Da wir uns lieben. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711718445
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damit wir keine Fehler machen. Wir dürfen Ilona auf keinen Fall blamieren.« Sie sah sein finsteres Gesicht und legte ihm die Hand auf das Knie. »Bitte, sei doch nicht so brummig!«

      »Entschuldige schon, aber ich bin es nicht gewohnt, den armen Verwandten zu spielen.«

      Sabine öffnete den Mund, schloß ihn wieder und sagte dann: »Den … was?«

      »Du hast mich sehr gut verstanden.«

      »Ich hoffte, ich hätte mich verhört.« Sie zog sich die weiße, selbst gehäkelte Stola enger um die bloßen Schultern. »Du kannst doch nicht im Ernst böse sein, weil die Zinners reicher sind als wir? Es gibt Millionen Menschen, die …«

      »O ja, ich weiß. Aber mit denen habe ich nichts zu tun. Wenigstens privat nicht.«

      Sie spürte, daß die Wirkung des Alkohols allmählich verwehte und einen dumpfen Druck in ihrem Kopf zurückließ; es fiel ihr schwer, gegen die aufkommende Gereiztheit anzukämpfen. »Du wirst auch in Zukunft höchst selten mit ihnen zu tun haben, verlaß dich drauf.« Er preßte die Lippen zusammen und gab keine Antwort. »Außerdem weiß ich gar nicht, was du hast. Vater Zinner war doch sehr nett zu dir.«

      »Jovial. Wie unser Direktor Neumann auf dem Betriebsfest.«

      »Und du hast entsprechend gebuckelt!« entfuhr es ihr.

      Jetzt wandte er sich ihr zu, das Gesicht verzerrt. »Dich hätte ich erleben mögen, wenn ich es ihm gegeben hätte! Das hättest du mir nie verziehen.«

      »Bist du so sicher? Vielleicht hätte es mir imponiert … jedenfalls mehr, als wenn du mich jetzt, hinterher, anmeckerst. Ich kann doch wirklich nichts dafür.«

      Eine Weile fuhren sie, wortlos nebeneinander sitzend, weiter, dann knurrte er: »Entschuldige schon.«

      »Bitte«, gab sie im gleichen Ton zurück. Sie war den Tränen nahe und brauchte Zeit, bis sie einen neuen Vorstoß wagen konnte. »Warum machen wir uns das Leben so schwer, Arnold? Wir hätten doch allen Grund glücklich zu sein!«

      »Ich habe mich schon entschuldigt.«

      »Ich mache dir doch keinen Vorwurf, ich wollte nur wissen …« Sie verstummte mitten im Satz, plötzlich gepackt von dem Gefühl, daß jedes weitere Wort sinnlos war. In manchen Dingen gab es anscheinend keine Verständigungsmöglichkeiten zwischen ihnen.

      Vor dem Haus in der Schleiermacherstraße stand ein hellblauer VW Variant. »Die Kaspareks!« stellte Arnold Miller unwillig fest. »Hast du die etwa eingeladen?«

      »Das hätte ich dir doch gesagt!« behauptete Sabine.

      »Du hättest es auch vergessen können.«

      »Ich hatte keine Ahnung, daß sie kommen. Ein Glück, daß ich einen Kuchen gebacken habe. Die Zwillinge werden mal wieder halb verhungert sein. Und Egon auch.«

      Er bremste vor der Garage. Sie wollte aussteigen, um die Tür zu öffnen. Er hielt sie zurück. »Bitte«, sagte er, »sei nett zu Rosy! Sie ist … ich meine, es ist nicht ihre Schuld, daß sie so ist, wie sie ist.«

      »Du fällst also auch auf ihre sogenannte Hilflosigkeit herein?«

      »Sei nicht so, Biene. Sie ist ein armes Hascherl.«

      Sie entzog sich seinem Griff. »Wenn du mich fragst … sie ist eine ausgesprochene Schlampe. Aber keine Angst, ich werde sie nicht kränken.«

      Egon Kasparek kam vom Garten her, als Arnold das Auto in die Garage fuhr. »Da seid ihr ja!« rief er. »Sven sagte, er wüßte nicht, wann ihr kommt.«

      Sabine küßte ihren Bruder. »Konnte er auch nicht wissen.«

      »Stimmt das wirklich mit Ilonas Verlobung?«

      »Ja. Nächsten Sonntag feiern wir offiziell. Die Zinners legen Wert darauf. Ihr seid selbstverständlich auch eingeladen.«

      »Menschenskinder, was für ein Glück! Man kann euch direkt beneiden.«

      »Ja, der junge Zinner ist ein netter Mensch.«

      »Biene, nun tu bloß nicht so.« Egon Kasparek lachte nervös.

      »Als wenn es darauf ankäme! Er stinkt vor Geld.«

      »Sei still!« zischte Sabine.

      »Was ist?« fragte er verblüfft.

      »Red nicht so! Arnold ist schon wütend genug … es paßt ihm nicht, daß die Zinners so reich sind.«

      »Kann ich beim besten Willen nicht verstehen.« Egon wischte sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Erst jetzt fiel es Sabine auf, daß er ziemlich blaß war; um seinen Schnurrbart zuckte es nervös. »Sag mal, bist du krank?« fragte sie besorgt.

      »Die Hitze bekommt mir nicht.«

      »Dann verzieh dich schleunigst in den Schatten.« Sabine nahm seinen Arm und wollte ihn zur Loggia dirigieren.

      Aber er kam nicht mit. »Ich muß erst noch Arnold begrüßen.« Sie ließ ihn los und ging allein weiter. Das Haus, der Garten, der kleine Rasen und die Parkrosen, auch die Loggia mit den einfachen Gartenstühlen, alles schien ihr schäbig geworden und zusammengeschrumpft nach ihrem Besuch auf Gut Apfelkam. Es war kaum zu begreifen, daß sie bis vor kurzem noch stolz und glücklich über den mühsam erarbeiteten kleinen Besitz gewesen war. Plötzlich verstand sie Arnolds Ärger. Aber jetzt war es zu spät; der Moment war verpaßt.

      Rosy saß an einem kleinen runden Tisch. Sie hielt sich sehr aufrecht, eine zarte kleine Puppe in einem apfelgrünen Minikleid, einen mit Blumen verzierten Strohhut auf dem rotblonden Haar. Das Rouge, das sie aufgelegt hatte, hatte sich nicht mit ihrer blassen Haut vereinigt, sondern hob sich von ihr ab; auch der Augenbrauenstift, die Wimperntusche, die grünen Lidschatten und der helle Lippenstift saßen wie ungeschickte Kindermalereien in ihren spitzen kleinen Gesicht. Sie starrte ihr mit einem ängstlichen Ausdruck entgegen, den Sabine für unecht hielt.

      »Hallo, Rosy«, sagte sie munter, »wie schön, daß ihr uns mal besucht.« Rosy reichte ihr schweigend die schlaffe, magere Hand.

      Die Zwillinge hatten bäuchlings auf dem Rasenstück gelegen und versucht, Grashüpfer zu fangen. Jetzt sprangen sie auf, rannten zu Sabine und umschlangen sie. »Tante Biene, Tante Biene, hassu Kuchen für uns?« riefen sie. »Hassu Saft?«

      Sie fuhr ihnen über die weichen Haare. »Alles da. Nur Geduld, ihr beiden. Laßt mich erst mal zu Atem kommen.« Zu Rosy sagte sie: »Die Jungen machen sich heraus.«

      »Sie sind so unruhig.«

      »So sind Kinder nun mal. Hab’ ein bißchen Geduld. Laß sie ein bißchen älter werden, dann hast du weniger Arbeit mit ihnen.«

      Sie blickte sich suchend um. »Wo ist denn Sven? Hat er euch nicht hereingelassen?«

      »Eben war er noch da.«

      »Das sieht ihm wieder mal ähnlich.« Sabine wollte nach ihrem Sohn rufen, aber der sonntägliche Lärm aus den Nachbargärten war so laut, daß sie es vorzog, ihn nicht noch zu vergrößern. »Wenn der Kuchen auf dem Tisch steht, wird er schon kommen«, sagte sie statt dessen und zu ihren kleinen Neffen: »Ihr könnt noch ein bißchen spielen.«

      Sie hätte es nicht gern gehabt, wenn Rosy ihr geholfen hätte, denn sie hatte immer Angst, die Schwägerin könnte etwas fallen lassen. Trotzdem ärgerte sie sich, daß Rosy sich nicht einmal dazu erbot, noch Anstalten machte, aufzustehen und sie ins Haus zu begleiten. Im Vorbeigehen warf sie ihre Stola auf einen freien Gartenstuhl, trat nicht durch die breite Glastür von der Loggia aus in das Eßzimmer, sondern ging um das Haus herum, durch den kleinen Hof mit den Mülltonnen, der Trockenspinne und der Teppichstange direkt in die Küche.

      Wie sehr hatte sie sich diese Küche gewünscht mit ihrer modernen arbeitssparenden Raumaufteilung, den Einbauschränken mit dem blau-weißen Kunststoffbelag, dem Mülleimer an der Tür unter der Spüle. Sie sah die Zeichen des Verschleißes heute nicht zum erstenmal – die Kratzer auf dem Kunststoff, die lockere Leiste am Arbeitstisch