Schrittfehler. Richard Grosse. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Richard Grosse
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959588034
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rüber als Frank. Und eine gewisse Melancholie ging von ihm aus, eine Stimmungslage, die Frank fremd war. Der Doktor erweckte mitunter den Eindruck, als würde er irgendwelchen verlorenen Zeiten nachtrauern. Wohlfahrt war spindeldürr und etwa so groß wie Frank, der aber neben ihm wie ein Schwergewicht aussah. Als die beiden ihren Kollegen das erste Mal sahen, dachte Klaus, er wäre gerade von einer längeren Krankheit genesen. Dabei war er gesund und ausdauernd wie ein Marathonläufer.

      »Validierung biochemischer Parameter während des Einsatzes des Herzschrittmachers TuR LCP 202-VVI bei Hochrisikopatienten« – dieses Thema hatten Klaus Behrens und Peter Wohlfahrt ihren Chefs als Titel ihres Projekts vorgeschlagen. Einige Wochen später, die Studie war durch die Leitungsgremien abgesegnet worden, lud Peter zu diesem Anlass seine beiden Kollegen zu sich nach Hause ein.

      »Meine Frau würde sich freuen, euch kennenzulernen«, kündigte er an.

      So fing alles an, an einem heißen Sommerabend im Juli 1980, als Frank und Klaus die Hand von Peters Frau schüttelten und sich ihre Herzschläge fast gleichzeitig beschleunigten, als hätte sie Renate Wohlfahrt synchronisiert.

      Die Wohlfahrts bewohnten eine Dreizimmerwohnung in einem hübschen Neubau mit freiem Blick über den Volkspark Friedrichshain. Bis zum Alexanderplatz waren es keine zehn Minuten zu Fuß, und überquerte man die Straße vor ihrem Haus, stand man nach wenigen Schritten vor dem Märchenbrunnen, hinter dem verschlungene Wege durch den Park führten, unterbrochen durch Kinderspielplätze, vorbei an einem Café am künstlich angelegten Teich mit gemächlich treibenden Enten und den Gebäuden des Krankenhauses »Friedrichshain«, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft befand. Im Sommer schlurften einige Patienten in Bademänteln über die Kieswege zum Bierkiosk.

      Frau Wohlfahrt öffnete ihnen und im ersten Augenblick glaubten Frank und Klaus, sich in der Adresse geirrt zu haben. Diese Frau konnte unmöglich zu Herrn Dr. Peter Wohlfahrt gehören, dem unscheinbaren Mann, den nur der Kittel von seinen Patienten unterschied. Aber es war ihr Kollege Peter, der mit leicht hochgezogenen Schultern still hinter dieser umwerfend schönen Frau stand, als würde er darauf warten, vorgelassen zu werden. Neugierig musterte sie erst Klaus und anschließend Frank, als vergliche sie die beiden mit ihren Erwartungen.

      »Das ist Renate, meine Frau«, sagte Peter leise über ihre Schulter, als müsste er alle Zweifel ausräumen. Seine Stimme klang, als wollte er niemand erschrecken.

      »Und ich bin der Klaus, und das ist Frank«, erwiderte Klaus und streckte seinen Arm aus.

      Er drückte ihre schmale kühle Hand und sie schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln. Dann wandte sie sich Frank zu.

      »Dann sind Sie es, der meinem Mann verrät, wem er das Herz instand zu setzen hat«, sagte sie, während ihre Augen über ihn glitten.

      Frank stand wie ein Zinnsoldat neben Klaus, sein Lächeln wirkte etwas gequält und eine leichte Röte überzog sein Gesicht. Er hob die Schultern und winkelte den Arm an. Sie ergriff seine Hand, und als ihre zarten Finger wie zufällig seinen Handballen streiften, glaubte er einen kleinen Stromstoß zu spüren. Ihre Hände lösten sich und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück in den Treppenflur. Er konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Sie war einen Kopf kleiner als Peter, schlank, von mädchenhafter Statur, ein Minirock gab den Blick auf makellose Beine frei. Die oberen Knöpfe ihrer blauen Bluse waren lässig geöffnet und Frank ahnte, dass es bei dieser Frau an nichts fehlte. Aus ihren dunklen mandelförmigen Augen blitzten Neugierde und Mut. Ihr schmales Gesicht zierte ein kleiner Mund, wie ein neugieriges Mädchen, das gespannt einen Besuch erwartete, schob sie ihre sanften Lippen nach vorn, als sie die Jungen aus den Augenwinkeln musterte. Klaus und Frank spürten, dass sie ihren Willen durchzusetzen wusste. Die dunklen Haare waren kurz geschnitten, sie bedeckten kaum die Ohren und ließen ihre Stirn frei, die wie feines Porzellan glänzte. In ihren Zügen versteckte sich ein Hauch von Sinnlichkeit, als wäre sie gerade aus einem schönen Traum erwacht. Wie ist Peter zu dieser Braut gekommen, war Franks erster klarer Gedanke. Er schielte zu Klaus hinüber, der mit halboffenem Mund neben ihm stand und offensichtlich demselben Rätsel nachspürte.

      »Na ja, wir arbeiten zusammen, ich bin Informatiker und werte Patientenakten aus«, besann sich Frank auf eine Antwort, bemüht, ihrem forschenden Blick standzuhalten.

      Sie nickte verständnisvoll und drehte ihren Kopf zu Klaus.

      »Dann sind Sie also mit dem wissenschaftlichen Teil dieser Herzstudie befasst«, fuhr sie wie eine Versammlungsleiterin fort, die den nächsten Redner ankündigt.

      Klaus nickte verlegen, als hätte man ihn bei einem falschen Gedankengang ertappt.

      »Ich bin Biologe und arbeite die Blutproben von den Patienten auf, die Peter operiert«, umschrieb er leise seine Rolle und legte einen Finger auf seine Kinnkerbe.

      »Oh. Davon müssen Sie mir später mehr erzählen. Peter spricht nicht viel über seine Arbeit, aber los, nun gehen wir mal endlich rein«, sagte sie und hakte sich schelmisch lächelnd bei ihrem Mann ein, der nachsichtig die Augenbrauen hob.

      »Folgen Sie mir bitte, Frank und Klaus«, rief sie vergnügt über die Schulter.

      Mit erstaunlich weiten Schritten marschierte sie mit Peter an der Seite durch den Korridor zum Wohnzimmer, dessen Tür weit offen stand. Klaus folgte ihnen mit gesenktem Kopf, seine Augen hafteten auf den hellen Kniekehlen der Gastgeberin, bis sie sich vor dem Esstisch postierte. Frank machte zwei Schritte, drehte sich dann um und schloss die Haustür.

      Frau Wohlfahrt stand neben ihrem Gatten und strahlte den Besuch an, eine Hand ruhte auf ihrer Hüfte, ein Bein hatte sie leicht nach vorn geschoben, die Fußsohle war nach außen gerichtet wie bei einer Balletttänzerin, die sich zu einer Pirouette anschickt. Klaus und Frank warfen fast gleichzeitig einen verstohlenen Blick auf die Gastgeberin. Peter schielte einmal kurz zur Küche und wandte sich dann mit etwas leiernder Stimme an seine Gäste.

      »Schön, dass ihr hier seid. Nun gehen wir erstmal zum Du über. Renate, das sind Frank und Klaus, wie du bereits weißt. Renate ist nicht vom Fach, stellt euch also darauf ein, ausgefragt zu werden. Und jetzt hole ich das Essen«, bemerkte er wie selbstverständlich und setzte sich in Bewegung, die verdutzten Blicke seiner Besucher im Rücken.

      »Was machst du beruflich, Renate?«, platzte Klaus heraus.

      »Ich bin gelernte Kosmetikerin, arbeite jetzt im Kosmetik-Kombinat Berlin. Leite dort eine Abteilung«, fügte sie hinzu.

      »Oh, sehr interessant. Wo ist das?«, fragte Klaus, in Gedanken immer noch dem Rätsel nachgehend, wie Peter zu dieser Perle gekommen war.

      »Mein Betrieb befindet sich in der Chausseestraße.« Sie sagte das wie nebenbei und in einem Ton, der wenig Interesse an der Vertiefung dieses Themas verriet.

      Peter hatte einige Schüsseln und zwei Flaschen Rotwein in die Durchreiche gestellt, wobei er wie ein besorgter Koch einen letzten Blick auf seine Gäste warf, bevor er die Küche verließ und sich zu ihnen gesellte. Er stellte das Essen vorsichtig auf die schneeweiße Tischdecke, rückte noch einige Teller zurecht, richtete sich aufatmend auf und postierte sich wie ein Kellner neben seinem Stuhl. Renate stand mit gefalteten Händen am Tisch und erinnerte Klaus an ein Mädchen, das auf eine Einladung zum Tanz wartet. Frank stand am Fenster und war noch mit dem Ausblick auf den Friedrichshain beschäftigt. Renate setzte ein strahlendes Lächeln auf und bat mit einer eleganten Armbewegung zu Tisch, wobei sich ihre eng geschnittene Bluse verschob. Sie setzte sich als erste und legte ihre zarten Hände neben das Besteck. Klaus folgte wie hypnotisiert ihren Bewegungen und dem Sitz der Bluse. Er biss sich auf die Lippen und wandte den Kopf ab, kam aber nicht umhin, sie weiter aus den Augenwinkeln zu betrachten. Eine gewisse laszive Lässigkeit ging von ihr aus, wie sie mit halboffenem Mund vor den dampfenden Schüsseln saß. Klaus stockte der Atem.

      »Wo soll ich sitzen, Renate?«, fragte Klaus und lauschte seiner Stimme, als fürchtete er, sie könne seine Gefühle verraten.

      Frank drehte sich vom Fenster weg und sah sich neugierig um.

      »Frank, genug geträumt, komm her zu meiner linken. Und Klaus zu meiner rechten Seite«, rief Renate in den Raum.

      Sie