Der irrende Richter. Max Kretzer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Kretzer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711502914
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natürlich“, sagte Sonter ohne jedes Bedenken. „Aber hast du nie darüber nachgedacht, dass dieser Fall mal eintreten könnte — bei unserem ganz eigentümlichen Zusammenleben? Wie? Denn eigentlich, das musst du doch eingestehen, bist du doch nur ein verheiratetes Mädchen.“

      „Das haben mir der Herr Rat schon einmal gesagt.“

      „Und ausserdem bist du fünfzehn Jahre jünger, lebst unter einer Art Zwang mit mir zusammen, bist und bleibst immer die andere Welt. Dja.“

      Käthe schickte sich mit einem Ruck an, das Zimmer zu verlassen.

      „Herr Landgerichtsrat brauchen mich ja nur wieder fortzuschicken, dann gehe ich. Das wissen Herr Sonter ebensogut wie ich, dass ich mich schon darin fügen werde.“

      Sie sah ihn nicht mehr an, weil sie ihm ihren stillen Kummer verbergen wollte, der ihrem Gesicht sofort einen anderen Ausdruck gab. Es zuckte wieder um ihren Mund, weil heimliche Tränen nur ihre einzige Waffe gegen derartige Angriffe dunkler Mächte waren, wie sie sich ihr Schicksal auslegte.

      „Das ist leichter gesagt, als getan“, sagte Sonter begütigend. „Damit wäre uns beiden nicht gedient.“ Alsdann blieb er vor ihr stehen und fügte so mit leichtem Ärger über all die verwickelten Dinge hinzu: „Du bist ein ganz merkwürdiges Mädchen, Käthe, das muss ich dir immer wieder sagen. Nichts Frauenhaftes haftet dir an, keine Spur davon, und deshalb wird es mir auch so leicht, dich immer noch als Mädchen zu bezeichnen.“

      „Das hängt wohl mit ganz anderen Ursachen zusammen, Herr Rat.“

      Er gab dem Gespräch eine andere Wendung, gleichsam zur eigenen Beruhigung.

      „Ich wollte dir ja noch sagen, dja, in welcher Angelegenheit die Dame kam“, begann er wieder. „Es war eine Schwester der unglücklichen Frau Goland, worüber wir gestern sprachen. Sonst hätte ich mich vielleicht nicht so lange aufhalten lassen. Nein. Nervös ist die Dame, ich kann es dir gar nicht sagen.“

      „Ach, so hängt das zusammen“, verstellte sich Käthe und verliess nun das Zimmer, weil sie sich doch etwas unsicher fühlte. Sie wusste auch schon alles und brauchte daher das übrige nicht zu hören.

      Als Sonter gegangen war, putzte Käthe rasch das Fenster. Dann ging sie an das Aktenbündel, das bereits verschnürt auf dem Schreibtisch lag, öffnete es vorsichtig und vertiefte sich wieder in die Sache Goland gegen Goland. Es reizte sie nun doch, auch die andere Hälfte zu lesen mit allem Zubehör und Beschlüssen, Zeugenaussagen und so weiter. Trotz des Verbotes ihres Herrn und Gebieters. Und als sie damit fertig war, hatte sie durchaus nicht mehr die Empfindung, dass der Mann allein die Schuld an dem Ehezerwürfnis trage, wie Sonter es dargestellt hatte. Und das war das Merkwürdige dabei. Aber vielleicht war sie zu dumm dazu, um alles richtig zu erfassen, so wie es die Herren Richter taten. Und damit wollte sie sich begnügen.

      IV.

      Am Sonnabend erhielt Sonter eine Depesche, dass seine Mutter verhindert sei und erst im Laufe der nächsten Woche nach Berlin kommen könne, was ihm, obwohl er in den Ereignissen des Lebens nur eine Reihe von Zufälligkeiten erblickte, diesmal wie eine Bestimmung erschien. Noch gestern abend hatte Frau Birkenheimer ihre Einladung zu „Krebsen und Bowle“ brieflich wiederholt, mit all den kleinen liebenswürdigen Lockungen, die eine lebenslustige Frau immer bereit hat, wenn sie einen Herrn für ihren Kreis kapern will. Ihr Mann würde sich sehr freuen, wenn der Herr Landgerichtsrat ihnen beiden die Ehre schenkte (zwischen den Zeilen stand eigentlich, dass diese Freude wohl mehr von ihrer Seite ausgehe), und ausserdem würde seiner noch ein ganzer Kreis schöner Frauen harren, und so weiter.

      Frau Birkenheimer schien es eilig zu haben, das leuchtete ihm ein, und witterte sein gesunder Menschenverstand richtig, so steckte dahinter ihre Sehnsucht, das etwas aufdringliche Gespräch von neulich in der eigenen Häuslichkeit fortzusetzen.

      Bevor Sonter Käthe davon unterrichten konnte, dass er am anderen Tage nachmittags in Gesellschaft sei und dass sie ihm daher alles Nötige zurechtlegen möge, wusste sie bereits von dem Ereignis. Er hatte die Briefkarte auf seinem Schreibtisch liegen lassen, und so war nichts einfacher, als dass sie ihre Neugierde daran befriedigte.

      Lange stand sie davor, drehte das Büttenpapier von einer Seite zur anderen und begann immer wieder zu lesen. Solche Karten kamen ja genug ins Haus, die sie alle ziemlich gleichgültig gelassen hatten; diese hier aber brachte ihr Blut wieder in Wallung. Dahinter steckt doch etwas Besonderes, raunten ihr die Schläge des Herzens zu. Pass auf, sie wollen ihn dir wegfangen. Puck-puck, puck-puck ging das Herz immer stürmischer, und jeder Schlag lautete: Du — Schaf — du — Schaf.

      Käthe lachte still vor sich hin. So leicht war das wirklich nicht, ihr den „Herrn“ wegzukapern, denn der sass fester, als sie alle glaubten! Dann erstarb plötzlich ihr Lachen, langsam, bis nur noch ein Zucken um die Lippen übrigblieb. Natürlich sollte er dort mit Frau Birkenheimers Schwester zusammentreffen, mit dieser Frau, über deren Aussehen sie sich schon allerlei Vorstellungen beim Lesen der Akten gemacht hatte, mit der sie sich aber die halben Nächte beschäftigen musste, bevor sie das brennende Gesicht in das einsame Kissen drückte, um endlich den Schlaf zu finden.

      „Werden der Herr Rat den Smoking anziehen?“ fragte sie am Sonntag vormittag, als sich das Gespräch um diese Dinge drehte. „Und den hellen Paletot darf ich wohl auch herauslegen, es ist ganz kühl geworden.“

      In der Nacht hatte es ein tüchtiges Gewitter gegeben; ein Dauerregen war gefolgt, so dass die Strassen in Nässe schwammen. Aber gerade dieses Wetter behagte Sonter, denn es erschien ihm mehr zu einer häuslichen Geselligkeit geeignet.

      „Ich denke wohl, den Smoking, Käthe. Es ist zwar Sommer, aber ich bin zum erstenmal dort. Ausserdem habe ich keinen Besuch machen können, der Kürze der Zeit wegen nicht ... Was wirst du denn heute mit dem Sonntag machen, he?“

      „Ich finde schon etwas, Herr Rat, um mit der Zeit auszukommen. Es muss doch auch jemand zu Hause bleiben.“

      „Möchtest du nicht heute einmal ins Schillertheater gehen?“

      Schon wiederholt hatte er sie auf diese Art auf andere Gedanken gebracht, weil es ihm manchmal leid tat, sie hier allein sitzen zu sehen.

      „Ich danke, Herr Rat. Heute möchte ich lieber zu Hause bleiben. Ich habe Briefe zu schreiben.“

      „Wie du willst, Käthe ... Bist du nicht eigentlich froh, dass meine Mutter heute noch nicht gekommen ist? Mir fiel so ein kleiner Stein vom Herzen.“

      „Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben, Herr Rat.“

      Sonter stiess einen Seufzer aus. „Leider nicht. Vielleicht telegraphiert die gute Alte nochmals ab.“

      Käthe, die den Smoking nach vorn gebracht hatte, um, weil es hier heller war, seine Tadellosigkeit zu prüfen, lachte kurz auf. „Das tut ja die gnädige Frau doch nicht. Die will gewiss sehen, wie es ihrem Herrn Sohne geht und dabei einmal gründlich Umschau halten.“

      „Eben deswegen. Na, deshalb wollen wir uns die Laune heute nicht verderben.“

      „Vielleicht ändert sich bis dahin noch manches, Herr Rat.“

      „Du hast jetzt öfter solche Gedanken, Käthe“, sagte er und blickte sie prüfend an.

      „Man kommt darauf, Herr Rat. Ewig können wir doch wohl nicht zusammenbleiben.“

      Darauf schwieg der Landgerichtsrat, denn er wollte ihr diese Meinung nicht nehmen.

      Als es nach dem eintönigen Mittagessen glücklich fünf Uhr geworden war und Sonter, in seinem Arbeitszimmer sitzend, beim Kaffee eine Zigarre rauchte und noch einmal die Zeitung überflog, bevor er sich in den Smoking werfen wollte, klingelte es an der Entreetür, so dass er einen leichten Schreck bekam bei dem Gedanken, es könnte ihn um diese Zeit ein unwillkommener Besuch stören. Er ging auf leisen Sohlen in den Korridor und blickte vorsichtig durch das Guckloch; dann, als er einen jungen, unbekannten, etwas „fremd“ aussehenden Mann beobachtete, öffnete er, entschlossen zur kurzen Abfertigung.

      Es war Hermann Usen, ein Nachbarssohn aus Käthes Heimat, der