Seesterne hafteten am unteren Teil der Scheibe. Diese wurden eigentlich regelmäßig von Tauchteams abgekratzt, deren alleinige Aufgabe darin bestand, die Fenster zu reinigen, sollten irgendwelche Meeresgewächse anfangen, die fantastische Sicht zu behindern. Vorerst jedoch war der Aussichtsbereich so sauber, wie er nur sein konnte, und die Gäste wurden nicht müde, gebannt in die eine oder andere Richtung zu zeigen. White wies jetzt nach oben auf einen Schwarm Manta-Rochen, die gerade über das transparente Dach zu fliegen schienen. Dann drehte er sich nach seinen Kunden um … sie hatten angefangen, sich untereinander zu unterhalten und sprachen dem Essen zu. Die Kulisse zeigte also offenbar die erwünschte Wirkung. Diese Erfahrung würde sich als unvergleichlich herausstellen, selbst für Leute, die angeblich schon alles gesehen und getan hatten.
Gerade als er der Reporterin erklären wollte, wo sich die Küche befand, blinkte sein Funkgerät auf. Er trug die ganze Zeit einen Knopf im Ohr, damit die Gäste nicht gestört wurden, und hielt sich jetzt das Mikrofon dicht an den Mund, damit er leise sprechen konnte, aber am anderen Ende dennoch verstanden wurde.
»James hier. Ich bin gerade beschäftigt. Was ist los?«
»Wir haben ein Problem mit dem Wasserkühlsystem für die Klimaanlage und wollten Sie schnellstmöglich darüber in Kenntnis setzen, over.«
White konnte seine verärgerte Miene nicht verstecken, obwohl er angestrengt auf den Boden aus italienischem Marmor starrte. Als er wieder hochschaute, bemerkte er, dass ihn die Freundin des Footballspielers beobachtete, deshalb setzte er rasch wieder ein Lächeln auf. Alles in Butter! Bloß nicht mit der SWAC, so wie es aussieht. Das Hotel verfügte über eine besondere Art von Klimaanlage, die ausschließlich mit Meerwasser betrieben wurde, wobei SWAC für Sea Water Air Conditioning stand.
»Hier unten ist alles in Ordnung und kühl, Al. Ich weiß ja nicht, wo das Problem genau liegt, aber werden Sie damit fertig?« Er grinste bemüht, während er sich in der vollen Lobby umschaute. Die Antwort kam zusammen mit irgendeinem Alarm, der heulend im Hintergrund losgegangen war.
»Lange wird dort nicht mehr alles in Ordnung und kühl sein, James, das garantiere ich Ihnen. Wir brauchen Sie hier oben dringend für weitere Anweisungen.«
Kapitel 5
James White fuhr allein mit dem Zug aus dem Hotel hinauf; verärgert starrte er eine Meeresschildkröte an, die direkt über seinem Kopf hinwegschwamm. Hoffentlich ist das wirklich wichtig, dachte er, als er aus dem Tunnel trat und zum Strand ging. Die Gäste unten fühlten sich bislang aber zum Glück wohl, also war es wohl durchaus vertretbar, sie ein paar Minuten alleinzulassen und mit dem nächsten Schwung von Neuankömmlingen zurückzufahren.
Wann immer niemand hinsah, nahm er die Gartenpfade beinahe im Sturmlauf, bis er ein feststehendes Gebäude – keine bure – am Rand des Komplexes erreichte. Auf einem Schild davor stand: Betreten verboten. Nur für Ingenieurpersonal. White eilte auf die Tür zu und schloss sie mit einem von den vielen Schlüsseln an seinem Anhänger hastig auf, dann betrat er den einstöckigen Bau und durchquerte einen langen Flur zu einem Raum, von dem er wusste, dass ihn die Meerestechniker, die hier arbeiteten, Krisenzimmer nannten. Er war zwar nicht erfreut darüber, dass man am Tag der Hoteleröffnung einen Krisenzustand ausrief, doch er hoffte, dass es sich dabei nur um einen Fall von übertriebener Gründlichkeit seitens dieser Fachidioten handelte. Die ihn womöglich nur über ein technisches Problem informieren wollten, das gefährlich werden konnte, falls es zu einer unwahrscheinlichen Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände zur gleichen Zeit kommen würde.
Als er jedoch durch das vollkommen verlassen wirkende Gebäude ging – alle Räume und der Bereich mit den offenen Arbeitswaben waren leer – wurde ihm bewusst, dass es ernst sein musste. Selbst im Pausenzimmer saß niemand … für gewöhnlich spielten dort immer mindestens zwei Mann Xbox. Folglich konnten sie alle nur im Krisenzimmer sein, was wirklich Schlimmes befürchten ließ. White bog in einen weiteren Flur ab und schaute durch die offene Tür hinein, wo tatsächlich sein gesamter Technikstab um einen Besprechungstisch herumsaß, diskutierte und immer wieder angespannt auf mehrere Laptopmonitore zeigte.
Acht Männer und zwei Frauen befanden sich momentan im Raum. James konnte sich an fast keinen ihrer Namen erinnern, doch das war ihm eigentlich egal, da er nur einen einzigen Mitarbeiter zu kennen brauchte, und das war Albert Johnson, sein Chefingenieur. Dieser leitete den ganzen Zirkus. James rauschte ins Zimmer und stellte sich an das Kopfende des Tischs, wobei er einen freien Stuhl ignorierte, den ihm eine schüchterne japanische Elektrikerin zugeschoben hatte.
»Was ist los, Al?«
Im Zimmer wurde es daraufhin ruhig, während alle Augen auf den Meerestechniker gerichtet waren. »Die Klimaanlage des Hotels hat vor etwa zwei Stunden den kompletten Betrieb eingestellt.«
»Vor zwei Stunden schon? Sie hätten mir also Bescheid geben können, bevor ich die Gäste nach unten gebracht habe?«
Al zuckte mit den Achseln. »Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch gedacht, dass es ein harmloses Problem ist, das wir schnell beheben können. Ich wollte zuerst ein paar genauere Untersuchungen vornehmen, bevor ich die Pferde scheu mache.«
»Was war das für ein Geheule, das ich im Hintergrund gehört habe, als Sie mich angerufen haben?«
»Das war der Wärmealarm, weil die Temperatur den oberen Grenzwert überschritten hat. Anscheinend hat das Kühlwasseransaugrohr des SWAC-Systems ein Leck oder wurde durch irgendetwas verstopft.«
Um Geld bei der Klimatisierung zu sparen, die in den Tropen leider ein notwendiges Übel darstellte, und einen hohen Prozentsatz der Gesamtbetriebskosten ausmachte, hatte man beschlossen, ein leicht experimentelles System einzusetzen, das deutlich günstiger für angenehme Temperaturen im Hotel sorgte als traditionelle Klimaanlagen. Diese Methode beruhte auf kaltem Meerwasser, das tief aus dem Ozean in ein Rohr gepumpt und der Anlage auf dem Riff zugeführt wurde, wo es dann überall verteilt werden konnte. Elektrischen Strom brauchte man nur für den Ansaugvorgang. Nachdem es durch mehrere Wärmeaustauscher zum Kühlen benutzt worden war, wurde das gebrauchte, lauwarme Wasser durch ein Abflussrohr wieder zurück ins Meer geleitet.
Beide Rohre verliefen mit einem deutlichen Abstand zum Riff, auf dem das Hotel stand, sowohl um die Infrastruktur zu verbergen, als auch zur Wahrung des natürlichen Ausblicks und des empfindlichen Ökosystems der Formation, das von Wasserbewegungen und den Leitungen geschuldeten Temperaturänderungen beeinträchtigt werden konnte. Der Abfluss selbst befand sich am äußeren Hang des Riffs in einer Tiefe von annähernd sechzig Fuß. Aufgrund dessen ließ es sich mühelos warten, deshalb konnte Al James bereits berichten, dass sein Team ausschließen konnte, dass das Problem an dieser Komponente liege.
»Sie sind sich also nicht sicher, was mit dem Ansaugrohr los ist … wollen Sie das damit sagen?« White schaute erneut auf seine Rolex, eine nicht gerade subtile Andeutung.
»Wie ich Ihnen bereits erklärt habe: Entweder ist es ein Leck – ein Riss an irgendeiner Stelle, durch den das Meerwasser austritt – oder die gesamte Struktur der Leitung hat aus welchem Grund auch immer Schaden genommen.«
»Wie könnte das passiert sein?«
»Ich weiß es nicht, James. Durch einen Felssturz? Ein Tsunami unter Wasser, der niemals die Oberfläche durchbrochen hat? Anstatt zu spekulieren, da es Ihnen ja scheinbar nicht schnell genug gehen kann – sollten wir hinuntertauchen und selbst nachschauen.«
Nun blickte White abrupt auf. So wie es aussah, wollte sich Al vor seiner Truppe von Super-Nerds nicht auf den Zahn fühlen lassen, noch nicht einmal von seinem Vorgesetzten. »Wie tief verläuft das Ansaugrohr denn? Ich glaube, Sie haben es mithilfe eines Industrie-U-Boots verlegt, das wir von einer Ölgesellschaft gemietet hatten, oder?«