Frank schluckte zweimal und krauste die Stirn. Die Frage war ihm noch gar nicht in den Sinn gekommen.
»Keine Ahnung, wir haben sie nur einmal getroffen.«
»Ihr beide? Wo? Beim Tanzen?«
»Nein, bei ihr zu Hause, wir wurden beide zum Essen eingeladen.«
Einen Moment war Schweigen am Telefon, offenbar versuchte Franks Mutter, sich einen Reim auf das Gesagte zu machen. Zwei Jungen werden von einem Mädchen nach Hause eingeladen?
»Wie bitte, dieses Mädchen lädt euch beide einfach mal so zu sich ins Wohnzimmer ein?«
Frank biss sich auf die Lippen und überlegte fieberhaft, wie er das Gespräch beenden könnte. Hätte ich doch nur nicht davon angefangen, ich Idiot. Er bedauerte seinen Anruf, aber nun ließ seine Mutter nicht mehr los, etwas Unausgesprochenes lag in seinen Worten, sie war plötzlich beunruhigt, als könnte ihm etwas zustoßen.
»Bis du noch da?«, fragte sie.
»Es ist so, dass Renate, so heißt sie, verheiratet ist und wir, also Peter, ihr Mann, und Klaus und ich zusammenarbeiten, an dem wissenschaftlichen Projekt, von dem ich dir erzählt habe.«
Er hielt den Atem an, und bevor er die letzten Worte gesprochen hatte, war ihm klar, wie die Antwort ausfallen würde.
»Frank, lass besser die Finger davon. Das bringt nur Unheil, man weiß doch, wie das endet, ein Techtelmechtel mit einer verheirateten Frau. Die entscheidet sich zum Schluss gegen dich, für ihre Familie.«
»Sie hat keine Familie.«
»Aber einen Mann, einen Doktor«, sagte sie, als wäre der Titel ebenso wichtig.
»Na und?«, murmelte Frank mürrisch.
»Sie sucht vielleicht ’ne Abwechslung, Frank, und ihr seid frei und ungebunden.«
Und seid schicke Jungen, fügte sie für sich hinzu. Frank schwieg und sah vor seinen Augen Renates Knie neben sich auf dem Sofa.
»Hörst du mir noch zu?«, fragte sie sanft.
»Ja doch, Mama.«
»Also, wenn du mich fragst, so würde ich mich von der verheirateten Frau eines Kollegen fernhalten«, entschloss sie sich zu einem letzten Kommentar.
»Ja, Mama«, stimmte er ihr halbherzig zu.
Er wollte das Telefonat schnell beenden. Ihr Rat schmerzte ihn, weil sie offensichtlich nicht verstanden hatte, dass seine Gefühle zum ersten Mal in seinem Leben Purzelbaum schlugen. Es war kein Techtelmechtel, er war verliebt in Renate, er fühlte sie wie seinen Herzschlag, aber das konnte seine Mutter nicht wissen. Er verabschiedete sich hastig unter dem Vorwand, von einem Kollegen gerufen zu werden, sie rief noch besorgt: »Pass auf dich auf!«, aber er hörte schon nicht mehr hin.
»Bis bald, Mama«, sagte er leise und drückte den Hörer in die Gabel.
Er irrte, wenn er glaubte, seine Mutter hätte ihn nicht verstanden. Seine Tonlage hatte sie aufhorchen lassen. Er hatte so geklungen, als würde er neben sich stehen, und ungewöhnlich ratlos, wie von einem Erlebnis überwältigt. Oh, dachte sie, hoffentlich geht das gut aus.
Klaus war erschrocken und begeistert, als Frank beim Abendessen von seinem Telefonat berichtete. Er konnte sich nicht entschließen, seinen eigenen Vorstoß zu erwähnen. Eine dunkle Vorahnung warnte ihn davor, sich mit Renate zu verabreden. Könnte er dann noch unbeschwert mit Peter zusammenarbeiten? Und schließlich hieß es, das Herzschrittmacherprojekt gemeinsam fortzuführen. Ohne Wohlfahrt lief da nichts, aber ihm schwante, dass von nun an Renate zwischen ihnen stand.
Am Donnerstag um siebzehn Uhr rief Frank Renate an. Er schlug den Freitag der kommenden Woche vor, den 18. Juli.
»Moment mal«, bat sie ihn.
Er lauschte in die Leitung, vernahm aber nur ein Knistern wie aus einem Kamin. Vielleicht ruft sie über eine andere Leitung Peter an, dachte er.
»Da bin ich wieder«, meldete sie sich gleich darauf aufgeräumt.
»Höre dich«, murmelte Frank wie aus einer Gefechtslage.
»Am nächsten Freitag passt es.«
Er glaubte zu hören, dass sie sich auf ihrem Stuhl bewegte. Rasch setzte er nach:
»Gut, dann halten wir doch den Achtzehnten fest.«
»Oh, dieser Freitag«, zwitscherte sie nach einer kleinen Pause, »ist ja mein Hochzeitstag.«
Nach einer erneuten Pause des Nachdenkens wiederholte sie: »Achtzehnter Juli Neunzehnhundertfünfundsiebzig.«
Bei Frank kam es so an, als hätte sie der Schreibtischkalender an den Termin erinnert. In Gedanken lief die Zahlenfolge durch seinen Kopf. Er schluckte bei dem Gedanken an ihre Hochzeit.
»Feiern wir zusammen. Welche Uhrzeit und Adresse?« Renate sprach jetzt wie eine Person, die es gewohnt ist, Anweisungen zu geben.
Frank war in Gedanken noch ganz bei ihrem Hochzeitstermin, der ihm so merkwürdig wie die Uhrzeit seiner Geburt erschien. Er besann sich und wiederholte mechanisch:
»Uhrzeit. Ist acht in Ordnung?«
»Klar.«
»Oderberger Straße vierundvierzig.«
»Am achtzehnten.«
»Sehr schön, tschüss dann.«
»Freu mich auch.«
Sie legte sofort auf, während er auf sein Telefon stierte, als hätte es ihm soeben ein großes Geheimnis anvertraut. Er griff nach seinem Kugelschreiber und notierte in seinen Schreibtischkalender: 18.7.1980. Er starrte auf die sieben Ziffern wie auf einen Code, der ein Geheimnis verbirgt.
Am Freitag der nächsten Woche standen Frank und Klaus wie zwei Kellner, die auf ihre Gäste warten, in der Küche, um einen letzten Blick auf den gedeckten Tisch zu werfen. Nachdem sie Peter mit seinen Kochkünsten überrascht hatte, fühlten sie sich herausgefordert. Die Revanche sollte gelingen, obwohl ihre Gedanken weniger um Peter und das Essen als um Renate kreisten. Sie sprachen ihren Namen nicht aus, doch sah sich jeder der beiden ihr gegenübersitzen. Für die Küche war Klaus verantwortlich. Er hatte, wie in ähnlichen Situationen zuvor, seinen Vater konsultiert, der natürlich wissen wollte, um wie viele Gäste es sich handeln würde. Klaus druckste herum, eigentlich hatte er nicht vor, seinem Vater zu beichten, dass er drauf und dran war, sich in eine verheiratete Frau zu verlieben. Ein Kollege und seine Frau kämen vorbei, wich er aus. Irgendetwas an der Stimmlage seines Sohnes ließ den Vater aufhorchen. Er hörte ja immer genau zu, wohl weil er befürchtete, etwas zu übersehen, was seinem Sohn auf die Füße fallen könnte. Er verkniff sich weitere Fragen, stattdessen empfahl er Kartoffelbällchen, die würde die Frau mögen, und Kasslerbraten, da könne man nichts falsch machen. Er erklärte ihm die Kartoffelbällchen:
»Kartoffeln weichkochen, dann zu Brei quetschen, das Ganze mit Salz, Pfeffer, Muskat, einem Ei und Mehl vermischen, auf dem Blech in geriebenen Semmeln zu Bällchen rollen. Dann ab in heißes Öl, schön aufpassen, dass sie innen durch sind. Also mit ’nem Zahnstocher prüfen.«
Es war ein schwülwarmer Juliabend und im Hinterhof bewegte sich kein Lüftchen. Durch das offene Küchenfenster sah man leichtbekleidete Menschen, die sich ab und an aus ihren Fenstern hinausbeugten, als suchten sie eine Abkühlung, nur um sich gleich darauf hastig zurückzuziehen, denn im Innenhof herrschte die Schwüle eines Gewächshauses.
Frank versuchte seit Stunden, die Ursachen seines Gefühlsrausches zu ergründen. Bin ich verliebt oder unterliege ich einer Sinnestäuschung, es wäre ja nicht das erste Mal, dass ich mich täusche, fragte er sich. Sie hat mich wie eine geheimnisvolle Verheißung in ihren Bann gezogen, und Klaus gleich mit, stellte er verblüfft fest. Jetzt werden wir gleich vor ihr stehen wie zwei Kerle, die um ihre Hand anhalten. Er kam sich vor, als wäre ihm ein Programmierfehler unterlaufen.
»Lass uns mal die Wohnungstür