur Seite, dem ihre Übungen zur Programmierung der perfekten Frau eigefallen waren.
Frank kräuselte die Stirn. Irritiert bemerkte er ihre ausgebreiteten Arme, die auf der Rückenlehne ruhten, wodurch sich die knappe Bluse gefährlich spannte. Renate sah ihn interessiert an. Er räusperte sich und senkte die Augen.
»Darf ich?«, fragte er und zeigte auf den Kugelschreiber.
»Nur zu, willst du mir eine Rechenaufgabe stellen?«
»Keine Sorge. Kann ich den Block haben?«
»Ja. Da steht nichts Besonderes drin. Peter schreibt sich irgendwelche Erledigungen auf, die ihm abends beim Fernsehen einfallen«, sagte sie.
Sie zog ihre Arme vom Sofa und rutschte nach vorn, dabei beide Hände auf ihre Oberschenkel pressend, um den Rocksaum festzuhalten.