Der irrende Richter. Max Kretzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Kretzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711502914
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den Hut in der Hand, so in geschulter Weise, die die militärische Dressur nicht verleugnen kann. Zugleich bat er um Entschuldigung für die Störung hier vorne; er sei bereits hinten gewesen, habe aber vergeblich geklingelt.

      Sonter, der selbst nicht Soldat gewesen war, liebte diese Leute mit dem offenen, respektvollen Wesen, die niemals vergassen, vor Herren mit Ansehen Haltung anzunehmen; und da er überdies einen modisch gekleideten Mann erblickte, der auch im Gesicht nach etwas aussah, so rief er auch schon ins Zimmer hinein: „Käthe! Kommen Sie doch einmal her, hier ist jemand, der Sie sprechen will.“

      Diesmal hatte er wirklich ganz vergessen, dass er eine Frau besass, weil ihn diese Szene an ähnliche, bereits früher erlebte, erinnerte, besonders zur Zeit der alten Köchin, die immer einen ganz ausgebreiteten Verwandtenbesuch zu erwarten hatte.

      Käthe befand sich auf dem Balkon, wo sie die Blumentöpfe ins Trockene stellte. Sonter musste ins Speisezimmer gehen, um ihr das alles noch einmal zu sagen. Dann bekümmerte er sich nicht weiter darum und nahm wieder vor seiner Zeitung Platz. Als er aber Käthes Ausruf draussen hörte: „Hermann, Sie? Na, das is mal ’ne Überraschung!“ erhob er sich wieder, öffnete die Tür von hier aus, als er vernahm, dass der Besuch schon eingetreten war, und sprach im Gönnertone hinaus: „Hören Sie mal, Käthe — ich habe nichts dagegen, wenn Sie Ihren Besuch bewirten ... Lassen Sie sich nachher noch einmal sehen.“

      „Schön, Herr Rat. Danke für die Freundlichkeit.“

      Auch sie dachte in diesem Augenblicke gar nicht daran, dass sie von Rechts wegen Frau Sonter hiess. Glücklich darüber, ein liebes Gesicht aus der Heimat zu sehen, nickte sie Hermann Usen zu, ihr zu folgen und ging ihm voran nach der Küche, was Usen auch ganz selbstverständlich fand, denn wo ein Dienstmädchen ihr Reich hatte, da war auch der Aufenthalt von seinesgleichen.

      Als nach einem Weilchen Sonter im Smoking dastand, schon den Zylinderhut auf, klingelte er nach Käthe.

      „Ich will nun gehen, Käthe“, begann er, den Abglanz bester Laune auf den Zügen, weil seine Gedanken nun schon zu Frau Birkenheimer vorausgeeilt waren. „Es freut mich, dass du heute nicht so ganz allein bist und wenigstens jemand zum Plaudern hast. Der junge Mann wird dir gewiss viel aus deiner Heimat zu erzählen haben, wie?“

      „Eigentlich spricht er ja nicht viel, aber sonst hat er es in sich“, sagte Käthe heiter und half ihm den Paletot anziehen.

      Das brachte Sonters zerstreute Gedanken mit einem Rucke wieder zusammen. „Wie meinst du das, Käthe? Wie soll ich das verstehen? Doch nicht etwa so, dass er sich gegen dich etwas herausnehmen könnte, wie? Danach sah er mir eigentlich nicht aus.“

      Käthe lächelte seltsam.

      „Stille Wasser sind tief, Herr Rat.“

      Sonter fasste unter den Paletot und zog mit einem festen Griffe den Smoking herunter, weil sein etwas kurzer Hals immer einen Kampf mit den Kragen der Kleidungsstücke führte. Dabei kam ihm zum Bewusstsein, dass es doch immerhin ein eigentümlicher Zustand sei, wenn er einen ihm unbekannten jungen Mann mit seiner Frau allein in der Wohnung lasse. Und so sagte er, plötzlich rot geworden, nicht bloss durch die körperliche Anstrengung: „Möchtest du ihn nicht doch lieber abschieben? Vielleicht war ich etwas voreilig mit der Einladung.“

      „Herr Rat haben nichts zu befürchten, ich weiss schon, wie ich mich zu verhalten habe.“

      Ärgerlich schwenkte sie durchs Zimmer, und aus der Art, wie sie einen Stuhl geraderückte, merkte er ihr an, dass sie sich gekränkt fühlte.

      „So meinte ich das ja nicht“, lenkte er ein. „Aber sieh mal, — da er nicht weiss, dass wir verheiratet sind, so — du, mein Gott, ich brauche mich doch wirklich nicht erst näher darüber auszulassen.“

      „Ich weiss schon. Herr Rat sehen in mir immer noch das Dienstmädchen.“

      „Es wird mir eben schwer, Käthe, davon loszukommen. Du wirst doch nicht etwa denken, dass ich eifersüchtig bin, wie? Das wäre denn doch geradezu eine Beleidigung, die ich mir selbst zufügen würde. Meine Achtung vor dir bleibt immer dieselbe. Adieu, Käthe. Und mach mit deinem Besuch, was du für gut hältst.“

      „Ich wünsche Herrn Rat viel Vergnügen.“

      „Danke, Käthe.“

      Zum Zeichen seines Wohlwollens gab er ihr die Hand und ging dann, nachdem er sich zuvor durch einen Blick in sein Arbeitszimmer überzeugt hatte, dass sämtliche Akten verschlossen waren.

      Käthe begleitete ihn bis zur Korridortür, schloss sie ab, schob den Sicherheitsriegel vor und ging dann in das Speisezimmer zurück. Aber nicht wie sonst eilte sie auf den Balkon, um ihm nachzublicken; vielmehr blieb sie stehen, verschränkte die Hände über dem Leib und starrte zu Boden.

      Noch niemals hatte sie so das Gefühl der Verlassenheit und Überflüssigkeit auf der Welt gehabt, wie jetzt; aber auch nie zuvor hatte sie Ähnliches in ihrem Herzen entdeckt: dass ihr nämlich trotz dieser ehelichen Missachtung und häuslichen Tyrannei Sonter viel mehr war, als es das ganze Verhältnis zwischen ihnen bedingte. Sie hatte sich schon in alles gefunden gehabt, wollte ihm Dienerin bleiben und weiter nichts, und nun litt sie unter einem ganz elenden Seelenzustande, den allein seine eben ihr bewiesene restlose Gleichgültigkeit geschaffen hatte.

      Denn so deutlich war er noch nie gewesen, indem er ihr einfach wie zum Hohne zu verstehen gab, dass sie sich nicht etwa einbilden solle, sie könne ihn eifersüchtig machen. Und dass er ihr das gerade in einer Stunde gesagt hatte, da er einen neuen Lebensweg zu wandeln gedachte (dass es so sei, fühlte sie instinktiv), — das traf sie wie ein Backenstreich, der sie noch tiefer erniedrigte.

      In diesem Zustande der Wehrlosigkeit kamen ihr wieder ein paar Tränen, die sie rasch wegwischte, weil sie sich entsann, dass in der Küche jemand sass, der auf ihre Rückkehr wartete.

      Als sie wieder hinten auftauchte, waren Hermann Usens erste Worte: „Na, ist der Alte fort? So ein Junggeselle macht doch immer seine Sperenzen, ehe er geht.“

      Sie hatte ihm Kaffee vorgesetzt, und so sass er am Küchentische, die langen Beine weit von sich gestreckt, kaute den Rest der geschmierten Schrippe und blickte sie dabei ganz vergnügt an, so mit einem Ausdruck, als wollte er die Bestätigung von ihr haben, dass sie nun, Gott sei Dank, allein seien und machen könnten, was sie wollten. Beim Militär hatte er verschiedene Liebschaften gehabt, und so bildete er sich etwas darauf ein, immer gleich den richtigen Ton den Mädels seines Umgangskreises gegenüber zu finden.

      Käthe sagte vorerst nichts, weil sie überlegte, ob sie ihm nicht gleich eine Ohrfeige geben und ihn hinauswerfen solle. In der Stimmung dazu war sie, besonders wenn sie erwog, dass sie Frau Rat war. Dann aber siegte die Klugheit und so machte sie ihrem Groll in Worten Luft.

      „So dürfen Sie vom Herrn Landgerichtsrat nicht reden, Hermann, das dulde ich nicht“, sagte sie und setzte ein paar Tassen hin, dass es klirrte. „Sie haben doch gleich gesehen, wie gut er es meint. Ein anderer hätte gesagt: Nehmen Sie hübsch wieder die Hintertreppe.“

      Der frische Usen lachte auf. „Sie? Nanu, Käthe, seit wann denn Sie? Nanu wird’s Tag. Die würden ja brüllen vor Lachen zu Hause, wenn sie das hörten.“

      Ihre Sauberkeit, ihr blühendes Wesen, das in der hellen Sonntagsbluse etwas ungemein Appetitliches hatte, waren ihm gleich beim ersten Anblick aufgefallen, und so hatte er sich zugerufen: Die oder keine andere in Berlin. Nun erst recht davon eingenommen, gereizt von diesem Widerstande, sprang er auf und versuchte, den Arm um ihre Taille zu legen. Da bekam er auch schon einen kleinen Stoss und sah im nächsten Augenblick eine Kelle in ihrer Hand.

      „Damit kriegen Sie eins, wenn Sie sich nicht ruhig verhalten. Das lassen Sie sich gesagt sein, Hermann. Und wenn Sie wollen, können Sie gleich wieder gehen. Sie müssen nämlich wissen, dass ich hier etwas mehr bin, als Mädchen für alles.“

      „Ach so, Sie sind was Feines geworden“, sagte nun Usen ganz verändert, aber doch so in einer Art, aus der sie die Spitze deutlich heraushörte. „Das wusste ich nicht, entschuldigen Sie nur. Unsereins kann so hoch nicht langen, uns fehlt das glatte Gesicht.“

      Er