Der irrende Richter. Max Kretzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Kretzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711502914
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Lippe, blickte zu Boden und sass da wie eine Sünderin, die sich selber zürnt.

      Sonter betrachtete sie so ein paar Augenblicke, ohne jedoch ihre inneren Empfindungen dabei ergründen zu wollen.

      „Denk’ nur, Käthe, wen wir am Sonnabend als Logiergast bekommen“, sagte er plötzlich. „Meine hochverehrte Mama. Und deshalb wollte ich eigentlich mit dir reden.“

      „Herrje!“ Käthe fuhr in die Höhe, und sofort war jede Spur von Geknicktheit von ihr gewichen. „So ganz plötzlich kommt die gnädige Frau?“

      Sonter nickte heiter. „Und ganz ungerufen dazu. Nun müssen wir einmal beraten, wie wir das machen. Es wird ja nur ein paar Tage sein. Ich denke, ich räume ihr mein Zimmer ein und schlafe einstweilen hier vorn auf dem Sofa, das ist ja zum Ausziehen.“

      Er hatte schon die Worte auf den Lippen: Du bist natürlich das „Fräulein“, als er sich noch rechtzeitig besann. Er schämte sich seiner Feigheit, hielt es auch für würdelos, sich von dieser Seite zu zeigen, und so wollte er erst lieber abwarten, was Käthe dazu sagen würde.

      Ihr Gesicht hellte sich auf, denn sofort hörte sie heraus, dass Frau Sonter von der heimlichen Ehe noch nichts wisse, also nicht etwa nur erscheine, um den Skandal darüber ins Haus zu tragen. Sie durfte auch nichts erfahren, das stand bei Käthe sofort fest, und so war sie auch schon mit ihrem Plane fertig.

      „Nein, das geht nicht, Herr Rat, das dulde ich auf keinen Fall. Das wäre ja noch schöner. Ich könnte ja doch nicht ruhig schlafen. Gnädige Frau bekommt mein Zimmer, und ich schlafe in der Mädchenkammer. Das ist doch sehr einfach, nich? Ich werde gleich morgen alles in Ordnung bringen. Frau Klenke kann heute schon das Gerümpel aus der Kammer schaffen. So wird uns allen geholfen, nich?“

      Als sie sich nun eilig erhob, als müsste sie sofort an die Arbeit gehen, sprühte sie beinahe vor Freude, denn sie merkte Sonter wohl an, dass er dagegen nichts einzuwenden habe.

      In der Tat erfreute ihn dieser Einfall, wenn er ihm auch wie eine kleine Komödie erschien, wie das Leben sie als Notbehelf tagtäglich schafft. So überhörte er denn Käthes weiteren Vorschlag, dass sie ebenso gern auch auf ein paar Tage das Haus verlassen würde, wenn der Herr Rat vielleicht sonstige Unannehmlichkeiten befürchte. Er überhörte es mit Absicht, weil die Komödie zu rasch in eine Tragikomödie überzugehen drohte, in welchem Falle er sich wiederum scheute, die richtigen Worte dafür zu finden; und überdies: er konnte doch am allerwenigsten ohne Bedienung sein, wenn die Frau Hotelbesitzerin Gast bei ihm war.

      „Gut, gut, Käthe, wir reden noch darüber“, schnitt er alle weiteren Erörterungen ab, schon zufrieden, das nötige Verständnis bei ihr gefunden zu haben. Und als müsste er ihr gleichsam im Augenblick eine Belohnung zuteil werden lassen, zog er sie plötzlich an sich, beugte ihren Kopf nach hinten über und küsste sie auf die roten, schwellenden Lippen, die ihn gar zu verführerisch dazu eingeladen hatten. Es war so plötzlich über ihn gekommen, dass er sich gleich darauf selbst darüber wunderte, wie er sich zu dieser Zärtlichkeit wieder hinreissen lassen konnte, nachdem er sich fest vorgenommen hatte, diese Zwangsehe nur als ein Nebeneinanderleben zweier verirrter Menschen zu betrachten.

      „Es war wieder recht dumm von mir, Käthe, mich so zu vergessen“, sagte er sofort, wie zur Entschuldigung, als er das fast leidenschaftslose Verhalten der Überrumpelten bemerkte.

      „Wieso, Herr Rat?“ fragte Käthe, die, ganz rot geworden, heftig atmend vor ihm stand. „Wir sind doch Mann und Frau.“

      „Eben deshalb“, erwiderte Sonter verdriesslich. „Wenn ich dich jetzt ärgern wollte und du wärst eben eine andere, als du bist, dja, so müsste ich einfach sagen: keine Spur von Leidenschaft, kein Verständnis für meine gute Laune ... Geh’ nur.“

      Sonter raste durch das Zimmer, so in der Art eines Mannes, der sich unmöglich ganz äussern darf, um in seinen Empfindungen richtig begriffen zu werden.

      „Ich bin gewiss nicht schuld daran. Herr Rat haben doch selbst gewünscht, dass ich mich in keiner Weise nähern soll. Wenn ich nur wüsste, was daraus noch werden soll.“

      Ohne weiteres machte sie kehrt und ging hinweg, aber doch mit stolzer Haltung, was er, als er sie mit seinen Blicken durch die offene Tür verfolgte, deutlich bemerken konnte. Er sah, wie sie den Kopf in den Nacken warf und hörte dann noch, wie sie die Tür des Speisezimmers, ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit, ziemlich laut schloss.

      In Sonter überwogen nun die Selbstvorwürfe den offenen Ärger, denn er sah ein, dass er diese Szene, die eigentlich nur zu seiner eigenen Pein diente, unüberlegt heraufbeschworen hatte, und das gerade zu einer Zeit, wo er des grössten seelischen Gleichgewichtes bedurfte. Und es lag nur zu nahe, dass er sich in seiner aufgeregten Gedankenwelt alles zurückrief, was ihm zur Erklärung seiner ehelichen Verbindung mit Käthe Schlegel hätte dienen können.

      Da war zuerst der Umstand, dass Käthe, als sie vor etwa zwei Jahren, noch in der alten Wohnung, zu ihm zog, sofort den Eindruck auf ihn machte, kein Dienstmädchen gewöhnlicher Art zu sein, dem man erst sozusagen das Benehmen eintrichtern müsse, damit es sich den Gewohnheiten und den Umgangsformen der jeweiligen Herrschaft hübsch anpasse. Sie hatte erst einen Dienst bei einem Fabrikdirektor gehabt, von dem sie ein ganz vortreffliches Zeugnis mitbrachte. Ihr Vater war Landmesser in der Niederlausitz gewesen, der seine liebe Not gehabt hatte, für die grosse Familie anständig zu sorgen. Weil zwei ihrer Schwestern verheiratet waren, litt es Käthe nicht mehr zu Hause, da eine Freundin ihr schrieb, sie möchte nur nach Berlin kommen, wo tüchtige Mädchen ihr gutes Fortkommen fänden. Es war auch Zeit, dass sie sich ihren Unterhalt selbst verdiente, wie es die Schwestern vor ihrer Verheiratung schon getan hatten.

      Sonter sah ein frisches, aufgewecktes Mädchen vor sich, das kluge Antworten zu geben verstand, sich willig und bescheiden zeigte, das noch keinen Bräutigam hatte und die Sonntage nicht dazu benutzte, in die Tanzlokale zu gehen und sich dem ersten besten Mann an den Hals zu werfen. Irgendwo in einer Vorstadt Berlins sass eine Tante von ihr, der allein ihre Besuche an freien Tagen galten. Pünktlich um elf Uhr war sie zu Hause, so wie er es angeordnet hatte, und kam sie durch eigenes Verschulden später, so sprach sie am anderen Tage freiwillig ihre Entschuldigung aus.

      Bisher hatte Sonter eine ältere Köchin gehabt, die ihm zugleich die Wirtschaft führte. Als er nun hörte, dass das neue Mädchen gut bürgerlich kochen könne, wozu sie ihre frühere Dienstherrin während eines Jahres allmählich angelernt habe, musste er sich erst recht gestehen, einen guten Griff getan zu haben; denn gewöhnt an häusliches Behagen, hatte ihm die Frage, wie sich nun alles zur Zufriedenheit seines Magens gestalten würde, bereits erhebliche Sorge gemacht. Besonders war er gegen jedes Mittagsmahl im Restaurant, schon weil es sich mit seinen Dienststunden so wenig vertrug und er nicht aus einer Aufregung in die andere kommen wollte. Deshalb konnte er doch ausschwärmen, wie und wann er Lust hatte, was so eine Folge seines ganzen Berufes war, den er zwischen öffentlichem Amt und häuslicher Arbeit teilen musste.

      Sonter war in Wirtschaftsdingen etwas genau, was er von seiner Mutter hatte. Er rechnete gern mit Pfennigen, zum Ärger der guten, alten Köchin. Käthe Schlegel dagegen hatte Verständnis dafür, und so konnte es nicht ausbleiben, dass er bald der lieben Mama, die auch in ihren Briefen auf das Wohl ihres Sohnes bedacht war, schreiben konnte, er habe jetzt ein „Mädchen für alles“ gefunden, das geradezu als das Ideal eines bequemen Junggesellen gelten könne.

      Denn schliesslich brachten es die Gewohnheit und die Leutseligkeit seines Wesens mit sich, dass er Käthe als eine Art Hausvertraute betrachtete, zu der er sich über allerlei kleine Familienzwiste und Berufssorgen offen aussprechen konnte.

      Diese Art des kameradschaftlichen Verkehrs wurde erst bedenklich, als der etwas weiberscheue Sonter die Entdeckung machte, dass ein hübsches und sauberes Dienstmädchen auch ihre gefährlichen Reize haben könne, besonders in einer Stunde, wo die aufgepeitschte Phantasie eines Mannes mit seiner gesunden Vernunft durchzugehen die unleugbare Absicht habe.

      Das war an einem sehr denkwürdigen Sonntagabend im Sommer gewesen, als der Landgerichtsrat von einem Herrendiner kam, bei dem der Sekt ihm das nötige Feuer durch die Adern getrieben hatte.

      Diesem Sektteufel war es wohl