»Der eine fehlt immer noch?«
»Ja, Calusa, doch jetzt sind noch zwei weitere verschwunden, CJ und Max!«
White blickte zu dem Zaun hinüber, der die Lagune umgab und andere Meeresbewohner fernhalten sollte. Er wusste, dass sich die Delfine nicht wirklich davon aufhalten lassen würden, denn sie konnten ihn einfach überspringen, wenn sie es wirklich darauf anlegten, doch hier war ihre Familie, und sie wurden gefüttert, also blieben sie. Bei Unwettern wie einem Wirbelsturm würde man die Delfine sogar freizulassen, damit sie nicht hier festsaßen, wenn die Flutwellen hereinbrachen. Entspannte sich die Lage danach wieder, würden sie zurückkehren, denn das hatten sie bisher immer getan.
»Wie lange sind sie denn schon weg?«
»Calusa mittlerweile drei Tage, CJ und Max seit gestern.«
»Können Sie sich das irgendwie erklären? Was ist geschehen?«
Clarissa schüttelte den Kopf, wobei ihr zartes Gesicht einen betretenen Ausdruck annahm. Sie stand in der Verantwortung, die Delfine zu kennen. Es waren ihre Schützlinge, ja sogar ihre Freunde. Deshalb fühlte sie sich momentan schrecklich. »Bisher weiß ich noch nichts, aber meine Mitarbeiter forschen nach. Tommy und Matt sind gerade mit dem Schlauchboot draußen und suchen nach ihnen.«
»Aber was ist die Ursache, Clarissa? Dass sie andauernd entwischen, darf nicht sein. Sie wissen, wie diese Tierrechtsorganisationen sind. Sie werden behaupten, den Delfinen gefalle es hier nicht, und sie sollen in Freiheit leben …« Er wies mit einem Arm auf den offenen Ozean.
»Ich habe keine Ahnung, ich …« Ihre Worte verloren sich, während sie hinaus auf das Meer starrte.
»Was ist?«
»Es ist mir wirklich schleierhaft, warum sie weggeschwommen sind, aber ich habe bemerkt, dass alle Delfine, nicht nur diese drei, seit einiger Zeit ein wenig launisch sind. Oh …« Clarissa drehte sich zum hinteren Winkel der Lagune um. »Dort drüben war der Zaun eingerissen, aber die Männer haben ihn vorhin schon repariert.«
»Glauben Sie, dass die vermissten Tiere durch diese Öffnung entwischt sind, um einen Ausflug zu machen?«
Sie schien unschlüssig zu sein. »Sie könnten jederzeit hinüberspringen, wenn sie wollten.«
White schaute flüchtig auf seine Rolex. »Sie können die Shows aber trotzdem abhalten und mit den übrigen Viechern schwimmen, oder?«
Clarissa schmerzte die Wahl des Wortes Viecher offenbar ein wenig, weil es andeutete, ihre geliebten Delfine seien nichts Besonderes. »Ja, das kann ich schon, aber …«
»Mehr brauche ich nicht zu wissen!« Er drehte sich auf dem Absatz um und wollte gerade gehen, wandte sich ihr dann aber doch wieder zu, als sei ihm unvermittelt noch etwas eingefallen. »Würden Sie mir bitte einen Gefallen tun?« Er redete weiter, ohne auf ihre Antwort zu warten. »Erwähnen Sie die verschollenen Tiere den Gästen gegenüber nicht. Keine öffentlichen Bekanntmachungen während der Shows, wie viele Delfine wir normalerweise haben oder etwas anderes in diese Richtung, ja?« Er zog seine Augenbrauen hoch, um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen.
»Natürlich.«
White ließ Clarissa nun am Schwimmdock zurück und ging auf das Gebäude zu, in dem er sein Büro hatte. Er ließ sich Zeit, während er zu verarbeiten versuchte, was er gerade erfahren hatte. Nicht nur ein Delfin fehlte, sondern noch zwei weitere waren ausgebüxt. Das verhieß nichts Gutes, und zog man Cocos Unfall mit dem U-Boot noch hinzu … Er blieb abrupt stehen, ergriffen von einem erschreckenden Gedanken, den er vergeblich abzuschütteln versuchte.
Was sollte er tun, falls Sie wirklich recht hatte? Wenn sie nicht betrunken, bekifft oder auf welcher Droge auch immer gewesen war, mit der sich die Jugend von heute berauschte, und dort unten tatsächlich Bekanntschaft mit einem großen Hai gemacht hatte? Da würden auch launische Delfine ins Bild passen. Er ging weiter.
Wegen alledem konnte er nur wenig unternehmen, außer er war gewillt, die Einweihung des Hotels zu vertagen, bis das U-Boot wieder funktionierte und die Delfine gefunden worden waren, gemeinsam mit dem Grund, warum sie sich überhaupt erschreckt hatten. Allerdings wollte er die Geschäftseröffnung auf keinen Fall hinausschieben. Diese Anlage würde der Öffentlichkeit am morgigen Tag zugänglich sein, es musste nur noch alles glattgehen. Falls all diese betuchten Gäste, bei ihrer Abreise, nicht in höchsten Tönen von einem unfassbaren und beispiellosen Erlebnis sprachen, würde man dies garantiert als internationale Bloßstellung schwersten Grades ansehen. Jedwede weniger begeisterten Resonanzen oder Absagen – wegen innerbetrieblicher Komplikationen inbegriffen – würden seine Investoren nicht zufriedenstellen, und er war definitiv außerstande, seine Schuld bei ihnen zu begleichen, falls sich das Hotel nicht als reine Goldgrube erweisen sollte.
Coco und Mick würden sich wegen des U-Boots wohl oder übel auf den Hosenboden setzen müssen, während Clarissa die Sache mit den Delfinen klärte. Vor White standen nun wichtigere Aufgaben, wie zum Beispiel die Begrüßung der prominenten Gäste.
Kapitel 4
Am darauffolgenden Morgen
James White strahlte, als er mit ausgestreckten Armen auf der Veranda einer großen Hütte im bure-Stil stand, und ein Inseltaxi mit den ersten Hotelgästen vorfuhr. Zwei Personen saßen im Wagen, reisemüde nach einem langen Flug vom US-amerikanischen Festland auf die Fidschi-Hauptinsel Viti Levu beziehungsweise den internationalen Flughafen Nandi. Von dort aus hatten sie eine kleine Chartermaschine, einen sogenannten Puddle Jumper bestiegen, um zu Whites abgelegener Privatinsel und dem Urlaubsparadies gelangen zu können. Von diesem Flugplatz aus war es nur noch eine kurze Fahrt mit dem Taxi gewesen.
Während nun zwei einheimische Träger vortraten, um sich des Gepäcks anzunehmen, öffnete der Fahrer eine Hintertür, und ein großgewachsener Amerikaner stieg aus, den James vom Cover einer aktuellen Ausgabe von Sports Illustrated kannte. Es war John Rudd, der Quarterback-Star der New England Patriots. Die ansehnlichen Beine hingegen, die gerade auf der anderen Seite aus dem Auto geschwungen wurden, gehörten keiner Geringerem als seiner von der Klatschpresse gebeutelten Freundin Staci Lincoln, einem Model für Abenteuersportkleidung. Sie trug eine Patriots-Schirmmütze auf dem modisch kurz geschnittenen blonden Haar und eine zu große Markensonnenbrille. James ging hinunter und begrüßte die beiden überschwänglich.
»Mr. Rudd, Ms. Lincoln: Willkommen im Triton Undersea Resort! Sie sind die allerersten Gäste vor Ort. Bitte lassen Sie sich von mir in unsere Empfangs-bure führen, um eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen, bevor wir Sie hinunter zu Ihrer Suite bringen.«
Der Footballspieler und seine Freundin gingen hinauf und betraten die offene, strohgedeckte Hütte, in der das Personal bereits mit Getränken in aufgeschnittenen Kokosnüssen auf sie wartete und eine kleine Kapelle Inselmusik spielte.
Kaum, dass das Paar im Gebäude verschwunden war, fuhr noch ein Taxi vor und setzte sechs weitere Gäste ab. Der saudische Staatsführer Abdullah bin Antoun stieg zuerst aus, seine Frau hinterher. Beide trugen traditionelle arabische Gewänder und Kopfbedeckungen. Sie lächelten und fassten ihre neue Umgebung neugierig ins Auge, während ihre Nanny drei kleine Kinder von der Rückbank hob. Erneut war James zugegen, um ihnen persönlich die Hand zu reichen.
So ging es ungefähr eine Stunde lang weiter … Wagen kamen und ließen reiche Gäste zurück … einen Franchisegeber der NBA, den milliardenschweren Besitzer eines Internetkonzerns, einen US-Senator, ein Supermodel … und nachdem man ihnen genügend Zeit gegeben hatte, um sich bei einem stärkenden Umtrunk in der Empfangs-bure einzufinden und an die neue Umgebung zu gewöhnen, stellte sich White an den Eingang des Gebäudes und klatschte in die Hände. Er vergaß zu keiner Sekunde, dass Reporter aus aller Welt auf dem Gelände herumliefen, Kameras laufenließen oder ausgiebig fotografierten und sich Notizen machten.
Sie waren ermahnt worden, die Gäste nicht zu belästigen, weil ausgesuchtes Personal und nicht zuletzt auch White selbst fortwährend zur Verfügung standen,