Da wir uns lieben. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711718445
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an mir.«

      Sie hatte ihn schon mehr als einmal gequält, immer dann, wenn er sich ihrer zu sicher fühlte und sie fürchten mußte, er könne ihr entgleiten. Trotzdem sagte sie: »Das wäre nicht fair.«

      »Willst du mir nicht erzählen, was los war?« fragte er.

      »Errätst du es wirklich nicht?«

      »Keinen blassen Schimmer.«

      Sie dachte nach und kam zu dem Schluß, daß sie sich keine Blöße gab, wenn sie ihm die Wahrheit erzählte. »Es war saublöd von mir, meiner Mutter mit der Verlobung zu kommen. Vielleicht sind wir es wirklich …«

      »Wir sind es«, bestätigte er und strich mit der Hand über ihren flachen, festen Bauch.

      »Du hast mir gesagt, daß du mich heiraten willst. Aber das geht doch nur uns beide etwas an, oder etwa nicht? Warum mußte ich darüber quatschen? Weil ich die versteckten Fragen und die ewigen vorwurfsvollen Blicke nicht mehr ertragen konnte. Ich dachte, mit der Verlobung würde ich ihnen das Wasser abgraben. Reinster Wahnsinn natürlich.« Sie setzte sich auf und zog die Knie an. »Jetzt geht es erst richtig los, worauf du dich verlassen kannst. Jetzt werden sie sich Sorgen machen, ob du es auch ernst meinst … wann du mich endlich deinen Eltern vorstellst … wann wir heiraten, wie wir leben wollen und so weiter und so fort.« Sie warf ihre Mähne in den Nacken. »Ach, du hast ja keine Ahnung, wie es in kleinbürgerlichen Familien zugeht!«

      »Nicht viel anders als in großbürgerlichen, denke ich«, erklärte er mit Selbstverständlichkeit. Zwar hatte erst Oswald Zinner senior, der Vater, nach dem Krieg das große Geld durch die Verwertung von Kriegsmaterial gescheffelt, aber immerhin war schon der Großvater Hugo Zinner ein kleiner, aber selbständiger Unternehmer gewesen, so daß die Zinners sich keinesfalls als neureich betrachteten, wenn sie auch Gut Apfelkam, das der Familie als Wochenend- und Sommersitz diente, nicht geerbt, sondern gekauft hatten.

      In Ilonas Augen stand Oswald Zinner eine, wenn nicht mehrere Stufen höher auf der gesellschaftlichen Leiter als sie selbst. »Du hast keine Ahnung«, behauptete sie.

      »So? Habe ich nicht? Das ist aber ein ganz großer Irrtum, Ilo! Was versteckte Fragen und vorwurfsvolle Blicke betrifft, bin ich sozusagen Spezialist. Vielleicht habe ich es etwas leichter gehabt als du, weil ich ein Mann bin, aber trotzdem habe ich mir mein bißchen Freiheit hart erkämpfen müssen.« Er versuchte sich an einer Nachäffung seines Vaters: »Wann wird der Junge endlich vernünftig werden, Helen? Ich wünschte, er würde sich mehr für das Geschäft interessieren. Es wird langsam Zeit, daß er seine Boheme-Manieren ablegt. Wie spät ist er denn heute wieder zum Frühstück erschienen?«

      Sie lachte. »Sind deine Eltern tatsächlich so?«

      »Und ob! Papa besonders. Doch Mama ist eigentlich noch schlimmer, sie macht sich bestimmt noch viel mehr unnötige Gedanken, sie spricht sie nur nicht aus. Aber ich kann sie hinter ihrer weißen Stirn lesen.«

      »Du übertreibst.«

      »Nicht die Bohne. Diese Familieneinmischung ist etwas, womit man sich abfinden muß. Glaub bloß nicht, du kannst ihr durch mich entrinnen. Auch wenn wir verheiratet sind, wird das weitergehen. Ich sehe unsere Mütter schon miteinander ratschen: Jetzt sind die beiden über ein Jahr verheiratet und immer noch kein Kind! Woran das liegen kann? Ob sie die Pille nimmt? Mein Gott, es ist ja zu verstehen, daß die jungen Leute sich amüsieren wollen, aber einmal muß Schluß sein.«

      Ilona schaukelte sich, die Arme um die Knie geschlungen, vor Vergnügen. »Ich lach’ mich krumm und schief!«

      Er schmunzelte. »Das ist endlich der richtige Standpunkt. Und da wir gerade beim Thema sind: hast du Lust, Familie Zinner zu Kaffee und Kuchen zu besuchen? Vielleicht am Samstag?«

      Sie hielt mitten in der Bewegung inne. »O ja, Oswald! Aber du mußt doch vorher noch mit deinen Eltern reden?«

      »Klar. Dazu ist bis Samstag noch massenhaft Zeit.«

      »Und wenn es ihnen nun nicht recht ist?«

      Er packte sie beim Haar und zog sie wieder zu sich herab. »Bis zur Decke werden sie springen vor Freude. Sie haben ja auch allen Grund dazu. Denn wem verdanken sie es, daß ich solide geworden bin? Nur dir!« Seine Hände waren jetzt nicht mehr zärtlich, sondern hart und besitzergreifend, Seine Lippen preßten sich auf ihren Mund.

      »So solide«, murmelte sie, als sie wieder zu Atem kam, »bist du nun auch wieder nicht!« Dann versanken sie in ihrer Leidenschaft.

      Arnold Miller erwachte mit einem Kater. Es war spät geworden am Abend zuvor, und es war nicht bei der einen Flasche Wein geblieben, die er Sabine zuliebe geöffnet hatte. Sie hatten noch auf der Loggia gesessen, als Oswald Zinner die Tochter nach Hause gebracht hatte, und das bewußt höfliche Benehmen des künftigen Schwiegersohnes hatte Miller mit der überraschenden Wendung der Dinge versöhnt; er gestand sich ein, daß seine oft wiederholte Vermutung, Ilona sei nur ein Spielzeug für den reichen jungen Mann und werde eines Tages achtlos beiseite geschoben werden, sich nicht bewahrheitet hatte. Nach einigen Gläsern Weinbrand hatte er sich zu der Überzeugung durchgerungen, daß diese Verlobung eigentlich doch ein großes Glück für Ilona und für die ganze Familie war. Er und Sabine hatten mit Oswald Zinner den Verwandtschaftskuß getauscht, Knut war dazu gekommen, und so war es ein festlich vergnügtes Beisammensein geworden. Merkwürdig nur, dachte er, daß von dieser ganzen Hochstimmung nichts geblieben war als ein pelziger Geschmack im Mund und ein hohles Brummen im Schädel.

      Den ganzen Vormittag war ihm so, als habe er etwas sehr Wichtiges übersehen. Er hatte es mit seiner Arbeit seit jeher genau genommen, heute aber überprüfte er die täglichen Abrechnungen mit einer Akribie, die seiner Mitarbeiterin, Fräulein Döring, deutlich auf die Nerven zu gehen begann. Erst kurz vor Mittag fiel ihm ein, daß sein Versäumnis nichts mit der Buchhaltung der Zeltner-Werke zu tun hatte, sondern allein sein Privatleben betraf: er hatte vergessen, seinem Lottomitspieler Rudolf Kienzel zu telegrafieren. Er nahm den Hörer ab, wählte und warf ihn wieder auf die Gabel. Nein, in Gegenwart der Döring konnte er diese Nachricht unmöglich durchgeben. Noch am gleichen Tag würde der ganze Betrieb, vierundzwanzig Stunden später ganz Riesberg Bescheid wissen, und gerade das war es doch, was Kienzel und er immer hatten vermeiden wollen. Deshalb spielten sie doch in München und nicht hier.

      Es hatte auch keinen Zweck, bis zur Mittagspause zu warten, denn die Döring, stets besorgt um ihre Figur, von der sie ihre Heiratschancen abhängig glaubte, pflegte die Kantine nicht aufzusuchen, sondern lieber ein Joghurt und einen Apfel zu sich zu nehmen. Sollte er selbst zur Post fahren? Aber er glaubte das Gesicht des Beamten schon vor sich zu sehen, wenn er ihm das Telegramm in den Schalter hineinschob: Hurra, endlich hat es geklappt! Haben fünfzig Mille im Lotto gewonnen. Wahrscheinlich durften die Leute von der Post nicht reden, aber sie würden sich ihren Teil denken, und wer garantierte dafür, daß sie nicht doch untereinander davon sprachen – oder mit ihren Frauen? Schließlich war ein Lottogewinn in dieser Höhe doch ein Ereignis.

      Er erinnerte sich an eine Begebenheit, die Apotheker Reibler des öfteren zu immer neuer Belustigung am Stammtisch im Goldenen Löwen zum besten gab. Reibler hatte das Kriegsende im Lazarett verbracht und dort ein Techtelmechtel mit einer Schwester angefangen, die ihm, als er wieder zu Hause in Riesberg war, postlagernd glühende Liebesbriefe geschrieben hatte. Als er eines Tages Briefmarken kaufen wollte, hatte ihm ein Postfräulein strahlend zugerufen – deutlich genug, daß alle Anwesenden es hören konnten: »Es ist auch noch ein Brief für Sie da, Herr Reibler! Kennwort Sonnenschein!«

      Nein, dem Postgeheimnis in der Kleinstadt war nicht zu trauen. Er durfte es nicht wagen, das Telegramm anders als telefonisch über die Münchner Zentrale aufzugeben. Also mußte er in der Mittagszeit nach Hause fahren, was wieder einen Haufen Erklärungen Sabine gegenüber nötig machen würde. Er klopfte mit dem stumpfen Ende des Kugelschreibers auf die Schreibtischplatte und blickte auf das Betriebsgelände hinaus, auf die weiße, langgestreckte Fabrikationshalle und die Rampen, an denen die Lastwagen mit Kisten voller Kunststofferzeugnisse beladen wurden. Wenn er sich nun einen verschlüsselten Text ausdachte? Aber damit würde er vielleicht erst recht Neugier erregen, und außerdem riskierte er, daß Kienzel nicht schlau daraus