Der irrende Richter. Max Kretzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Kretzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711502914
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haben.“

      „Das erfolgt durch Gerichtsbeschluss, Frau Doktor“, sagte nun Sonter ziemlich kühl, obwohl ihm das Herz bei alledem ein wenig bebte. „Ich tue lediglich meine Pflicht als Referent, ganz ohne Ansehen der Person, nur im Interesse der Sache.“

      „Na, na, Herr Landgerichtsrat, — ein wenig Sympathie bringen Sie uns armen, gequälten Frauen in einem solchen Falle doch wohl entgegen“, sagte Frau Birkenheimer ganz dreist und erhob den schelmischen Blick zu ihm. „Cilly hat wenigstens so die Auffassung, als betrachteten Sie ihre Angelegenheit auch von der rein menschlichen Seite. Und mit Recht, das sage ich. Würden Sie nun einmal die grosse Liebenswürdigkeit haben, mir ganz offen zu sagen, ob die Ehe zu Cillys Gunsten geschieden werden wird? Das Urteil muss doch bald herauskommen. Ihr Mann will die Sache jedenfalls nur verschleppen. Und bis dahin verpulvert er ihr Geld. Der Junge muss ihr doch auf alle Fälle zugesprochen werden, nicht? Denn aus dem würde ja was Schönes werden, wenn er bei seinem Vater bliebe. Er neigt jetzt schon zu allerlei Dummheiten. Wissen Sie, was er neulich sagte? Er bliebe nach der Scheidung nur da, wo das meiste Geld wäre. Wenn Sie wüssten, wieviel Tränen Cilly darum schon vergossen hat. Und dann faltet sie die Hände und betet förmlich zu Gott: ‚Käme doch noch der rechte Mann, der dir Erziehung beibrächte.‘ Meine Schwester ist recht zu bedauern, wollen Sie glauben.“

      Darauf liess Frau Doktor Julia Birkenheimer das Händespiel von der rotseidenen Schmuckschleife ihres langstieligen Sonnenschirmes, den sie wie eine Lanze vor sich aufgepflanzt hatte, holte ihr Spitzentüchlein aus der silbernen Panzerhandtasche und tupfte sich damit auf die feuchtgewordenen Augen, aber doch vorsichtig genug, um den Eindruck der kosmetischen Mittel nicht zu verwischen. Dann zog sie den Schmerz durch die feine Nase und plinkerte ein wenig mit den schönen Augen, was so alles der Ausdruck ihrer durch die Tränen verursachten Stimmung war. Und zu alledem kam noch ein tiefer Seufzer über ihre schmalen Lippen, als sie hinzufügte: „Ja, ja, so ist das im Leben.“

      Obwohl Sonter den Verlauf der Dinge schon ziemlich zu kennen glaubte, hielt er es mit seiner Amtsverschwiegenheit doch nicht vereinbar, aus seiner Zurückhaltung herauszugehen. Es wurde ihm nicht leicht, das fühlte er; denn je mehr ihm Frau Birkenheimer das Bild ihrer Schwester enthüllte, das ihm nun körperlicher vor Augen trat, als alle Schriftsätze es zu tun vermocht hätten, desto mehr fühlte er sich zu Cilly Goland hingezogen und versucht, ihr seine Anteilnahme zu beweisen.

      „Das Schicksal Ihrer Frau Schwester tut mir ungemein leid, aber Sie werden es wohl begreiflich finden, dass ich mich über den Stand der Sache in keiner Weise äussern kann.“

      „O, das ist recht schade“, warf Frau Birkenheimer ganz betrübt ein. „Und meine Schwester glaubte gerade, dass Sie sich für ihr Schicksal besonders interessierten. Sie kannten sie doch schon als Mädchen, nicht wahr?“

      „Ich habe Fräulein Hoffmeister allerdings mehrfach in geselligen Kreisen gesehen, irre ich mich nicht, so war es zuletzt bei Geheimrat Frank.“

      „Sehen Sie, Ihr Gedächtnis!“ rief nun Frau Birkenheimer lebhaft aus. „Mit Lydia Frank war sie ja eng befreundet.“

      „Das heisst, ich kann mich auch irren“, wandte Sonter rasch ein. „Das sind schon mindestens zehn Jahre her; nach dem Tode des Geheimrats wurde es dort sehr still im Hause.“

      „Nein, nein, es hat schon seine Richtigkeit, Herr Landgerichtsrat. Haben Sie nicht meiner Schwester damals den Hof gemacht? Ein Wunder wäre es ja nicht, denn Cilly war wirklich ein hübsches und nettes Mädel. Na, na, besinnen Sie sich einmal. Ein Verbrechen wäre es jedenfalls nicht gewesen, denn an einen Herrn Goland dachte sie damals noch gar nicht. Sie können sich ja wohl denken, wie das so ist bei uns jungen Mädchen. Wir träumen mit offenen Augen vom Himmel, und dann greift ein kecker Kerl zu und führt uns in eine Ehehölle. Das heisst, — ich kann mich ja nicht beklagen, Gott sei Dank nicht. Meinen Felix sollten Sie kennen lernen, der ist die Aufopferung selbst, der wird schon vorher rot, ehe er ein böses Wort herausbringt. Manchmal ist es mir schon zu viel Nachgiebigkeit, wollen Sie glauben?“

      Frau Birkenheimer beschäftigte sich nun wieder mit der Schmuckschleife an ihrem Schirme, die sie über den Griff eine kleine Rutschbahn machen liess, abwechselnd von oben nach unten und umgekehrt. Ihre Nervosität zwang sie zu andauernder Unruhe, wodurch sie den ruhigsten Menschen anstecken konnte.

      Sonter fand nur ein Lächeln, obwohl er plötzlich wieder rot geworden war, denn nur zu wahr hatte sie gesprochen. Damals schon hatte Fräulein Hoffmeister seine Aufmerksamkeit erregt, die über das gewöhnliche Mass der Beachtung von seiten junger Männer hinausgegangen war, denn sonst hätte sich dieses Interesse wohl nicht auf die Akten Goland kontra Goland übertragen. Er fand es nun ganz merkwürdig, dass Frau Goland bei ihrem Auftauchen an Gerichtsstelle durch nichts diese früheren Beziehungen zu erkennen gegeben hatte, die nun hier in dieser Unterhaltung ein ganz anderes Gesicht bekamen. Obwohl es ihm als Richter nur angenehm hatte sein können, war er innerlich doch ein wenig ärgerlich darüber gewesen, weil die alten Gefühle für sie in ihm noch nicht erloschen waren.

      „Ist das Ihrer Frau Schwester noch in der Erinnerung geblieben?“ sagte er dann. „Bei der grossen Zahl der Verehrer, die Fräulein Hoffmeister damals hatte, konnte ich in meiner Unscheinbarkeit unmöglich so sehr auffallen. Es war schon damals meine Stärke, mich immer im Hintergrund zu halten.“

      „Sie wussten wohl auch weshalb, Herr Landgerichtsrat“, schmeichelte nun Frau Birkenheimer darauflos. „Grosse Männer lassen die Ereignisse an sich herantreten. Unscheinbarkeit? Ich bitte Sie? Wer Ihren Charakterkopf einmal gesehen hat, der vergisst ihn doch nicht. Der beste Beweis, dass Sie meiner Schwester in der Erinnerung geblieben sind.“

      „Und danach ging sie hin und heiratete einen Herrn Goland“, warf Sonter etwas boshaft ein.

      „Leider. Diesen Flachkopf, diesen Idioten, der nur ihr Geld durchbringen konnte.“

      „Dazu scheint er aber Verstand genug gehabt zu haben“, unterbrach sie Sonter und sah unwillkürlich nach der gossen Standuhr in der Ecke, die mit brummenden Schlägen angezeigt hatte, dass mittlerweile eine halbe Stunde verronnen war.

      Frau Julia hatte diesen Blick auf ihre Weise gedeutet, erhob sich elegant und schwenkte ihre knisternde Seidenrobe mit ein paar Schritten durch den Salon, weil sie absolut nicht lange auf einem Flecke stehen konnte. Sie tat das auch gerne, um ihre hübsche Figur mit der biegsamen Beweglichkeit in ein vorteilhaftes Licht zu rücken.

      „Haben Sie vielen Dank für den liebenswürdigen Empfang, Herr Landgerichtsrat“, sagte sie dann und reichte ihm die Hand. „Ich gehe zwar ebenso klug von hier weg, wie ich gekommen bin, aber ich freue mich doch, Ihre persönliche Bekanntschaft gemacht zu haben.“

      „Diese Freude ist ganz auf meiner Seite, gnädige Frau“, diente ihr Sonter höflich. „Ich bedaure nur unendlich —“

      Das gab Frau Julia wieder Mut. „Sagen Sie mal — Sie sind doch wirklich ein so scharmanter Herr —, können Sie mir nicht wenigstens Ihre Privatansicht als kleinen Trost mit auf den Weg geben? Eine kleine Freude möchte ich doch Cilly bereiten. Sie möchte so gern auf ein paar Wochen fort, schon des Jungen wegen. Darf ich übrigens um das Vergnügen bitten, Sie nächstens bei uns zu einer Bowle zu sehen? Es wäre reizend.“

      Sonter verbeugte sich wie zum Dank, ohne jedoch darauf einzugehen. Ein Weilchen überlegte er, dann siegte sein Gefühl. „Wenn Sie meine Privatansicht wünschen, das ändert die Situation“, sagte er, die klugen, grauen Augen besonnen auf die nervöse Frau gerichtet. „In diesem Falle würde ich bitten, dass sich Frau Goland keine Sorge mache, möge sie ruhig die nächste Woche abwarten.“

      „Das genügt mir, Herr Landgerichtsrat, tausend Dank. Auf Wiedersehen.“

      Sonter öffnete ihr die Türe, die von hier aus direkt zum Korridor führte und begleitete sie bis zur Aussentür, durch die sie, mit einen nochmaligen: „Auf Wiedersehen“ ermunternd, das Rauschen der leichten Seide davontrug. Nur ihr starker Veilchenduft blieb zurück, der, aufgescheucht durch die Wellen des Luftzuges, nun auch den Korridor füllte.

      Käthe hatte die Blumen ruhig weiter begossen; sie wollte sich schon der anderen Seite des Balkons nähern, als das